Einblick in eine Anwaltsbibliothek
Zur Firmenbibliothek der Anwaltskanzlei Lenz & Staehelin haben normalerweise nur die rund 190 Mitarbeitenden Zugang. Für arbido gewährt die Bibliotheksleiterin Einblicke in den Alltag einer Bibliothek, die 365 Tage im Jahr rund um die Uhr geöffnet ist und wo die zentrale Frage lautet «Wie dringend ist es?»
Lenz & Staehelin ist eine Schweizer Anwaltskanzlei mit Standorten in Zürich, Genf und Lausanne. Die Geschichte des Zürcher Standortes reicht bis 1917 zurück als Conrad Staehelin die Kanzlei gründete. 1991 entstand Lenz & Staehelin in der heutigen Form aus dem Zusammenschluss der Zürcher Kanzlei unter Conrads Sohn Willy Staehelin und der Genfer Kanzlei unter Raoul Lenz. Der Standort Zürich hat heute 190 Mitarbeitende.
Der Bibliotheksbestand war am Anfang nur in einem kleinen Raum untergebracht und wurde durch eine Anwältin betreut. Viele Anwältinnen und Anwälte verfügten damals noch über eigene umfangreiche Handbibliotheken. Später wurde die Betreuung von einem Partner übernommen. Mit Hilfe einer Assistentin wurde ein eigenes Klassifikationssystem entwickelt, dessen Grundbestandteile bis heute in Verwendung sind. Seit 1995 wird die L&S-Bibliothek durch eine professionelle Bibliothekarin betreut.
Bibliothekstyp, Fakten und Benutzung
Die L&S-Bibliothek unterscheidet sich von einer öffentlichen Bibliothek wesentlich im Zugang: Sie ist eine geschlossene Firmenbibliothek und steht nur den Mitarbeitenden von Lenz & Staehelin, in erster Linie dem juristischen Personal, zur Verfügung. Externe haben keinen Zugang und der Bibliothekskatalog kann nur intern durchsucht werden.
Die L&S-Bibliothek ist eine «One Person Library». Eine solche wird per Definition hauptsächlich von einer Person betreut, die fachlich auf sich allein gestellt ist, sämtliche Informationsbedürfnisse einer Organisation oder eines Unternehmens abdeckt und alle Geschäftsvorgänge (Erwerbung, Erschliessung, Verwaltung, Rechercheberatung) selbständig ausübt. Dennoch trifft die Bezeichnung «One Person Library» für die L&S Bibliothek nur teilweise zu, weil die Bibliothekarin an zwei Tagen pro Woche von einer studentischen Mitarbeiterin unterstützt wird.
Im Hinblick auf den Sammlungsschwerpunkt ist die L&S-Bibliothek eine Spezialbibliothek, da sie ausschliesslich aktuelle Literatur aus dem Bereich Recht mit dem Schwerpunkt Wirtschaftsrecht (Banken-, Kapitalmarkt-, Gesellschafts-, Immaterialgüter-, Steuer-, Wettbewerbsrecht usw. – mehr Informationen auf der L&S-Website) sammelt.
Der Bibliotheksbestand setzt sich aus ca. 5'000 Büchern, 800 E-Books, 75 Zeitschriften und E-Journals, 30 Datenbanken sowie einigen Loseblattsammlungen zusammen.
Die Bibliothek ist immer offen: 24 Stunden pro Tag, 7 Tage die Woche, 365 Tage im Jahr. Das juristische Personal benötigt jederzeit Zugriff auf Informationen. Die Ausleihe erfolgt selbständig in der Bibliothek oder über den Bibliothekskatalog am Arbeitsplatz. Im Gegensatz zu öffentlichen Bibliotheken gibt es bei Lenz & Staehelin kein Mahnsystem, denn dies wäre mit dem oft sehr stressigen Arbeitsalltag nur schwierig vereinbar. Im Bibliothekskatalog ist jeweils ersichtlich, bei wem sich ein ausgeliehenes Buch befindet, aber natürlich nur sofern es korrekt ausgeliehen wurde. Falls ein Buch vermisst wird, verschickt das Bibliotheksteam im Auftrag der suchenden Person ein Büchersuchmail an das juristische Personal, in der Hoffnung, dass das vermisste Buch bald wieder auftaucht. Diese Suchmails geniessen inzwischen Kultstatus in der Kanzlei und wurden schon in Abschiedsmails von Mitarbeitenden erwähnt.
Arbeitsbereiche der Bibliothekarin
Die Aufgaben der Bibliothekarin umfassen folgende vier Bereiche:
- Bestandsmanagement der Bibliothek.
- Administration von 30 Datenbankabonnementen.
- Bibliothekseinführungen und Datenbankschulungen für neue Mitarbeitende.
- Know-How Management.
Das Bestandsmanagement umfasst alle Vorgänge der Erwerbung: Bücher und E-Books zur Ansicht oder zum Kauf vorschlagen und bestellen, Rechnungskontrollen und Kommunikation mit Verlagen und Buchhandlungen. Neue Bücher werden im Bibliothekssystem erfasst und in der Bibliothek präsentiert. Einmal im Monat werden die Neuanschaffungen in einer Liste zusammengefasst, die per Mail an das juristische Personal verschickt wird. Zusätzlich erfolgt eine kontinuierliche Pflege und Bereinigung des Bibliothekskatalogs, damit dieser aktuell und übersichtlich bleibt. Beschädigte Bücher werden zur Reparatur zum Buchbinder geschickt, welcher auch die Mehrheit der abonnierten Zeitschriften einmal pro Jahr bindet. Hinzu kommt die Organisation von Büchern aus der Zentralbibliothek Zürich (ZB), der Bibliothek des Rechtswissenschaftlichen Instituts (RWI) Zürich und aus weiteren Bibliotheken in der Schweiz.
Bei der Datenbankverwaltung fallen jährliche Preisverhandlungen in Absprache mit den zuständigen Partnerinnen und Partnern, die Verwaltung der Nutzerlogins bei Personalmutationen und die Organisation von Testzugängen für neue Datenbanken an.
Alle neu eintretenden Juristinnen und Juristen bei Lenz & Staehelin erhalten Bibliothekseinführungen (30 Min.) und Datenbankschulungen (60 Min.), individuell angepasst auf ihre jeweiligen Fachgebiete. Diese Schulungen finden ein bis zwei Mal pro Monat statt.
Das Know-How-Management umfasst den täglichen Mailversand der jeweils aktuellen Ausgaben der 75 Zeitschriften und E-Journals mit Inhaltsverzeichnissen, sowie vieler weiterer Newsletter und Fachbeiträge aus unterschiedlichen Quellen. Jeden Freitag erhält das gesamte juristische Personal aller drei Standorte ein Rundmail, das einen Überblick über die aktuelle Rechtsprechung bietet. Die Bibliotheksrubrik im firmeneigenen Intranet wird laufend aktualisiert, damit der Zugriff auf die benötigten Informationen jederzeit gewährleistet ist.
Herausforderungen im Bibliotheksalltag
Eine der grössten Herausforderungen einer Anwaltsbibliothekarin ist die Vereinigung der verschiedenen Print- und Online-Medien. Die juristische Medienbranche der Schweiz ist sehr printlastig, doch findet eine zunehmende Verschiebung bzw. Angebotserweiterung in den digitalen Bereich statt. So werden juristische Fachzeitschriften immer häufiger nicht mehr nur als klassische Printzeitschrift angeboten, sondern zusätzlich oder sogar ausschliesslich online zur Verfügung gestellt. Bücher sind meistens zuerst gedruckt verfügbar und erst einige Monate später digital in Datenbanken zu finden.
Die L&S-Bibliothek ist ständigem Wandel ausgesetzt und es erfordert viel Flexibilität und Aufmerksamkeit, um auf dem Laufenden zu bleiben. Hinzu kommt die heterogene Gruppe der Bibliotheksnutzerinnen und -nutzer, die sich aus verschiedenen Generationen von Berufsleuten mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Vorkenntnissen zusammensetzt. Ältere Generationen bevorzugen eher Print, während jüngere Generationen häufiger online arbeiten.
Eine weitere Herausforderung für die Bibliotheksarbeit ist der grosse Zeitdruck, der oft im Anwaltsalltag herrscht: Die nächste Gerichtseingabefrist naht, das Rechtsgutachten muss abgegeben werden und das nächste Meeting steht an. Dafür muss man vorbereitet und auf dem neusten Stand sein.
Juristinnen und Juristen recherchieren viel in unterschiedlichen Quellen für Fälle, überprüfen Zitate und veröffentlichen Publikationen zu aktuellen Rechtsthemen. Informationen in Form von Zeitschriftenartikeln, Kapiteln oder Paragraphen aus Büchern und Auszügen aus Datenbanken müssen immer innert nützlicher Frist beschafft werden. Deshalb ist die Frage «Wie dringend ist es?» oder «Bis wann brauchst du/brauchen Sie es?» zentral für die Organisation des Arbeitsalltags. Rasch und präzise muss herausgefunden werden, wo die Information am schnellsten zu finden und zu beschaffen ist. Nur wenn die gesuchte Information am richtigen Ort zur richtigen Zeit ist, ist sie wirklich von Nutzen.
«Bücher und Bibliotheken spielen im Berufsleben von Juristinnen und Juristen eine grosse Rolle. Das Recht wird über die Sprache, Gesetzes- und Entscheidsammlungen sowie wissenschaftliche Literatur, manchmal auch über eher belletristische Texte vermittelt.»
Marti, Arnold: Gerichtsbibliotheken – ein alter Zopf? In: Wissensvermittlung und Recht. Festgabe zum 70. Geburtstag von Werner Stocker. S. 191 – 213. Zürich, 2020.
Nicht anders als in öffentlichen Bibliotheken wirft die zunehmende Digitalisierung auch in einer privaten juristischen Bibliotheken die kritische Frage auf: «Benötigt man in Zeiten des Internets überhaupt noch eine Bibliothekarin bzw. eine Bibliothek?»
Wir befinden uns in der Zeit der Datenflut. Es gibt Unmengen an potenzieller Information in Form von Daten, aber nicht alle sind relevant. Man benötigt jemanden, der die entscheidenden Quellen filtert, sie beschafft, zugänglich macht, vermittelt, den Überblick behält, sich damit auskennt, weiss wie sie zu benutzen sind und die Bibliotheksnutzerinnen und -nutzer darin schult.
Die Bibliothek ist längst nicht mehr nur als physischer Raum relevant, in dem Bücher und Zeitschriften aufbewahrt werden, sondern auch als Funktion bzw. Dienstleistung sowie als Schnittstelle zwischen Informationsangebot und Nutzerinnen und Nutzern. Die Digitalisierung führt keineswegs dazu, dass die Bibliothek nicht mehr benötigt wird, sondern lediglich zu einer Weiterentwicklung der Aufgabenbereiche.
Saying you don't need a librarian because you have the internet is like saying you don't need a math teacher because you have a calculator.