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2015/2 Herausforderung Urheberrecht

252 Millionen Franken pro Jahr sind genug!

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Wirtschaft, Bildung, Forschung und Konsumenten bezahlen pro Jahr mehr als eine Viertelmilliarde Franken Urheberrechtsabgaben. Vor zehn Jahren waren noch rund 43 Millionen Franken weniger geschuldet. Die Digitalisierung führt zu Mehrfachbelastungen und höheren Tarifabgaben und bringt damit ein an sich akzeptables System an seine Grenzen.

Im Geschäftsalltag ist es gang und gäbe: Ein Zeitungsartikel wird kopiert und den Mitarbeitenden verteilt. Man stelle sich vor, dass dafür jedes Mal die Journalistin oder der Verlag um Erlaubnis angefragt werden müsste. Zweifellos wäre dies ein Ding der Unmöglichkeit. Von Gesetzes wegen sind genau solche Massennutzungen per se erlaubt.1Das ist eine sinnvolle und pragmatische, alltagstaugliche Regelung – aber gratis ist sie keineswegs. 

Nutzungen sind erlaubt, aber nicht gratis

Pauschal 350 Franken pro Jahr schuldet beispielsweise eine Bibliothek mit 80 Mitarbeitern für diese Kopiermöglichkeit. Festgelegt ist dieser Betrag im Gemeinsamen Tarif 8/II (GT 8/II Reprographie in Bibliotheken),2der seit seiner rechtskräftigen Genehmigung auch für die Gerichte verbindlich ist.3Solche Pauschalabgaben bringen den Vorteil einer einfachen Handhabe mit sich, aber auch den Nachteil, dass individuelles Verhalten unberücksichtigt bleibt. Wer gar keine geschützten Werke kopiert, wird demnach trotzdem zur Kasse gebeten. 

Kopiertarife gibt es zusätzlich für die öffentlichen Verwaltungen, die Schulen, die Kopierbetriebe, für die Industrie und den Dienstleistungsbereich.4Dazu kommen über vierzig weitere Tarife und Untertarife zu den verschiedensten Nutzungsarten: Es gibt den Tarif für Public Viewing oder den denjenigen für das Speichern auf Tablets, einen für Kirchen und einen für Kinos und viele mehr5. Für all diese Tarife bezahlten die Nutzer im Jahr 2013 insgesamt 252,4 Millionen Franken.6 

Verhandlungen sind aufwendig und kompliziert – aber meist erfolgreich 

Nicht nur die Tarife selber sind für Laien schwer durchschaubar, richtig kompliziert wird es bei deren Entstehung. Das Urheberrechtsgesetz sieht dafür ein spezielles Verfahren vor. Im Gegensatz zu einigen unserer Nachbarländern werden die Tarife nicht durch staatliche Stellen angeordnet, vielmehr sind die Verwertungsgesellschaften7verpflichtet, die Tarife mit massgebenden Nutzerverbänden zu verhandeln.A8 Erstaunlich häufig können diese Verhandlungen mit einer Einigung abgeschlossen werden. Damit werden nicht nur Gerichtsverfahren vermieden, sondern zweifellos ist auch die Akzeptanz solcher Kompromisslösungen weit höher.

Mehrfach bezahlen in der digitalen Welt?

Das grosse Defizit im Tarifverfahren liegt aber an einem gänzlich anderen Ort: Die Digitalisierung hat zu massiven Mehrbelastungen geführt und droht das Tarifsystem ad absurdum zu führen. Dies zeigt sich deutlich an den stetig steigenden Einnahmen. Noch im Jahre 2005 betrugen die Tarifeinnahmen 43 Millionen Franken weniger.

Was ist passiert? Die Digitalisierung ermöglicht einerseits immer neue Nutzungsformen und schafft andererseits immer grössere Speicherkapazitäten. Dafür muss heute mehrfach bezahlt werden. So wird für den eingangs erwähnten Zeitungsartikel dreimal bezahlt: Einmal muss an den Verlag bezahlt werden, wenn ein Artikel online gekauft wird.9 Wird dieser Artikel danach auf den Server des Betriebs oder der Bibliothek abgelegt, so ist eine Abgabe nach dem Gemeinsamen Tarif 9 für das elektronische Speichern geschuldet. Für den Ausdruck schliesslich wird aufgrund des Gemeinsamen Tarifs 8 bezahlt.

Dabei wird aber ignoriert, dass sich die Verwendung durch den Benutzer nicht verändert hat: Er liest schlicht den Artikel – genauso wie er das in der analogen Welt getan hat.

Einigungstarife zeugen von der Akzeptanz des Systems 

Urheberrechtstarife sind zweifellos kompliziert, teilweise verwirrend formuliert und häufig für Nichtjuristen schlicht unverständlich. Dennoch bietet das System einige klare Vorteile: Insbesondere werden die Tarife von den Nutzerverbänden mitgestaltet, statt dass sie staatlich angeordnet werden. Nicht zuletzt die hohe Rate von Einigungstarifen zeugt von der grundsätzlichen Zustimmung zum System. Störend ist jedoch, dass für jede technische Neuerung ein neuer Tarif geschaffen wird und damit Mehrfachbelastungen entstehen, welche die Glaubwürdigkeit und die Akzeptanz des Tarifsystems gefährden. Unbestritten bleibt, dass Kultur für die Gesellschaft von zentraler Bedeutung ist und dass es Kultur nicht gratis gibt: Dies wird mit der jährlichen Zahlung von 252 Millionen Franken eindrücklich belegt.

Emmenegger Nicole 2015

Nicole Emmenegger

Nicole Emmenegger ist Partnerin in der Advokatur Markwalder Emmenegger (www.mepartners.ch). Sie lebt mit ihrer Familie in Bern, wo sie auch arbeitet. Sie ist vornehmlich auf dem Gebiet des Urheberrechts tätig und ist vom Bundesrat gewähltes Mitglied der Eidgenössischen Schiedskommission für die Verwertung von Urheberrechten und ver- wandten Schutzrechten (ESchK). Ausserdem ist sie seit dem 1. März 2014 mit der Geschäftsführung des Dachverbandes der Urheber- und Nachbarrechtsnutzer (DUN) mandatiert. Der DUN setzt sich als einzige Organisation schweizweit ausschliesslich für die Rechte der Nutzer und Nutzerinnen ein und vertritt deren Anliegen gegenüber dem Gesetzgeber, der Öffentlichkeit und den Verwertungsgesellschaften. Dem DUN gehören beispielsweise der Bibliotheksverband, die Nationalbibliothek sowie der Archivarenverband an. Weiter sind private und öffentliche Bildungs- und Forschungsinstitute, Unternehmen sowie namhafte Wirtschaftsverbände DUN-Mitglieder. Nicole Emmenegger war Mitglied der von Bundesrätin Sommaruga gegründeten Arbeitsgruppe zum Urheberrecht Agur12. 

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252,4 millions de francs suisses, voici ce qu’ont payé les utilisateurs (entreprises, institutions d’éducation et de recherche, consommateurs) en tant que tarifs aux ayants droit en 2013. Huit ans auparavant, c’était encore 43 millions de francs de moins. Quelle est la raison pour cette explosion des coûts? La réponse est le numérique: D’une part l’avancement technologique rend les capacités de stockage quasiment infinies, d’autre part il rend possible de nouvelles formes d’utilisations d’œuvres. Ainsi le numérique risque de faire imploser le système tarifaire négocié entre les sociétés de gestion et les associations des utilisateurs, puisque les utilisateurs paient aujourd’hui plusieurs fois pour un produit qu’ils consomment peut-être différemment, mais pas plus souvent qu’avant l’avènement du numérique.

Alors qu’il est indiscutable que la culture exerce une fonction centrale pour la société et que la culture ne peut pas être gratuite, il faut revoir le système actuel dans le but d’éviter les taxations multiples en prenant en compte le volume d’utilisation effectif et non pas le volume potentiel.