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2019/2 Künste bewahren und vermitteln

Ein vielseitiger Komponist im Zeichen der Synthese. Das Joachim-Raff-Archiv in Lachen

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Seit dem Sommer letzten Jahres befindet sich am Hafen in Lachen ein Archiv, das sich dem wohl bekanntesten Komponisten schweizerischer Herkunft des 19. Jahrhunderts widmet: Joachim Raff.

Mit dem Archiv im 1867 errichteten Nachfolgebau von Raffs Geburtshaus konnte die Joachim-Raff-Gesellschaft den langjährigen Wunsch verwirklichen, ein Hybrid aus einer Ausstellungs- und einer Forschungsstätte einzurichten. Seit seiner Gründung im Jahre 1973 widmet sich dieser Kulturverein der Wiederentdeckung und der Erforschung des Oeuvres des vielseitigen und produktiven Lachners, der sich in den 1860er- und 1870er-Jahren zu den erfolgreichsten Komponisten seiner Zeit zählen durfte und weit über den deutschen Kulturraum hinaus bekannt wurde. Das Herzstück des Archivs bildet die umfangreiche Sammlung, die Res Marty – langjähriger Präsident der Gesellschaft und Verfasser der aktuellsten Raff-Biografie – im Lauf der Jahre angelegt hatte. Sie umfasst zahlreiche autographe Quellen (Briefe, Dokumente, Albumblätter), Erst- und Frühdrucke von Werken aus Raffs breitem Oeuvre, reiches Bildmaterial (Stiche und Fotografien) sowie Forschungsliteratur. Auch zahlreiche handschriftliche Quellen von Personen aus Raffs Umfeld finden sich im Archiv.

Joachim Raff Archiv Orchestersuite Klein

Ein Gang durch Raffs bewegtes Leben

Chronologisch führt die Ausstellung durch die wichtigsten Stationen von Raffs fesselndem Leben: von seiner Kindheit in Lachen zu seiner Anstellung in Rapperswil als Lehrer; die Wanderjahre gleichermassen abdeckend wie sechs Jahre in Weimar als Assistent von Franz Liszt; die Wiesbadener Zeit, in der ihm endlich der langersehnte Durchbruch gelang ebenso wie den Lebensabend, der im Zeichen der kraftraubenden Leitung des neugegründeten Hoch’schen Konservatoriums stand. Jeder Gegenstand, jedes Dokument der Sammlung bildet ein Mosaikstein in dieser Geschichte. Unter den Autographen sticht neben den gut 60 Quellen aus Raffs kalligraphisch geführter Feder ein umfangreicher Brief von Franz Liszt mit Erwähnung Raffs hervor. Aber auch Raffs bester Freund Hans von Bülow, der wohl wichtigste Dirigent des 19. Jahrhunderts, die von Raff am Hoch’schen Conservatorium eingestellte Pianistin Clara Schumann oder Raffs Tochter Helene sind mehrfach vertreten. Ein Ölbild von Heinrich Georg Michaelis (Dauerleihgabe des Historischen Museums Frankfurt), das den Hochschuldirektor Raff abbildet, sowie zwei Gemälde von Raffs Tochter Helene, die Raffs Witwe Doris und seine Schwägerin Emilie Merian-Genast (eine wichtige Interpretin Wagnerscher und Lisztscher Werke) darstellen, ergeben zusammen eine Trias. Das frisch restaurierte Fortepiano aus Raffs Zeit ermöglicht zudem gelegentliche Rezitale oder Kammermusiksoireen. 

Joachim Raff Archiv Lachen Klein

Ein Zentrum für die Raff-Forschung

Seit den 1970er-Jahren finden Raffs Werke wieder vermehrt den Weg in die Konzertsäle – Tendenz steigend. Mit seinen Beständen – vor allem der umfassenden Notensammlung – richtet sich das Archiv an Musikerinnen und Musiker, die sich für Werke Raffs interessieren. Doch das Archiv versteht sich auch als international vernetztes Forschungszentrum. Da die wissenschaftliche Erforschung Raffs und seines Schaffens noch sehr am Anfang steht, nahm sich die Joachim-Raff-Gesellschaft 2016 zum Ziel, ihr bereits bestehendes Archiv sowie die Sammlung Marty systematisch auszuwerten und mit Kopien der Bestände anderer Bibliotheken und Archive zu ergänzen. In seinen Strukturen orientiert sich das Archiv dank der intensiven Zusammenarbeit mit Dr. Stefan König am Karlsruher Max-Reger-Institut. Die finanzielle Unterstützung von öffentlicher Hand und zahlreichen privaten Stiftungen ermöglichte, dass grosse Teile der in der Bayerischen Staatsbibliothek München liegenden Nachlässe von Raff, seiner Frau Doris und seiner Tochter Helene («Raffiana»), die Quellenkonvolute der Staatsbibliothek Berlin (die ein grosser Teil von Raffs Musikmanuskripten besitzt) sowie Bestände aus Weimar, Frankfurt, Dresden oder Wiesbaden erschlossen werden konnten. Das Musikschrifttum des 19. Jahrhunderts bietet einen weiteren fast unerschöpflichen Fundus an Quellen. Ab den 1840er-Jahren steigt die Zahl der Aufführungen Raffscher Werke kontinuierlich und somit auch die Anzahl der Werkrezensionen und Konzertberichte, die im Archiv gesammelt werden. Raff selbst verfasste zudem zahlreiche Beiträge für Tageszeitungen und Musikzeitschriften über eine Zeitspanne von 30 Jahren. Ein grosser Teil davon konnte erst durch das Archiv-Projekt ausfindig gemacht werden. 

Joachim Raff Archiv Bestände Klein

Anschluss an die Digitale Musikwissenschaft

Ein (momentan noch interner) Bibliothekskatalog gibt nicht nur Auskunft über die Bestände der mittlerweile an die 600 Bände umfassende und stetig wachsende Forschungsbibliothek, sondern auch über Aufsätze, Zeitschriftenbeiträge, Rezensionen und Konzertberichte. Das verschlagwortete, mittlerweile an die 3000 Einträge enthaltende Briefverzeichnis (hauptsächlich Briefe von und an Raff sowie solche, in denen Raff oder seine Werke thematisiert werden) wird mit einem Werk- sowie einem Personenverzeichnis verknüpft. Die Einträge sind als XML-Dateien in den Standards TEI bzw. MEI kodiert – Pate stand auch hier das Max-Reger-Institut: Die Umsetzung erfolgte durch Stefan König und den ebenfalls dort angestellten Doktoranden Dennis Ried, der sich auf «Digital Musicology» spezialisiert. Von der Arbeit des Archivs profitiert das im Entstehen begriffene Raff-Werkverzeichnis von Mark Thomas, mit dem die Joachim-Raff-Gesellschaft eng zusammenarbeitet, gleichermassen wie mehrere neue Urtext-Ausgaben Raffscher Werke, die in den kommenden Jahren bei Breitkopf & Härtel erscheinen werden. Von diesen Editionen darf man sich wiederum eine breitere Ausstrahlung von Raffs Werken erhoffen. Ein Band, der die Beiträge der wissenschaftlichen Tagung zur Eröffnung des Archivs (7./8. September 2018) versammelt, legt den Grundstein für eine Schriftenreihe bei Breitkopf & Härtel, in der Forschungsergebnisse publiziert werden können. 

Joachim Raff Archiv Bildnis Klein

Kurzbiographie Joachim Raff

Joseph Joachim Raff (1822-1882) wurde als Sohn eines Württemberger Lehrers und einer Schwyzerin in Lachen geboren. Unter Franz Liszts Protektion schlug sich der ausgebildete Lehrer zunächst in mehreren deutschen Städten durch, ehe er 1850 dessen Assistent in Weimar wurde. Nach der zunehmenden Distanzierung von diesem Umfeld zog Raff 1856 nach Wiesbaden, wo ihm der Durchbruch als freischaffender Komponist gelang. Als einer der meistgespielten Komponisten seiner Zeit wurde er 1877 zum Gründungsdirektor des Hoch’schen Conservatoriums ernannt.

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Severin Kolb

Severin Kolb (*1988), M. A., Studium der Musikwissenschaft, Religionswissenschaft und Hermeneutik an der Universität Zürich (Abschluss 2016), wo er nach einer Masterarbeit über Raffs Sinfonik über das Verhältnis von Raff zu Richard Wagner dissertiert. Seit 2016 ist er im Vorstand der Joachim-Raff-Gesellschaft und wirkt als wissenschaftlicher Leiter des Joachim-Raff-Archivs.

Trivia: Raff soll 1853 als erster das Genie von Johannes Brahms erkannt haben – so Raffs Freund Hans von Bülow im Rückblick. Ein Jahr später, 1854, schrieb der in Lachen geborene Komponist die erste Monographie über Richard Wagner: «Die Wagnerfrage».