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2019/1 Zielgruppen

Marktsegmentierung – wie, was, wofür?

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Eine effektive Marktsegmentierung gruppiert Kunden in einer Weise, die zu Ähnlichkeit innerhalb jedes Segments und eindeutigem Unterschied zwischen jedem Segment nach relevanten Merkmalen führt. Ziel der Marktsegmentierung ist es, die spezifischen Bibliotheksdienste derart anzupassen, dass sie den Kunden und ihren Bedürfnissen entsprechen.

Die Nutzer der Bibliothek sind vielfältig. Der Bibliothekar nimmt verständlicherweise an, dass jede Person die Bibliothek und ihre Dienstleistungen nutzen will, kann und soll. Die Realität zeigt allerdings, dass lange nicht jedes Publikum einen lebensfähigen Markt für einen bestimmten Bibliothekstyp, ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Dienstleistung bietet. Darum ist es nötig, den Markt des potenziellen Publikums zu segmentieren.

Was ist Marktsegmentierung?

Segmentierung ist der Prozess der Kategorisierung von Kunden basierend auf Wünschen, Interessen und Bedürfnissen. Laut Suzanne Walters1 ist die Segmentierung aus drei Gründen eine gute Idee:

• Einfachheit: Es ist einfacher, die Bedürfnisse einer kleineren Gruppe von Kunden mit vielen gemeinsamen Merkmalen zu erfüllen.
• Effizienz: Marketing-Ressourcen werden effektiver genutzt, indem Sie sich auf die jene Bevölkerungsgruppen konzentrieren, die als Nutzende des Angebots tatsächlich in Frage kommen.
• Nischen: Sie können unterversorgte Märkte identifizieren und spezielle Zielgruppen oder Nischen ansprechen. 

Ist es möglich, mit Hilfe von Marketingtechniken und -praktiken neue Nutzer anzuziehen und die Unterstützung für Bibliotheken zu erhöhen? Tatsächlich kann Marketing einen Unterschied machen, wenn es um die (politische) Unterstützung der Bibliothek geht. Dabei sollten wir nicht ausschliesslich an die Bibliothekskundschaft denken, sondern auch an jene Menschen in der Gemeinde, im Kanton, die durch ihr Wahl- und Abstimmungsverhalten Support für die Bibliothek ausdrücken. Ein Beispiel liefert die Studie «From Awareness to Funding: Voter Perceptions and Support of Public Libraries in 2018»2 der American Library Association ALA und OCLC. Die Forschenden benutzten die Segmentierung, um eine vier verschiedene Arten von Bibliotheksunterstützenden zu identifizieren: Superunterstützer, wahrscheinliche Unterstützer, Barrieren für die Unterstützung und chronische Nichtwähler. So lassen sich dann für jedes Segment Massnahmen ergreifen, um die Unterstützungsbereitschaft zu erhöhen.

Wie können Kunden kategorisiert werden?

Um Marktsegmente zu identifizieren, ist es notwendig, Kunden zu kategorisieren. Laut Walters ist der häufigste Ansatz die Verwendung von Klassifikationsvariablen. Dazu gehören:

  • gemografische Variablen: Qualitäten wie Alter, Geschlecht, Einkommen, ethnische Zugehörigkeit, Bildung und Beruf;
  • Geografische Variablen: Informationen wie Stadt, Bundesland, Postleitzahl, Volkszählungsgebiet, Kreis, Region, Bevölkerungsdichte;
  • Psychographische Variablen: Elemente wie Einstellungen, Lebensstil, Gesundheit, Motivation, Eignung, Leselevel, Problemlösungsfähigkeit, Hobbys, Interessen;
  • Verhaltensvariablen: Nutzungsgrad, Art der Nutzung, Verteilungsmittel3

Die Zielgruppen der Bibliothek variieren je nach Art der Bibliothek. In der Bildung sind Disziplinen (Studiengänge), Jahrgänge oder auch Noten übliche Methoden, um das Publikum zu segmentieren. Eine weitere Überlegung ist die Segmentierung sozialer Gruppen. Dies kann mit der Demographie zusammenhängen, aber auch mit Interessen wie Hobbysportler, Künstlern und Musikern.In der Hochschulbildung wird zwischen Bachelor- und Masterstudenten unterschieden. Darüber hinaus ist Teilzeit gegenüber Vollzeit ein weiteres Segment.
Die Nutzenden einer Universitätsbibliothek können beispielsweise in die folgenden Kategorien eingeteilt werden4, 5:
• nach Art: wissenschaftliches Personal als Lehrer und als Forscher, Mitglieder der akademischen Gemeinschaft; Studierende; allgemeines Personal;
• nach Studienlevel: Undergraduate, Graduate, Postgraduate;
• nach informationssuchendem Verhalten: Seminarstudenten vs. Forschungsstudenten;
• Anwesenheit: Vollzeit vs. Teilzeit;
• Alter; unter 24 Jahren; zwischen 25 und 34 Jahren; 35 Jahre und älter; etc.

Eine Medizinbibliothek zum Beispiel könnte definieren:
• Allgemeinmediziner
• Spezialisten
• Physiotherapeuten
• Instruktoren
• examinierte Krankenschwestern und Pflegefachkräfte
• Apotheker
• Leiter von Patientenunterstützungsgruppen
• Beraterinnen
• Notfalltechniker
• Freiwillige

Segmentierung nach Such- und Nutzungsverhalten

Ein Marktsegment besteht aus einer Gruppe von aktuellen oder potenziellen Kunden, die gemeinsame Merkmale, Bedürfnisse, Verhaltensweisen oder Verbrauchsmuster aufweisen. Es ist wünschenswert, die Kunde in Segmente mit ähnlichen Attributen zu gruppieren. Zwei Bereiche können berücksichtigt werden: Nutzercharakteristika und Nutzungsverhalten.
Ein Marktsegment, das auf den Nutzercharakteristika basiert, sind zum Beispiel Studierende, die im Hochschulquartier wohnen und darum keine weite Anreise zur Universitätsbibliothek haben.
Ein Marktsegment, das auf dem Nutzungsverhalten basiert, sind zum Beispiel Personen, die den Printmagazin-Bereich der Bibliothek nutzen. Sie wissen möglicherweise nicht, wie sie die Online-Magazine lesen und ausleihen können.

Eine Schlüsselüberlegung für die Isolierung von Marktsegmenten sollte sein, was die Bedürfnisse des Benutzers mit der Bibliothek in Einklang bringt. Dabei ist es wichtiger, das Suchverhalten des Nutzenden zu kennen, als sein Alter oder andere demografische Informationen.
Neben dem Wissen, wie Marktsegmente zu Dienstleistungen passen, ist es auch wichtig, die Grösse eines bestimmten Segments zu kennen. Ewers und Austen stellen fest:«A numerically large segment with homogenous needs will potentially be most demanding but will respond to economies of scale and technological intervention. Smaller politically important groups may need specialist services but their number allows for tailoring services with a minimum of additional resources.»6, 7.
Der Aufwand für die Bearbeitung eines zahlenmässig grosses Segment mit homogenem Bedarf lässt sich also dank Skaleneffekten verringern, während man für kleinere Gruppen vielleicht spezielle Dienste anbieten muss. Beispiel: Die Zahl der Erstsemester-Studenten, welche die obligatorische Vorlesung besuchen müssen, ist gross, aber vorhersehbar. Es lohnt sich, webbasierte Materialien zu entwickeln, um die Bedürfnisse dieser Gruppe zu erfüllen.

Je präziser, je nützlicher

Achten Sie bei der Betrachtung der demografischer Daten auf die Merkmale klar definierter Gruppen. So lassen sich beispielsweise die traditionellen Phasen des Familienlebenszyklus in neun Kategorien einteilen – wobei beachtet werden muss, dass nichttraditionelle Zyklen heute die Norm sind:

  • Junggesellen-Phase: Singles, jung zu Hause wohnend
  • Neu zusammenlebende Paare (verheiratet): Paare ohne Kinder
  • Volles Nest Phase 1: Familie mit Kindern unter 6 Jahren
  • Volles Nest Phase 2: Familie mit Kindern ab 6 Jahren
  • Volles Nest Phase 3: ältere Paare mit unterhaltsberechtigten Kindern
  • Leeres Nest Phase 1: ältere Paare, noch im Berufsleben
  • Leeres Nest Phase 2: ältere Paare, pensioniert
  • Singles im Berufsleben: ledig, nicht (mehr) verheiratet
  • Singles im Ruhestand: ledig, nicht (mehr) verheiratet

Ganz wichtig: Seien Sie präzise! «Teenager» sind ein ziemlich weites Feld. Denken Sie an junge Erwachsene mit spezifischen Interessen oder Bedürfnissen.

Weitere Nutzercharakteristika, die für Marktsegmentierung genutzt werden können sind zum Beispiel Generationenzugehörigkeit, Ethnizität, geografischer Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung und Lebensweise. Egal welche Charakteristika genutzt werden, muss effektive Marktsegmentierung das Publikum so gruppieren, dass Ähnlichkeit innerhalb jedes Segments und Unähnlichkeit zwischen jedem Segment hinsichtlich relevanter Merkmale entsteht.

  • Timing: Unterschiedliche Kunden haben unterschiedliche Bedürfnisse in Bezug auf die Verfügbarkeit von Diensten. Berufstätige zum Beispiel können nur schwerlich an Angeboten am Dienstagmorgen teilnehmen. Und Jugendliche neigen nicht dazu, Frühaufsteher zu sein, so dass ein Samstagnachmittagsprogramm eine bessere Teilnahme haben könnte als ein Samstagmorgenprogramm.
  • Niveau der Fertigkeit: Die Kunden unterscheiden sich in ihrer Expertise im Bereich der Bibliotheken. Während einige Kunden wissen, was sie suchen und wie sie die Findmittel benutzen müssen, um das Gewünschte zu lokalisieren, benötigen andere Beratung und Unterstützung.
  • Bevorzugte Sprache: Damit ist nicht nur das Idiom (Hochdeutsch, Schweizerdeutsch, Englisch), sondern auch das Sprachregister und der Stil gemeint. Verschiedene Benutzergruppen können auf Marketingkommunikation unterschiedlich reagieren. Während z. B. einige Emojis zu interpretieren wissen, finden andere deren Gebrauch unangebracht.
  • Zugang zur Technologie: Während einige Kunden aktive Nutzer von Technologien sind, bevorzugen andere die persönliche Kommunikation. Beim Entwickeln des elektronischen Bestandes und der Angebote, die auf dem Einsatz von neuen Technologien basieren, erkennen Bibliotheken schnell, dass die Kundschaft auch nach dem Grad der Bereitschaft und der Kompetenz im Umgang mit neuen Technologien segmentiert werden kann.

Wem sollen wir dienen? 

Welche Segmente passen am besten zu unserer Mission und unseren aktuellen Fähigkeiten? Diese Frage sollte regelmässig gestellt werden. Wichtig ist zu akzeptieren – auch wenn die Bibliothek für alle da sein will und muss –, dass einige Marktsegmente bessere Möglichkeiten bieten als andere. Die Auswahl der Zielsegmente sollte nicht nur nach ihrem Potenzial erfolgen, sondern auch nach der Fähigkeit der Bibliothek, konkurrierende Angebote, die sich an dieselben Segmente richten, zu vergleichen oder zu übertreffen.

In Konsequenz stellt sich die Frage: Welche spezifischen Segmente sollten angesprochen werden? Targeting beinhaltet die Auswahl der Marktsegmente, die im Mittelpunkt des Marketingplans stehen; sie sind die Zielgsegmente. Ein Zielsegment ist ein spezifischer Schwerpunkt, der zur Mission und zu den Möglichkeiten der Bibliothek passt. Wie bereits gesehen ist es sinnvoll, um die Effizienz und Effektivität der (Marketing-)Kommunikation zu steigern, Menschen nach ähnlichen Merkmalen zusammenzufassen. Diese Ziele haben wahrscheinlich ähnliche Wünsche, Bedürfnisse und Interessen. Diese Segmentierung des Publikums ermöglicht eine präzisere Fokussierung der Kommunikation. Es tut gut zu wissen, dass sogar Fachleute empfehlen, mit jenen Zielgruppen zu beginnen, die am empfänglichsten sind, das heisst, mit denen man am schnellsten Resultate erzielt. 

Laut Nancy Lee und Philip Kotler sind jene Massnahmen am effektivsten, die sich an handlungsbereite Marktsegmente richten; diese «tief hängenden Früchte» seien leichter zu erreichen. Folgende Merkmale helfen, sie zu identifizieren8:

  • Bedarf vorhanden: Das Zielsegment hat einen Wunsch, der erfüllt, ein Bedürfnis, das befriedigt oder ein Problem, das gelöst werden soll. Beispiel: E-Books sind über den Katalog ausleihbar, damit sich die Leute nicht vor Ort in die Bibliothek begeben müssen.
  • Wissen vorhanden: Das Zielsegment weiss Bescheid über den Nutzen eines Angebots oder einer Verhaltensweise und über Kosten alternativer Verhaltensweisen . Beispiel: Die Eltern wissen, dass die Teilnahme an einem Sommerleseprogramm den Schulerfolg ihres Kindes im nächsten Schuljahr erhöhen kann.
  • Glaube vorhanden: Das Zielsegment glaubt daran, dass ihr Verhalten ihnen gewichtige Vorteile bringen wird. Beispiel: Der Student glaubt, dass die Teilnahme an einem Rechercheworkshop hilft, eine bessere Note für seine Masterarbeit zu erzielen.
  • Aktion vorhanden: Das Zielsegment ist bereits aktiv und sieht einen gewissen Nutzen, aber noch nicht regelmässig. Beispiel: Die Eltern versuchen, ihrem Kleinkind mehr vorzulesen und erkennen, dass eine Krabbel-Lese-Gruppe sie darin unterstützten könnte.

Fassen wir zusammen: Es ist nicht realistisch, dass eine Bibliothek versucht, alle potenziellen Kunden in einem Markt anzusprechen, weil die Nutzer zu zahlreich, zu weit verstreut und in ihren Bedürfnissen, Verhaltensweisen und Konsummustern zu unterschiedlich sind.
Anstatt zu versuchen, auf einem ganzen Markt zu konkurrieren, muss sich jede Bibliothek auf die Kunden konzentrieren, denen sie am besten dienen kann. Unter Fokussierung versteht man die Bereitstellung einer Mischung von Dienstleistungen für ein bestimmtes Marktsegment. Diese Marktsegmente weisen gemeinsame Merkmale, Bedürfnisse, Verhaltensweisen und/oder Nutzungsmuster auf.

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Annette Lamb

Dr. Annette Lamb war Professorin für Bibliotheks- und Bildungswissenschaft, u. a. an der Indiana University, Indianapolis (IUPUI).
Annette promovierte in Bildungstechnologie an der Iowa State University. Ihre Wurzeln in den Bereichen Bibliothek, Medien und Technologie spiegeln sich in ihrer Leidenschaft für interdisziplinäre Ansätze wider und für die Nutzung einer Vielzahl von Ressourcen, von Büchern bis zum Internet.

  • 1 Walters, Susanne; Jackson, Kent, Breakthrough Branding: Position your Library so Survive and Thrive, News York, American Library Assocation, 2014, S. 34-35.
  • 2 https://www.oclc.org/research/...
  • 3 Walters, Susanne; Jackson, Kent, Breakthrough Branding: Position your Library so Survive and Thrive, News York, American Library Assocation, 2014, S. 35.
  • 4 Ewes, Barbara; Austen, Gaynor, «A framewowrk for market orientation in libraries», in Gupta, Dinesh K. (et al.), Marketing library and information services: International Perspectives, München: Saur, 2006, S. 2
  • 5 .
  • 6 Idem, S. 23-24
  • 7
  • 8 Lee, Nancy R., Kotler, Philip, Social marketing: influencing behaviors for good, Thousand Oaks, Sage Publications, 2011, S. 59-60.