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Die Bewertung ist ein Arbeitsvorgang, der in allen Epochen und Gesellschaftsformen anzutreffen ist. Sie dient immer dazu, eine Grenze zu ziehen zwischen dem, was zulässig ist, und dem, was unzulässig ist. Ist diese Grenze einmal gezogen, kann der eigentliche Bewertungsvorgang gestartet werden – manchmal endet das optimal, manchmal katastrophal.
In der I&D-Fachwelt existieren zahlreiche Definitionen für den Begriff. Ein klassisches Beispiel: Der in unserer Gesellschaft bestehende Informationsbedarf resultiert aus einer erworbenen Kompetenz, die mit unserem gesellschaftlichen Akkulturationsprozess und unserer Fähigkeit, Wissenslücken zu erkennen und diese zu schliessen, eng verknüpft ist. Von einer umfassenden Informationskompetenz kann aber erst dann gesprochen werden, wenn die «erworbene Kompetenz» um die Fähigkeit erweitert wird, Informationen zu suchen und nutzen. Zwischen Informationssuche und Nutzung derselben schiebt sich der heikle Vorgang der Bewertung. Letztere wird aus einer Fülle von mehr oder minder vertrauenswürdigen Informationsquellen vorgenommen. Einige davon sind gratis zugänglich, andere nicht (obwohl mit RSS-Feeds eine gezielte Überwachung möglich wäre). Die Bewertung stützt sich auch auf die Tatsache, dass wir technisch immer besser in der Lage sind, als Informationsproduzenten zu agieren (ohne ständig überprüfen zu müssen, ob die Informationen aus 1. oder aus 2. Hand stammen). Will man die quantitative und qualitative Relevanz der Informationen, die das Netz «übervölkern», korrekt bewerten, sollte man sich auch über die Grenzen der heutigen Suchmaschinen im Klaren sein (das Deep Web soll hier nicht angesprochen werden).
Die Bewertung führt uns also letztlich zur Problematik der information literacy, die allerdings im Archivwesen eine untergeordnete Rolle spielt, sind doch Archive immer stärker mit einer Aktenproduktion konfrontiert, die sich den Prozeduren der Informatik anpassen muss. Archivare müssen ihre Bewertungskriterien, die den historischen Kontext berücksichtigen, stärker in die Waagschale werfen, und sie müssen aufzeigen, dass die Akten Bezüge aufweisen, ohne dabei vom Grundsatz «Es muss alles aufbewahrt werden» abzuweichen.
Die praktischen Voraussetzungen für die Bewertung von Informationen verändern sich im Gleichschritt mit den Umwälzungen, welche «archivproduzierende» Institutionen erleben: Innerhalb weniger Jahre wurden die zentralen Informatiksysteme abgelöst durch eine dezentrale Informatiktechnologie in den Verwaltungsabteilungen. Heute wird diese Schritt für Schritt abgelöst durch unterschiedliche Dokumentations-Managementsysteme, die die Anforderungen des Alltags und die Vorgaben eines langfristig ausgerichteten records management unter einen Hut zu bringen versuchen. Kaum ein Archivar kann heute der damit verbundenen Problematik ausweichen. Kommt erschwerend hinzu, dass die administrative Produktion auf Servern liegt, welche gesplittete Umgebungen (Windows-Betriebssysteme, Intra-, Extra- und Internet) aufweisen.
Die vom VSA organisierte Fachtagung «Die Zukunft in unseren Händen – Bewertung als archivische Kernaufgabe» ist Anlass genug, das Thema in dieser Ausgabe von arbido aus Schweizer Sicht noch einmal zu vertiefen.
Die Redaktion möchte sich herzlich bei Hans von Rütte, Lehrbeauftragter für Archivistik der HEG Genf, für die gute Koordinationsarbeit bedanken. Wir wünschen eine unterhaltsame Lektüre!