Die Schweizer Mediendatenbank SMD: ein Outsourcing-Projekt aus dem letzten Jahrhundert
1996: Drei grosse Medienunternehmen mit je eigener publizistischer Ausrichtung, drei Dokumentationen mit eigenen Kulturen, Journalisten, die Dok-Serviceleistungen gewohnt waren – wer dem mit einem gemeinsamen Dokumentationssystem gerecht werden wollte, riskierte viel. Ein Rückblick.
Die Schweizer Mediendatenbank SMD ist in den 20 Jahren ihres Bestehens zu einem unverzichtbaren Bestandteil journalistischen Schaffens in der Schweiz geworden. 183 Schweizer Zeitungen und Zeitschriften sind im Volltext enthalten, diese werden ergänzt mit 40 in- und ausländischen Quellen, die selektiv ausgewertet und eingescannt werden. Die SMD ist in der Zwischenzeit auf 27 Millionen Dokumente angewachsen, genutzt wird sie von 7020 Personen, vor allem aus dem Medienbereich. Aus urheberrechtlichen Gründen ist die SMD nicht öffentlich zugänglich. Seit 2002 gibt es aber die Tochterfirma Swissdox (www.swissdox.ch), die gegründet wurde, um den kommerziell verwertbaren Teil des SMD-Bestandes für Kunden ausserhalb des Medienbereichs zu öffnen. Dieser Swissdox-Bestand kann gegen Gebühr von allen genutzt werden.
1996 gründeten die drei Medienunternehmen Ringier, Tamedia und die SRG, vertreten durch das damalige Schweizer Fernsehen DRS, die Schweizer Mediendatenbank AG. Diese drei Partner, deren Produkte teilweise in starker Konkurrenz zueinander standen, haben sich im Bereich Textdokumentation zusammengeschlossen. Leitidee dabei war: «Dezentralisierung, wo möglich – Zentralisierung, wo Kostenvorteile realisierbar sind». (Quelle: Website www.smd.ch). Zentralisiert wurden im Dokumentationsbereich Lektorat und Erschliessung, dezentral blieb die Recherche. Alle drei Häuser wiesen damals noch eine eigene Textdokumentationsabteilung auf. Ermöglicht hatte diese Kooperation die aufkommende Internettechnik, die den Datenaustausch erleichterte.
Mit der Einführung der SMD hat sich für die hausinternen Dokumentationen Grundsätzliches geändert: Jour- nalistinnen und Journalisten der betei- ligten Medienhäuser haben seither direkten Zugriff auf die Daten der SMD. Das heisst: Die Dokumentationen verloren das Monopol auf Archivrecherchen. Dies und der Wegfall resp. die Zentralisierung von Lektorat und Erschliessung hatten zur Folge, dass in allen drei Häusern die Stellen in den Dokumentationen um etwa ein Drittel abgebaut wurden. Oder wie das damals etwas euphemistisch hiess: Die Stellen wurden in die SMD ausgelagert.
In der Zeit vor SMD hatten die drei Dokumentationen ein klares Kundenprofil: Ihr Kunde war ihr Medienhaus. Bei Ringier arbeitet man etwa für den Blick und die Schweizer Illustrierte, bei Tamedia für den Tages-Anzeiger und das Magazin, beim Schweizer Fernsehen DRS für den Literaturclub und die Rundschau. Kurz, man kannte seine Pappenheimer und ihre Anliegen. Mit der SMD löste sich das Profil auf, die Dokumentalistinnen und Dokumentalisten verloren die Orientierung.
Die SMD war gleichzeitig Dokumentationssystem und Archiv. Sie war und ist das Redaktionsarchiv für die Aktionäre Ringier und Tamedia und für viele weitere Partner, die mit den Jahren dazukamen, und ihre Produkte – also alle redaktionellen Beiträge – in der SMD archivieren. Eine Dokumentation dagegen wählt aus und archiviert nur die für ihre Kundschaft relevanten Artikel. Die SMD bot mit der Erschliessung eine Möglichkeit, wichtige Artikel zu markieren und mit dokumentalistischem Mehrwert zu versehen. Bei der Recherche wiederum konnte man sich auf diesen erschlossenen Bestand beschränken und so in einem ersten Rechercheschritt die Spreu vom Weizen trennen. Durchschnittlich wurden 10% der in die SMD einfliessenden Artikel erschlossen.
Bei Gründung der SMD 1996 war eine inhaltliche (z.B. Personen, Firmen, Sachschlagwörter) und formale Erschliessung (z.B. Interview, Porträt, Kommentar) der Artikel selbstverständlich – auch aus technischen Gründen, weil nur eine relativ kleine Anzahl der Artikel im Volltext vorlag. Das Instrument der Erschliessung war damals ein von Ringier übernommener Thesaurus mit über 5000 Begriffen. Der Umgang mit diesem riesigen Thesaurus war nicht nur ein Schwimmfest für die erschliessenden Dokumentalistinnen und Dokumentalisten aus den Häusern SF DRS und Tamedia, sondern auch für die recherchierenden Journalisten. Erst mit der Umstellung auf Volltextsuche wurde ein neuer Wortschatz eingeführt, der sich auf 150 Begriffe beschränkte. Dieser neue Wortschatz wurde von Dokumentalisten der drei Partner mit der SMD gemeinsam erarbeitet. Ein löbliches Vorgehen, das beim Start der SMD leider unterlassen wurde.
Die Statistik der SMD belegte damals, dass nur bei 5% aller Recherchen die Erschliessung überhaupt genutzt wurde. Die Finanzrechnung wies dagegen nach, dass fast die Hälfte der SMD-Kosten durch den dokumentalistischen Mehrwert, sprich Lektorat und Erschliessung, verursacht wurden. Täglich waren für diese Arbeit fünf Dokumentalisten aus den drei Häusern in der SMD im Einsatz. Für die Journalisten, obwohl noch nicht Google-ver- wöhnt, war die Erschliessung zu kompliziert, der Mehrwert zu wenig transparent. Die ursprüngliche SMD-Recherchemaske glich denn auch einem traditionellen Bibliotheks-OPAC – für Laien unbrauchbar, für Insider nur mit Vorbehalt nutzbar. Wer wusste schon, welche Artikel wie erschlossen waren? Man vertraute seinen Dokumentalistenkollegen halt nicht so ganz. Das Problem wurde wieder einige Jahre später gelöst, als die SMD von manueller auf automatische Erschliessung umstellte.
Heute bietet die SMD Recherche-Unterstützung an wie die Facetten in einem Bibliothekskatalog. Mit dem Unterschied, dass sie nicht auf intellektueller Beschlagwortung basieren. Damit konnten auch die fünf delegierten Dokumentalisten eingespart werden ...
Was sich mit der Gründung der SMD ebenfalls verändert hatte, war die dokumentalistische Arbeit. Mit der Anlieferung von Volltext nahm in der SMD die Hilfsarbeit zu, Facharbeit wurde in den Hintergrund gedrängt. Hilfsarbeit heisst: Anlieferung der Texte kontrollieren, Volltexte reparieren, kontrollieren, ob eine Autorenzeile auch als solche erkannt wird, Fussballresultate und Fernsehprogramme löschen, Artikel, die auf Seite 1 beginnen mit der Fortsetzung auf Seite 12 zusammenhängen usw. Unterdessen wird diese Arbeit nicht mehr von Dokumentalisten, sondern von studentischen Hilfskräften erledigt. Facharbeit heisst: Sich vermehrt mit linguistischen, semantischen und technischen Fragen auseinandersetzen. Dokumentalisten waren wenigstens zu jener Zeit für solche Facharbeit aber kaum ausgebildet.
Die dokumentalistische Arbeit hat sich auch in den beteiligten Medienhäusern verändert, und zwar ganz entscheidend: Die Dokumentation von Tamedia wurde Ende 2006 geschlossen – mit SMD und Internet haben sich die Journalisten ihre Informationen selber zu beschaffen. Die Dokumentation von Ringier existiert noch, läuft aber auf absoluter Sparflamme. Es hat sich bewahrheitet, was Ralph Schmid in «Info7», 3/2006, unter dem Titel «Dokumentation war gestern» schrieb: «In der Textdokumentation sind Rationalisierungseffekte noch gravierender. Verfahren der automatisierten Indexierung, die Googelisierung von Recherche-Strategien und die, gerade in letzter Zeit zu beobachtenden, Kooperations- und Einsparungstendenzen in den grossen Textdokumentationen; sie alle tragen ihren Teil dazu bei, dass die eigentliche Dokumentationsarbeit an Gewicht verloren hat.»
Nur die SRG hält noch heute als eines der ganz wenigen Medienunternehmen in der Schweiz an der Dokumentation fest. Hier hat sich das Aufgabengebiet ebenfalls verändert: Die frühere Balance von Input (Lektorat und Erschliessung) und Output (Recherche) hat sich fast völlig zugunsten des Outputs, also Richtung Recherche, ver- schoben. Mit Recherche (u.a. auch in der SMD) und Fact-Checking werden die Journalisten unterstützt, aber auch mit einer Ereignisvorschau, Inputlieferungen oder einem täglichen Pressespiegel. Zudem sind SRG-Dokumentalisten häufig auch SRG-Archivare.
Vieles hätte beim Aufbau der SMD besser verlaufen können. Aber wenn die SMD diesen Juni ihren 20. Geburts- tag feiert, kann sie stolz auf das Erreichte zurückblicken. Mit sehr wenig festangestelltem Personal hat sie sich in der Schweizer Medienszene als verlässlicher Dienstleister etabliert. Aber auch ihr droht Gefahr: Genauso wie sie kleine Dokumentationen zum Verschwinden brachte, könnte sie von einem grossen Datenbankanbieter geschluckt werden. Zwei Gründe sprechen dagegen: Mit Pressedatenbanken ist kein Geld zu verdienen. Und wer ist schon interessiert an einem Portfolio, das viele kleine Schweizer Lokalblätter enthält?
Abstract
- Français
En 1996, les groupes de presse Ringier et Tamedia ainsi que le groupe SSR fondent SMD, la Banque de données de médias suisse. Aujourd’hui, 20 ans plus tard, SMD existe toujours et se voit utilisée par des milliers de journalistes en Suisse. Seule la documentation des médias de la SSR existe encore, néanmoins dans une forme très modifiée.