Zugang? Zugänge! Zum Umgang mit schwierigem Erbe in Museen
Welche Rolle spielt ein «Recht auf Zugang» für Museen – besonders im Kontext problematischer Sammlungen? Sollen sie alles zeigen oder gibt es Grenzen? Bereits in den Diskussionen darüber stellt sich die Frage, wer mitreden kann. Es lohnt sich, Zugang breiter zu denken.
Mit «problematischen Sammlungen» meint der Autor hier ganz pragmatisch all jene Sammlungen und Objekte, die Museen und Sammlungsinstitutionen aus ethischen Gründen vor Herausforderungen stellen. Die Problematisierung wird oft von Anspruchsgruppen von ausserhalb in die Institutionen hineingetragen. Auch deshalb votiert der Verfasser im vorliegenden Artikel dafür, diesen Stimmen im Diskurs zum Umgang mit Kulturerbe Gehör zu verschaffen.
Die ethischen Richtlinien für Museen des internationalen Museumsrats ICOM sind auf den ersten Blick klar: «Der Träger soll gewährleisten, dass das Museum und seine Sammlungen allen Interessierten zu angemessenen, regelmässigen Zeiten zugänglich sind. Besonderes Augenmerk ist auf Personen mit körperlichen Beeinträchtigungen zu richten.»1 Aber gibt es auch legitime Gründe, Zugang einzuschränken oder spezifischer zu gestalten? In den Richtlinien – die aktuell überarbeitet werden – steht ebenfalls:
«Die Ausstellung von menschlichen Überresten und Gegenständen von religiöser Bedeutung muss unter Einhaltung professioneller Standards erfolgen und, soweit bekannt, den Interessen und Glaubensgrundsätzen der gesellschaftlichen, ethnischen oder religiösen Gruppen, denen die Objekte entstammen, Rechnung tragen. Die Objekte sind mit Taktgefühl und Achtung vor den Gefühlen der Menschwürde, die alle Völker haben, zu präsentieren.»2
Analoge Formulierungen finden sich für das Sammeln, Forschen und Interpretieren. Solche Absprachen mit Herkunftsgesellschaften können unter anderem bedeuten, dass Objekte gar nicht ausgestellt werden dürfen. Was heisst das für das Verhältnis von sensiblen Objekten und Themen einerseits und Zugang andererseits? Ich möchte dies kurz im Kontext kolonialer Sammlungen diskutieren und anschliessend argumentieren, warum diese Überlegungen auch für andere Museen von Relevanz sind.
Die Wahrung der Interessen von source communities verweist auf etwas Grundlegenderes: Die Frage der Dekolonisierung von Museen dreht sich nicht allein um materiellen Besitz und Restitutionsfragen.3 Es geht auch um eine Kritik an eurozentrischen Deutungen und Interpretationen. Diese lassen sich mit dem Begriff der Kolonialität fassen: Gemeint ist damit die epistemische Gewalt, mit der durch den Kolonialismus andere Wissensformen und Wertesysteme ausgelöscht oder abgewertet wurden und werden.4
Im Museumskontext äussert sich diese unter anderem darin, dass westliche Vorstellungen von ‘Kulturerbe’, ‘Subjekten’ und ‘Objekten’ als universell behauptet, Konzepte etwa von Dingen als belebten Wesen hingegen als rückständiges Denken taxiert wurden. So wurde auch nach dem Akt der Aneignung meist nicht beachtet, was aus Sicht der Herkunftsgesellschaften ein angemessener Umgang mit einem bestimmten Gegenstand wäre. Die Kritik daran wird in der Museumswelt erst seit kurzem ernster genommen. Bis heute scheitert zudem der Zugang von Forscher:innen, Bürger:innen und Anspruchsgruppen aus dem Globalen Süden nicht selten daran, dass sie kein Visum erhalten.
«Kulturerbe»: Nicht für alle gleich
Dies zeigt: Das Pathos eines universellen Kulturerbes, das ‘allen Menschen gleich gehört’, ist nicht haltbar. Wenn wir über die Zugänglichkeit von Museen und Sammlungen für Anspruchsgruppen sowie Individuen nachdenken, müssen wir die realen Kontexte in den Blick nehmen: Die Privilegien, Hürden und (Un-)Rechtskontexte, die Menschen den Zugang je nach gesellschaftlicher Position erschweren oder erleichtern. Und das gilt bei weitem nicht nur für Sammlungen aus kolonialen Kontexten.
Zugang alleine reicht also nicht: Wir müssen über Zugänge im Plural reden. Über die Frage, wie auch soziale, bildungsbiografische, aufenthaltsrechtliche und weitere Hindernisse abgebaut werden können, damit ‘Kulturerbe’ und Erinnerung gemeinsam verhandelt werden können. Für ‘problematische Bestände’ machen dabei Verallgemeinerungen wenig Sinn: NS-Raubkunst, koloniale Provenienzen, human remains oder Themen wie die administrativen Versorgungen verlangen einen je kontextspezifischen Umgang. Ich möchte darüber hinaus argumentieren, dass es auch nicht einfach ‘problematische Sammlungen’ und daneben ein unkontaminiertes, positiv besetztes ‘Kulturerbe’ gibt.
Denn Objekte mit diskriminierenden Inhalten, Darstellungen, Originaltiteln oder anderen Elementen finden sich in unzähligen Museen und Beständen. Auch Beschreibungen und Metadaten in Datenbanken wiederholen Problematiken der Objekte oft unkommentiert oder erzeugen solche gar selbst. Beides verweist auf die ambivalente Geschichte, die den Sammlungen eingeschrieben ist: Rassismus etwa ist nicht das irrationale ‘Andere’ des aufgeklärten Denkens, vielmehr spielte das Konzept der ‘Rasse’ für das Denken der Moderne eine zentrale Rolle.5 Und auf diesem Denken gründet die moderne Idee des Museums.
Soziale Räume – analog wie digital
Zurück zur Zugänglichkeit: Dass sich viele Museen darüber Gedanken machen, wie der Zugang zu Sammlungen, Objekten oder Depots erhöht werden kann, ist zu begrüssen. Immer benutzer:innenfreundlichere Online-Zugänge können die kuratorische Entscheidungsmacht über Zeigen und Nicht-Zeigen ein Stück weit relativieren. Gleichzeitig schaffen Museen damit aber neue, digitale soziale Räume. Und in diesen stellt sich ebenso wie in analogen Museumsräumen die Frage, wie sie möglichst barrierefrei und diskriminierungskritisch gestaltet werden können.
Unsere Bemühungen in der Datenbank des Museums für Kommunikation und der Austausch mit anderen Institutionen6 zeigen: Diese Arbeit ist komplex. So lassen sich etwa rassistische Begriffe meist nicht einfach durch ein unproblematisches Wort ersetzen. Schliesslich sind Begriffe auch Konzepte und transportieren mitunter Denkfiguren, für die es gar keine diskriminierungsfreie aktuelle Entsprechung geben kann.
In Datenbanken wie auch in Ausstellungen oder Publikationen stellt sich zudem die Frage, welche Bilder und Begriffe sichtbar bleiben sollen und welche nicht. Zwischen Zeigen und Nicht-Zeigen gibt es analog wie digital Spielräume, wie repräsentationskritische Szenografien aus Ausstellungsprojekten der letzten Jahre zeigen. Dabei geht es nicht nur darum, Rücksicht auf Menschen mit Diskriminierungserfahrungen zu nehmen. Museen sollten als Bildungsorte auch den Menschen ohne entsprechende Lesefähigkeit vermitteln, warum Inhalte diskriminierend und verletzend sind.
Zensur? Im Gegenteil, Demokratisierung!
Aber ist das Nicht-Zeigen eine ‘Verfälschung der Geschichte’? Erstens: Museen haben immer auch schon verborgen. Sei es, weil Objekte im Depot zumindest dem allgemeinen Publikum entzogen oder in nicht-barrierefreien Ausstellungsräumen nicht für alle zugänglich sind. Oder sei es, weil die historischen Erfahrungen ganz vieler Menschen und Bevölkerungsschichten sowieso gar nicht erst repräsentiert sind. Sammlungen und Ausstellungen können nicht einfach mit ‘der Geschichte’ gleichgesetzt werden – das widerspricht nur schon einem quellenkritischen Denken der Geschichtswissenschaft.
Zweitens: Selbstverständlich sollten auch ‘problematische’ Sammlungen für akademische Forschung sowie Citizen Science oder kollaborative Projekte zugänglich bleiben, nicht zuletzt für die Erforschung von Diskriminierungsformen selbst. Es ist gar bedeutend, dass Museen die Spuren nicht verwischen, die darauf hinweisen, dass gewaltvolle Wissensproduktion und deren Vermittlung in die Geschichte der Institution eingeschrieben sind. Die Frage ist nur: Welchen Dingen soll Sichtbarkeit gegeben werden? In welchem Kontext und für wen? Wer muss was lernen – oder verlernen?7 Und vor allem: Wer entscheidet über diese Fragen? Das Problem beginnt oft schon damit, dass in den Institutionen selbst die kritische Lesefähigkeit fehlt, um diskriminierende Inhalte oder auch Situationen des Arbeitsalltags zu erkennen.
Wenn sich Museen mit Diskriminierungskritik beschäftigen und auch einmal entscheiden, etwas nicht (mehr) zu zeigen, geht es also nicht um eine Form von Zensur. Es sollte vielmehr darum gehen, dass die Repräsentierten in Entscheidungen darüber einbezogen werden, wie sie repräsentiert werden. «Nothing about us without us» lautet die klassische Forderung verschiedener sozialer Bewegungen.
GLAM-Strukturen in den Blick nehmen
Und die Frage des Zugangs ist nochmals weiter zu denken: Wer arbeitet überhaupt in Museen? Welche Erfahrungen und Perspektiven fehlen in den Teams? Mit welchen Ansprüchen und Dynamiken sind ‘ge-anderte’ Personen konfrontiert, die in diesen Institutionen neu arbeiten und dabei institutionelle Bedürfnisse von ‘Diversität’ erfüllen sollen? Hier fehlt es in den Museen noch weitgehend an Selbstreflexion, Sensibilität und diskriminierungskritischem Wissen.
Anders gesagt: Die Museen brauchen neue akademische, aber ebenso sehr Alltagsexpertisen. Wenn in Museen mehr Erfahrungen vertreten sind, werden auch Diskussionen darüber anders verlaufen, was problematisch oder sensibel ist, wie damit umzugehen ist und wie Zugänge für möglichst viele geschaffen werden können.
Zum Schluss die Frage: Was davon ist auch für Archive, Bibliotheken oder Dokumentationszentren relevant? Sicher ist die Debatte um das Recht auf Zugang in der Archivwelt anders gelagert, mit einer sehr direkten staatspolitischen Dimension. Aber nicht nur in Museen, sondern auch in den anderen GLAM-Institutionen wird Wissen überliefert, in das Ungleichheiten und Formen epistemischer Gewalt eingeschrieben sind. Die positiven Bemühungen um mehr Vermittlung werfen die Frage auf, wie dabei mit sensiblen Themen umgegangen wird. Besonders öffentliche Bibliotheken sind zudem wie Museen soziale Räume, die sich möglichst der ganzen Bevölkerung öffnen wollen.
Der Bedarf nach Sensibilitäten und diskriminierungskritischem Wissen besteht also auch hier, und dies wird auch zunehmend reflektiert.8 Verstärkt zu diskutieren, was Museen und andere GLAM-Institutionen im Hinblick auf ‘problematische Bestände’ und Zugänge – im Plural – voneinander lernen können, wäre wohl für alle Seiten ein spannender Prozess.
- 1 § 1.4 Zugänglichkeit, Ethische Richtlinien für Museen von ICOM, revidierte Version 2004: https://www.museums.ch/assets/files/dossiers_d/Standards/ICOM_Ethische_Richtlinien_D_web.pdf, S. 9.
- 2 § 4.3 Ausstellung sensibler Objekte, Ethische Richtlinien für Museen von ICOM, S. 19.
- 3 Das Thema Restitution ist für die Dekolonisierungsdebatte zentral. Ich klammere es hier bewusst aus, weil ich dafür kein Experte bin und weil es den Rahmen des Artikels sprengen würde.
- 4 Vgl. Landkammer Nora, Das Museum verlernen? Kolonialität und Vermittlung in ethnologischen Museen, Bd. 1, Wien: zaglossus, 2021, S. 13.
- 5 Vgl. Geulen Christian, Geschichte des Rassismus, 3., durchgesehene Auflage, München: C.H.Beck, 2017.
- 6 In einer vom Schweizerischen Nationalmuseum initiierten Arbeitsgruppe entwickeln seit Herbst 2022 mehrere Institutionen eine Handreichung zu diskriminierungs- und rassismuskritischer Arbeit in musealen Objektdatenbanken. Ich nehme als Vertreter des Museums für Kommunikation an der Arbeitsgruppe teil. Im vorliegenden Artikel formuliere ich meine persönlichen Überlegungen.
- 7 Gayatri C. Spivaks Begriff des Verlernens bezieht sich darauf, dass z.B. eurozentrisches Wissen zuerst ‘verlernt’ werden muss, um Diskriminierung und Privilegien überhaupt zu erkennen. Für den Museumsbereich vgl. Landkammer (a.a.O.), besonders S. 158-166.
- 8 So wird etwa 2024 eine Masterarbeit von Stephanie Willi zur Dekolonisierung von Schweizer Archiven erscheinen.
Résumé
- Deutsch
- Français
Museen sollen ihre Sammlungen zugänglich machen. ‘Problematische’ Sammlungen und diskriminierende Inhalte werfen jedoch die Frage auf, ob es bei Zugang und Sichtbarkeit Grenzen gibt. Der Artikel votiert dafür, Zugang breit zu denken, Ausschlüsse in den Blick zu nehmen und Repräsentierte in Entscheidungen über Repräsentationsfragen einzubeziehen. Wenn in den Institutionen selbst mehr Erfahrungen vertreten sind, können auch Diskussionen über den Umgang mit schwierigem Erbe produktiver verlaufen.
Les musées doivent rendre leurs collections accessibles. Les collections 'problématiques' et les contenus discriminatoires soulèvent toutefois la question des limites de l'accès et de la visibilité. L'article préconise de penser l'accès au sens large, de prendre en compte les exclusions et d'impliquer les personnes représentées dans les décisions relatives aux questions de représentation. Si davantage d'expériences sont représentées au sein des institutions elles-mêmes, les discussions sur la gestion d'un héritage difficile peuvent également être plus productives.