Kommentare Abstract
2014/4 FH-Bibliotheken – eine dynamische Entwicklung!

Die Archive der Fachhochschulen – mehr als Aktenablagen?

Kommentare Abstract

Im Gegensatz zu den meisten universitären Hochschulen haben die Fachhochschulen (FH) in der Schweiz bisher keine eigenen Archive ausgebildet. Dies, obwohl nicht wenige ihrer Vorgängerinstitutionen ein respektables Alter und eine vielfältige Unterlagenproduktion aufweisen. Umso wichtiger ist die Zusammenarbeit mit den Staatsarchiven, die verschiedentlich auch schon Bestände zur Archivierung übernommen haben. Im Folgenden wird v.a. die Situation in der Zentralschweiz geschildert, wie sie sich dem Verfasser aus der Sicht eines staatlichen Archivs präsentiert. Im Fokus stehen dabei die Beziehungen zur FH Zentralschweiz, die seit einigen Jahren als «Hochschule Luzern» (HS- LU) firmiert, doch wird auch die Situation in der Schweiz generell gestreift.

Der Verfasser dieses Beitrags ist im Luzerner Staatsarchiv u. a. für Bewertung und Erschliessung im Bildungsbereich zuständig. Für Hinweise und Unterstützung dankt er Patrick Röösli (HSLU). Für Informationen zur Archivsituation an den sechs anderen öffentlichen FH geht ein herzlicher Dank an Nadia Bregoli und Mario Gay (SUPSI), Isabelle Delaloye Hösli (BFH), Marcel Giger (Staatsarchiv Aargau), Antoine Glaenzer (Archives cantonales jurassiennes), Martin Jäger (Staatsarchiv St. Gallen), Paolo Ostinelli (Archivio di Stato del Cantone Ticino) sowie Ralph Ruch (Staatsarchiv Zürich).

Im Dezember 2009 genehmigte der Vorstand des VSA ein Empfehlungspapier der Arbeitsgruppe Bewertung zur Überlieferung der sieben öffentlichen Fachhochschulen (FH) der Schweiz. Das Papier erhielt die Nummer B 11 zugeteilt und ist wie alle Empfehlungen auf der Website des VSA greifbar1. Darin werden für die wichtigen Schriftgutkategorien Vorschläge hinsichtlich ihrer Archivierung gemacht. Die Vorschläge betreffen sowohl die Ebene der Gesamtinstitution wie auch diejenige der Teilschulen. Sie reichen von vollständiger Archivierung (z.B. für Protokolle der leitenden Gremien und Jahresberichte) über eine Samplebildung (z. B. für Studierendenakten) bis zum Verzicht auf Archivierung (für Buchhaltungsakten).

Neben diesen Archivierungsempfehlungen enthält das Papier B 11 auch Angaben darüber, welche FH von welchen Staatsarchiven betreut werden. «Betreuung» muss dabei nicht zwingend bedeuten, dass das Staatsarchiv Unterlagen der FH als Endarchiv entgegennimmt (obwohl es in der Regel früher oder später dazu kommt), sondern dass es der FH in Fragen der Aktenführung und Archivierung beratend beisteht. Dies ist deswegen von Bedeutung, weil fünf der sieben öffentlichen FH nicht von einem einzelnen Kanton getragen werden. Zudem werden sie als selbstständige Institutionen nicht unbedingt von den kantonalen Archivgesetzen und der darin verankerten Anbietepflicht erfasst.

Allerdings gelang es dem Bearbeiter des Papiers B 11 nur, die fünf FH der Deutschschweiz definitiv mit einem Staatsarchiv zu «verkuppeln». Trotz jahrelangen Bemühungen konnte für die Scuola universitaria professionale della Svizzera italiana (SUPSI) und die Haute Ecole Spécialisée de Suisse occidentale (HES-SO) kein kantonales Betreuerarchiv gewonnen werden2. Diese Tatsache weist bereits darauf hin, dass die Beziehungen zwischen den FH und den Staatsarchiven nicht so eng sind, wie sie dies im Interesse einer kontinuierlichen und systematischen Überlieferungsbildung sein sollten. Dafür ist nicht unbedingt ein mangelndes Engagement der kantonalen Archive verantwortlich, sondern es liegt in erster Linie an der komplexen Struktur der neuen Institutionen. Diese wurden in den 90er-Jahren zunächst als schmalbrüstige Dachorganisationen für eine Vielzahl von meist schon jahrzehntealten, teilweise privaten Schulen eingerichtet und haben sich in der Zwischenzeit zu Direktionen oder Rektoraten3 entwickelt, die vergleichsweise gut mit finanziellen und personellen Ressourcen ausgestattet sind. Seither haben sie eine Anzahl von Aufgaben übernommen, die früher von den Teilschulen wahrgenommen wurden. Diese wiederum werden innerhalb der Gesamtorganisation zunehmend als «Departemente» bezeichnet4.

Auch die Archivierung oder vielmehr das Records Management gehört zu den Aufgaben, die im Zuge des von den Rektoraten angestrebten «institutionbuilding» zentralisiert werden. Bei der Hochschule Luzern sind beispielsweise Bestrebungen im Gange, nach dem Rechnungswesen und dem Personalwesen auch die Verwaltung der Studierendenakten zentral – und zwar digital – zu führen.

Für das betreuende Staatsarchiv ergibt sich daraus die Notwendigkeit, mindestens noch für die nächsten Jahre mehrgleisig zu fahren: Es muss sowohl mit dem Rektorat als auch mit den einzelnen Departementen Beziehungen unterhalten und deren Überliefe- rung sichern helfen. Bei den Departementen geht es dabei vor allem um die Bewertung und Übernahme von Schriftgutbeständen in konventioneller Form; hier kommt in erster Linie klassisches Archivwissen zum Tragen. Demgegenüber ist beim Rektorat im Zusammenhang mit dem forcierten Übergang zu digitaler Aktenführung mehr der Records Manager gefordert.

Die FH ihrerseits stellen für diesen Aufgabenbereich ebenfalls unterschiedliches Personal ein resp. ab: Während bei den Departementen in der Regel eine Person aus dem Schulsekretariat mit der laufenden Aktenablage – vor Ort als «Archiv» bezeichnet – betraut ist, hat das Rektorat seine Informatikabteilung stark ausgebaut und mit Aufgaben betraut, die über den einfachen Support hinaus zunehmend das Records Management betreffen.

Die Informatiker in den Direktionsstäben und die Mitarbeitenden der Schulsekretariate haben gemeinsam, dass ihre Arbeit die Überlieferungsbildung ihrer Institution beeinflusst. A priori verstehen sich diese Personen jedoch nicht als Records Manager und schon gar nicht als Archivare, und vom VSA haben sie in der Regel noch nie gehört. Dass ihre Arbeit auch eine spätere, vom Primärzweck unabhängige Nutzung ermöglichen sollte, muss ihnen zuerst nahegebracht werden. Die Aufgabe des für die «vorarchivische Betreuung» zuständigen Mitarbeiters des Staatsarchivs besteht also zunächst in einer Sensibilisierung seiner Ansprechpersonen. Dafür muss er sie zuerst einmal kennen.

Im Falle der HSLU war es so, dass drei der fünf Teilschulen schon vorher durch den Kanton Luzern allein oder als Teil eines Konkordates getragen wurden. Es betraf dies die 1877 als erste ihrer Art in der Deutschschweiz gegründete Kunstgewerbeschule, das 1957 gegründete Zentralschweizerische Technikum und die 1971 entstandene Höhere Wirtschafts- und Verwaltungsschule HWV. Mit diesen drei Institutionen hatte das Staatsarchiv Luzern bereits mehr oder weniger intensive Kontakte unterhalten und von zweien auch schon Unterlagen zur Archivierung übernommen. Mit den beiden aus privaten Vereinen oder Stiftungen hervorgegangenen Teilschulen (für Musik und für Soziale Arbeit) gab es dagegen noch keine Geschäftsbeziehungen. Hier war es für das Staatsarchiv besonders wichtig, dass ihm die für Archivfragen zuständigen Personena genannt wurden, damit es mit diesen die relevanten Themen ansprechen konnte, darunter etwa die Sicherung der besonders interessanten Unterlagen aus den Anfangszeiten und die künftige Strukturierung der Überlieferung mittels Registraturplan. 

Der Kontakt mit den Archivverantwortlichen der Departemente ist für die staatlichen Betreuerarchive wichtig, weil das Rektorat angesichts der thematischen und örtlichen Vielfalt seiner Teilschulen, denen vielfach noch weitere Institute angeschlossen sind, häufig gar nicht über die spezifischen Gegebenheiten Bescheid weiss. Anderseits ist die Rückendeckung durch das Rektorat unabdingbar, denn ohne dieses können keine Abmachungen von einiger Relevanz getroffen werden. Dabei können die beim Rektorat naturgemäss vorhandenen Zentralisierungstendenzen genutzt werden.

Bei der Hochschule Luzern gelang es dem Staatsarchiv, den von seiner früheren Tätigkeit als Staatsschreiber mit GEVER- und Archivfragen vertrauten Rektor dafür zu gewinnen, das schon früher gestartete Archivierungsprojekt wieder in Fahrt zu bringen und einen Stabsmitarbeiter (Wirtschaftsinformatiker) mit der Leitung zu betrauen. Zusammen mit den Archivverantwortlichen der Departemente und dem Staatsarchiv erarbeitete dieser ein auf dem erwähnten Empfehlungspapier der Arbeitsgruppe Bewertung basierendes «Merkblatt über die Aktenaufbewahrung und Archivierung an der Hochschule Luzern» und organisierte einen Besuch aller Beteiligten im Staatsarchiv. Dieses nutzte die Gelegenheit, um Vertrauen zu bilden, sich und seine Ziele zu erläutern, den Archivverantwortlichen ihre Rolle im gesamten Life Cycle der Unterlagen klarer ins Bewusstsein zu rücken und damit womöglich ihre Motivation zu stärken. Gemäss den freundlichen Rückmeldungen scheint dies wenigstens ansatzweise gelungen zu sein.

Trotz dem allerseits feststellbaren guten Willen und einem funktionierenden Informationsfluss fehlt dem Staatsarchiv aber weiterhin eine mit den Zielen des Berufsverbands vertraute Ansprechperson bei der Hochschule. Die Schaffung wenigstens eines Teilpensums für den Archivdienst, wie es die erst seit 2000 existierende Universität Luzern im Jahre 2010 eingerichtet hat, bleibt ein Desiderat. Die Luzerner Universitätsarchivarin nimmt an den Treffen der Erfahrungsaustausch-Gruppe Schweizer Hochschularchive teil. Für die Hochschule Luzern dagegen ist ein Mitwirken in diesem anno 2008 gegründeten Gremium5 vorderhand nicht vorstellbar, sie lässt sich jeweils inoffiziell durch den Verfasser dieses Beitrags vertreten. Damit bildet sie keine Ausnahme, denn die meisten übrigen öffentlichen FH haben sich bisher nur sporadisch an diesen Treffen beteiligt. Und dies, obwohl sie ausdrücklich zur Teilnahme eingeladen wurden6.

Es mag sein, dass die FH künftig vermehrt Fachpersonal aus dem I&D- Bereich für die Überlieferungsbildung rekrutieren werden. Von den Betreuerarchiven werden sie im Rahmen der bestehenden Beziehungen jedenfalls dazu ermuntert. Dass sie aber nun eigene Archive aufbauen werden, die das ganze Spektrum von der Bewertung bis zur Benutzung anbieten, erachte ich als wenig wahrscheinlich. Eine gute und intensive Zusammenarbeit mit den bestehenden staatlichen Archiven bleibt für eine kontinuierlich wachsende und langfristig nutzbare Überlieferung zentral.

Anders mag es bei den auf Musik und Kunst spezialisierten Schulen aussehen, deren Produkte sich vom traditionellen Schriftgut unterscheiden und eher zu Museen oder Bibliotheken passen. Die spezifischen Chancen und Anforderungen haben hier teilweise zum Ausbau entsprechender Abteilungen geführt. Solche Stellen sind als Memo-Institutionen kompetente Partner für die staatlichen Archive und können diese in ihrer Funktion als Endarchive unterstützen oder entlasten.

Avatar

Max Huber

Staatsarchiv Luzern

  • 1 www.vsa-aas.org/de/aktivitaet/ag-bewertung/empfehlungen/ (Zugriff vom 8. August 2014).
  • 2 Beim Tessiner Staatsarchiv geht man davon aus, dass die SUPSI zu den Institutionen mit selbstständiger Archivierung gehört, auch wenn sie noch keine Stelle für den Archivdienst geschaffen hat (Auskunft P. Ostinelli vom 2.9.2014).
  • 3 Die Bezeichnungen sind bei den FH sehr unterschiedlich, doch scheint sich eine Tendenz abzuzeichnen, dass der Begriff «Rektorat» zunehmend von der Gesamtorganisation beansprucht wird. Im Folgenden wird deshalb der Begriff «Rektorat» verwendet, wenn von der FH-Direktion die Rede ist.
  • 4 Auch hier sind die Bezeichnungen nicht einheitlich. Im Folgenden werden die Teilschulen in der Regel als «Departemente» bezeichnet.
  • 5 Vgl. Jahresbericht VSA 2008, S. 37–38.
  • 6 Etwas anders sieht es diesbezüglich bei den Pädagogischen Hochschulen aus, die man trotz vergleichbarem Auftrag nicht vollumfänglich zur Teilnahme einladen mochte.

Abstract

La collaboration entre les archives cantonales et les sept HES n’est généralement pas très intense. À l’exception de quelques HES en musique ou en art, rares sont les institutions à gui gérant leurs archives de façon professionnelle, ce qui est indispensable pour la constitution de ces fonds.