Elektronisches Publizieren – hat die gute alte Gutenbergpresse ausgedient? Gedanken und Standpunkte
Menschen aus der Medienbranche sprachen beim Erscheinen erster elektronischer Publikationen von einem Durchbruch vergleichbar mit der Erfindung des Buchdruckes. Doch lässt man alle kommerziellen Sichtweisen beiseite, dann wird deutlich, dass es sich beim elektronischen Publizieren immer noch um das gleiche Publizieren wie in Büchern oder Zeitschriften handelt, nur die Form und die Datenträger haben sich verändert.
Elektronisches Publizieren umfasst folgende Eckpunkte:
Das Publizieren ist auf ein mehr oder weniger anonymes Publikum ausgerichtet. Der Schritt, bis ein Dokument öffentlich ist, wurde drastisch verkürzt. Manchmal liegen dazwischen wenige Mausklicks.
So entsteht eine indirekte Kommunikation zwischen Autoren und ihren Lesern mittels Dokumenten. Die Rollen können in diesem Dialog wechseln. Die Autoren tauschen so ihre Argumente aus, ohne sich vielleicht jemals persönlich zu begegnen oder auch nur einmal je ein persönliches Wort miteinander getauscht zu haben.
Auch für elektronische Publikationen ist es wichtig, dass die zu publizierenden Dokumente einem Selektionsprozess unterliegen. Dies ist bereits bekannt, zum Beispiel bei Publikationen in wissenschaftlichen Zeitschriften, bei denen eingereichte Artikel vor ihrer Veröffentlichung von wissenschaftlichen Gutachtern auf Richtigkeit und Qualität überprüft und im Falle eines negativen Entscheides zur Veröffentlichung abgelehnt werden.
Eine elektronische Publikation liegt in ihrer Urform immer digital vor. Das Dokument existiert also als File, das heisst als eine Abfolge von Bits. Diese Files werden auf einem Datenträger gespeichert und archiviert.
Es braucht die technischen Verbreitungsmöglichkeiten und die kommerziellen Vertriebskanäle von Verlagen, Sendern usw. nicht mehr unbedingt, um an eine interessierte Öffentlichkeit zu gelangen.
Die grössten Kosten beim elektronischen Publizieren erwachsen bis zur Entstehung des elektronischen Originals.
Die Kosten für die weiteren Kopien tendieren gegen null.
Anders als z.B. im Fernsehen, bei dem ein Bericht zu einer bestimmten Zeit gesendet wird, liegt im Wesen einer E-Publikation die Zeitpunktunabhängigkeit ihrer Nutzung. Der Konsument ist fast frei von zeitlichen Zwängen, das heisst, er kann die Publikation lesen, wann er will.
Der grösste Nachteil elektronischer Publikationen im Vergleich zu ihren gedruckten Pendants ist die Notwendigkeit des Gebrauchs technischer Hilfsmittel, um Zugang zum Inhalt des elektronischen Dokuments zu erhalten. Bestimmte Hard- und Software sind hier meist zwingende Voraussetzung.
Die Digitalisierung und damit das elektronische Publizieren haben der juristischen Branche zusätzliche Arbeit und Einkommen gebracht.
Das Urheberrecht wurde und wird überarbeitet. Der Interessenausgleich hat sich zugunsten der Verwertungsgesellschaften verschoben. Es gibt Versuche, das Recht auf Privatkopie im Bereich digitaler Technologien auszuschliessen.
Die IT-Branche arbeitet auch an neuen elektronischen Schutzmechanismen, die den Zugang nur unter gewissen Bedingungen freigeben und die unter den Schutz der Urheberrechtsgesetzgebung gestellt werden sollen.
Die Technologien haben veränderte Formen elektronischen Publizierens ermöglicht:
Online- bzw. CD-ROM-Verzeichnisse, Kataloge und Bibliografien
Das Verzeichnis Lieferbarer Bücher im World Wide Web
Nachschlagewerke im WWW
Neue Publikationsforen und -formen wie Wikipedia und Google Earth
Zeitungen und Zeitschriften
Stundenaktuelle Zeitungen, die nur elektronisch verfügbar sind wie die Netzeitung
Ergänzungsforen zu den Printmedien wie Spiegel online
Informationssammlungen
Gesetzestexte des Bundes und der Kantone und Urteile verschiedener Gerichtsinstanzen
Normen der DIN oder der ISO
Die neuen Publikationsformen und Publikationsmöglichkeiten eröffnen auch neue Wege in der Kommunikation von Bürgerinnen und Bürgern, von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen untereinander.
Publikationsprozesse werden dynamischer, vernetzter und kooperativer und erhalten einen grossen Geschwindigkeitsschub in der Verbreitung der Informationen.
Das Hypertextkonzept an sich beinhaltet auch schon die Vernetzung der einzelnen Dokumente und Publikationen.
Länder- und Kontinentsgrenzen spielen keine Rolle mehr, Sprachkenntnisse schon. Die englische und die chinesische Sprache sind die verbreitetsten Sprachen im World Wide Web.
Welche Weiterentwicklung, welche Tendenzen hält die Zukunft des elektronischen Publizierens bereit?
Die Forschung wird Mittel und Wege dazu finden, die Zitierbarkeit elektronischer Publikationen und deren Nachweis bei der Recherche in Suchmaschinen zu verbessern. Hier werden vor allem zwei Ziele verfolgt:
1. Eine einheitliche Beschreibung elektronischer Dokumente erreichen. Ein wesentlicher Lösungsansatz ist hierbei das Dublin Core Metadata Element Set
2. Eine dauerhafte Adressierung elektronischer Dokumente erreichen. Dies soll das Problem der ständig wechselnden URLs lösen und eine quellensichere Zitierung ermöglichen. Ein Ansatz liegt mit Digital Object Identifier (DOI) vor.
3. Wichtig ist bei elektronischen Publikationen auch immer, dass diese auf Standards beruhen, damit alle beteiligten Computer sie darstellen können. Hier werden bereits bestehende Standards wie Extensible Markup Language (XML) weiterentwickelt werden.
Als Fazit lässt sich feststellen, dass elektronisches Publizieren keine Revolution, sondern eher eine Verschiebung in der Aufgabenkonstellation zwischen Autor – Verlag – Informationsvermittlung und den Nutzern darstellt.
Der Autor wird schon bei der Entstehung seines Dokuments mehr als bisher mit dem Erscheinungsbild der Publikation zu tun haben, während der Nutzer sich mehr auf die von ihm gesuchten Informationen zubewegt und auch durch eine grössere Anzahl an Kommunikationskanälen einen grösseren Einfluss auf die (mitunter bereits bestehende) Publikation hat.
Somit kann der Autor den Inhalt sekundenschnell aktualisieren, verändern oder ihn auch ganz vom World Wide Web zurückziehen.
Von solchen Möglichkeiten konnte Gutenberg nicht einmal träumen.