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2019/1 Zielgruppen

Erwartungen und Wünsche von Genealogen an Archive

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Genealogen sind möglicherweise für Archive eine spezielle Kundschaft. Da gibt es einerseits kundige Historiker, die sich mit Archiven auskennen, anderseits die Unbedarften, die von Archiven, aber auch von genealogischen Vereinen erwarten, auf null Komma nichts mit druckfertigen Angaben versehen zu werden. Die grosse Menge liegt dazwischen.

Genealogen sind wie alle Menschen mehr oder weniger freundlich, unbeholfen, sicher, ängstlich oder taktvoll. Meist sind sie, wenn sie mit Forschen beginnen, schon etwas älter und sie brauchen zu Beginn Unterstützung, wachsen aber in ihr Metier hinein und bleiben dank ihrer emotionalen Beziehung zur Materie intensiver am Ball als manche Studenten. Ihre Neugier, ihre geschichtliche Betätigung und ihre Arbeiten strahlen aus, erzeugen in ihren Familien historisches Interesse und damit eine Breitenwirkung, ohne die Archiven gegenüber wohl ein viel rauerer Wind wehen würde. Von Seiten der Genealogen erwarten wir darum zu allererst eine Wertschätzung, die Familienforscher nicht zu zweitklassigen Forschern deklassiert. Dazu gehört eine Atmosphäre der Freundlichkeit, des Wohlwollens und der leichten Zugänglichkeit am Empfang und auf der Website der Archive.

Gute und schlechte Erfahrungen

Zwei No-go-Erfahrungen haben, wenn man nicht gerade selbst betroffen ist, mit erheiterndem Charakter: In einem Archiv bittet eine Frau um Akteneinsicht. Die Archivperson stellt sich vor den Besuchertisch, öffnet die Dokumentenmappe, scheint verunsichert, beugt sich vor und legt den Ellbogen auf einen nicht dazugehörigen Eintrag. Von Wohlgefühl war da keine Rede.
Auf einer Gemeindekanzlei werde ich an den Tisch direkt neben dem Büropult gewiesen, bekomme ein über hundertjähriges Ehebuch vorgelegt, werde über Datenschutz informiert, darf nicht fotografieren und muss während meines ganzen Aufenthalts sämtliche Telefongespräche mithören, einige von hoher Brisanz. Im Gegensatz zu solch übler Behandlung erfahren Archivbesucher mit genealogischem Forschungsinteresse meist viel Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft.

Melchior Schmid Bern 004

«Für mich ist das Staatsarchiv Luzern ein Paradebeispiel für ein optimales Betätigungsfeld.» Diese Einschätzung höre ich von Familienforschern immer wieder. Sie betrifft den Empfang, die Auskünfte, die Erschliessung der Archivalien, Recherchemöglichkeiten und viel Weiteres. Kleinere Archive, auch kantonale mit weniger Personal, können da nicht mithalten. Sie erwarten vom Benutzer sinnvollerweise vorherige Anmeldung. «Ein anderes Bild», so meint ein Forschungskollege, «zeigt sich bei den Gemeindearchiven, wo es oft an kundigem Personal fehlt. Dabei können gerade Gemeindearchive den Genealogen die noch fehlenden Mosaiksteinchen liefern. Ich erwähne ein paar Dokumentgruppen, die sich teilweise nur in den Gemeindearchiven finden: Steuerakten, Katasterbücher, Teilungsprotokolle, Schulakten, Lehrertagebücher, Altersheim- und Waisenhausakten, Schriftenkontrollen, Vogt- und Vormundschaftrechnungen, Frauenmittelkontrollen etc. Weiter zurück als die Gemeindearchive reichen die Twing- oder Korporations-Archive. Sie sind eine Fundgrube für Genealogen, die etwas mehr über ihre Vorfahren wissen wollen als das, was in den Kirchenbüchern steht. Sie sind in der Regel aber schwer zugänglich und kaum betreut.»

Zentraler Zugang und Digitalisierung

Schwere Zugänglichkeit und marginale Betreuung von Gemeinde-, Pfarrei- und Sonderarchiven sind der Grund, warum sich manch einer mehr Zentralisierung oder zentralen Zugang wünscht. Dazu gehören die Verfilmung und zentrale Verfügbarkeit der wichtigsten Archivalien. Sogar die Kirchbücher mancher Pfarreien sind bis heute nicht oder nicht vollständig verfilmt. In die gleiche Richtung zielt der Wunsch nach Digitalisierung und Online-Zugang solcher Archivalien, nach gut erschlossenen und online verfügbaren Sach- und Namenregistern von Archivbeständen, zum Beispiel von Ratsprotokollen. Staatsarchive können kleinere Archive der Region ermuntern, ihre Bestände zu ordnen, detailliert zu verzeichnen und die Verzeichnisse womöglich online zugänglich zu machen, und sie können ihnen dabei behilflich sein. Dabei ist Fingerspitzengefühl angesagt, denn jedes Archiv möchte seine Autonomie bewahren.

Melchior Schmid Bern 005

Gewünscht wäre sicher ein leichterer Zugang zu Diözesanarchiven. Dort gibt es Berührungsängste, was besonders an übergeordneten Stellen liegt. Vor wenigen Jahren scheiterte eine neuzeitliche Digitalisierung von katholischen Kirchenbüchern daran, dass ein Bischof oder sein Bischofsvikar nicht wollte.

Personendaten der Zukunft

Niemand weiss, wie wir in vollständig digitalisierter Zukunft an Personendaten herankommen werden. Bisher kamen Register in Papierform nach einer gewissen Zeit in die Staatsarchive und waren dort nach Ablauf der Schutzfristen einsehbar. Bei den heutigen zentralen Personenregistern wird das kaum mehr der Fall sein. Und so wissen wir diesbezüglich nicht einmal, was wir von Archiven wünschen wollen.

Abschliessend seien unsere Wünsche aus der Sicht von Genealogen in einigen Stichwörtern zusammengefasst.

Zum Online-Besuch

  • Besucherfreundliche und regelmässig aktualisierte Websites
  • Tipps für die Familienforschung auf der Website, Hinweise auf Schutzfristen, Ansprechpersonen etc. - Links zu genealogischen Vereinen und regionalen oder überregionalen Archiven, z. B. Militärarchiv
  • Überblick über die für die Familienforschung wichtigen Bestände des jeweiligen Archivs («Mehr als Kirchenbücher»). Detaillierte Findmittel (Verzeichnisse), die auch online recherchiert werden können
  • Einige digitalisierte Archivalien, die einen Benutzer unabhängig von Öffnungszeiten recherchieren lassen
  • Eine einzelne Auskunft ausnahmsweise auch mal per E-Mail an Auswärtige

Zum Besuch vor Ort

  • Öffnungszeiten, die auch einem berufstätigen Forscher einen gelegentlichen Besuch im Archiv erlauben
  • Tipps zu lohnenswerten Archivbeständen oder zu anderen Archiven
  • Hilfestellung bei der Benutzung des Archivs, inkl. Unterstützung bei gelegentlichen Leseproblemen.
  • Kein überängstliches oder übermässig restriktives Archivpersonal
  • Einfache Möglichkeit Kopien zu bestellen oder, besser, eigene Fotos zu erstellen
  • Eine Handbibliothek, die auch lokale Forschung enthält,  z.B. von anderen Familienforschern
  • Ein Ort des Austauschs, ein Ort der Ruhe, WLAN

Archive im Austausch

  • Austausch zwischen Archiven, besonders zwischen Staatsarchiven und Archiven in Gemeinden und Kirchgemeinden
  • Zusammenarbeit mit genealogischen Vereinen: gegenseitige Werbung, z.B. auf Website, gegenseitige Information (Austausch zwischen Verein und ArchivarInnen), gemeinsame Veranstaltungen wie Kurse oder Vorträge und gegenseitige Beteiligung
Schmid Friedrich 2019

Friedrich Schmid

Friedrich Schmid ist pensionierter Gymnasiallehrer. Früher war er als Deutsch- und Geschichtslehrer an der Stiftsschule Einsiedeln tätig. Er ist Präsident der Zentralschweizerischen Gesellschaft für Familienforschung ZGF.

Abstract

Genealogen sind für Archive eine spezielle Kundschaft mit sehr unterschiedlichem Vorwissen zur Benutzung, das es zu berücksichtigen gilt. Für ihre Forschungsarbeit sind Genealogen aber auch mit einer heterogenen Archivlandschaft konfrontiert, was Zugänglichkeit, Service und Unterstützung betrifft.

Les généalogistes sont pour les archives une clientèle particulière, ayant des connaissances préalables d'utilisation très différentes, un fait dont il faut tenir compte. De leur part, les généalogistes entreprenant leurs recherches sont confrontés à un paysage d'archives hétérogène en termes d'accessibilité, de service et de support.