Wissensvorsprung statt Datenflut mittels Web Monitoring und Web Intelligence
Im Rahmen des WISDOM (Web Intelligence for Improved Decision Making) Projekts werden an der HTW Chur Methoden zur intelligenten und automatischen Extraktion von entscheidungsrelevanter Information aus Onlinequellen entwickelt. Der folgende Artikel gibt einen Überblick über die Entwicklung von Web Monitoring und Web Intelligence und die potenziellen Einsatzmöglichkeiten dieser Technologien bei der Optimierung von Entscheidungsprozessen und Ressourcenallokationen in Organisationen.
Unter Web Monitoring versteht man die gezielte Überwachung von Onlinequellen, um aus der Häufigkeit und Art der Berichterstattung Rückschlüsse auf die Performance von Unternehmen, Personen oder Produkten ziehen zu können. Von Web Intelligence spricht man hingegen, wenn die primäre Zielsetzung auf der Optimierung von Entscheidungsprozessen anhand des online verfügbaren Datenmaterials liegt.
Der Begriff der «Web Intelligence» wurde von Zhong u.a. im Jahre 2000 geprägtN. Zhong, J. Liu, Y. Y. Yao, and S. Ohsuga, «Web Intelligence (WI)», in Proceedings of the 24th Annual International Computer Software and Applications Conference (COMPSAC 2000), pp. 469–470, 2000.. Dieses neue Forschungsgebiet beschäftigt sich damit, wie man das im Web und in sozialen Medien verfügbare Datenmaterial auszuwerten und für die Entscheidungsfindung in Unternehmen und Organisationen nutzt.
Der Ausgangspunkt – Business Intelligence
Vorbild dafür war ein wesentlich älteres Teilgebiet der Informatik – nämlich das Gebiet der «Business Intelligence». Ursprünglich wurde der Begriff der «Business Intelligence» von LuhnH. P. Luhn, «A business intelligence system», IBM J. Res. Dev., vol. 2, no. 4, pp. 314–319, 1958.verwendet, 1990 jedoch von Howard Dressner wieder aufgegriffen und im Folgenden von Beratungsfirmen wie zum Beispiel Gartner verwendet, um Technologien zu beschreiben, welche auf strukturierte Unternehmensdaten zugreifen, um Prozesse im Unternehmen, und somit in weiterer Folge deren Profitabilität, zu optimieren.
Eines der bekanntesten Beispiele für den erfolgreichen Einsatz von Business Intelligence stammt aus dem im Jahr 2004 von Anderson und Lehmen veröffentlichte Artikel (Management Information Science Quarterly), welcher beschreibt, wie Continental Airlines durch den Einsatz von Business Intelligence die Kundenzufriedenheit und Profitabilität ihres Angebotes durch organisatorische Verbesserungen, welche basierend auf internen Unternehmensdaten umgesetzt wurden, erheblich steigern konntenR. Anderson-Lehman, H. J. Watson, B. H. Wixom, and J. A. Hoffer, «Continental Airlines Flies High with Real-time Business Intelligence» MIS Q. Exec., vol. 3, no. 4, pp. 163–176, 2004. .
– Continental nutzte historische Fluggast und Umsatzdaten, um dynamische Auslastungsprognosen zu erstellen und somit besonders gefragte und profitable Strecken an den betroffenen Tagen verstärkt anzubieten.
– Anhand von automatischen Analysen erstellte die Fluglinie Kundenprofile, mit denen die wichtigsten Kunden identifiziert wurden. Im Falle von Verspätungen wurden diesen eine schriftliche Entschuldigung und in manchen Fällen auch eine kostenlose Probemitgliedschaft im «President Club» von Kontinental angeboten. In Folge buchte diese besonders profitable Kundengruppe in den kommenden 12 Monaten um 8% mehr Flüge als in den Jahren zuvor.
Neben diesen beiden Massnahmen wurden noch weitere Optimierungen in den Kundenbeziehungen und im Angebot von Continental vorgenommen, welche in Summe zu einem Umsatzplus von mehr als 13 Millionen US$, zu einer besseren Abdeckung der Kundenbedürfnisse und somit zu zu friedeneren Kunden führten.
Der nächste Schritt – Web Intelligence
Web Intelligence, das von einigen Autoren auch gerne als Business Intelligence 2.0 bezeichnet wirdH. Chen, R. H. L. Chiang, and V. C. Storey, «Business Intelligence and Analytics: From Big Data to Big Impac.», MIS Q., vol. 36, no. 4, pp. 1165–1188, 2012., erweitert die Methoden der Business Intelligence auf das Web und auf soziale Medien. Im Gegensatz zu Unternehmensdatenbanken, Bibliotheken oder den internen Archiven grosser Organisationen liegt Information hier fragmentiert – sprich über verschiedenste Quellen und Systeme verteilt – vor. Das erschwert die automatische Extraktion von Wissen. Noch komplizierter wird dies durch den Siegeszug von sozialen Medien. Der Kontext einer Nachricht ist dort ungleich schwerer erkennbar und die Verwendung von Slang, Dialekten oder Begriffen aus anderen Sprachen zwingen existierende Analysetools oft in die Knie.
Daher werden in der Praxis Technologien aus den Bereichen des Natural Language Processings und der künstlichen Intelligenz mit semantischen Technologien und sprachspezifischen Heuristiken kombiniert, um zu besseren Ergebnissen zu kommen.
Ein weiteres Problem sind die immensen Datenmengen, welche für solche Analysen relevant sein können. Diese erfordern den Einsatz von «Big Data» Technologien, um die verfügbaren Datenvolumina in einer vernünftigen Zeit abarbeiten zu können. Auch sind die erhaltenen Analyseergebnisse oft mit einer gewissen Schwankungsbreite versehen, da diese auf aggregierten Meinungen, Einzelaussagen und der Medienberichterstattung beruhen. Diese Einschränkungen müssen von Analysten hinreichend berücksichtigt werden, um die mannigfaltigen Analyse möglichkeiten seriös zu nutzen und um die Ergebnisse korrekt zu interpretieren. Hierfür ist ein umfangreiches Methodenwissen und eine fundierte informationswissenschaftliche Ausbildung unerlässlich. In der englischsprachigen Literatur wird das entsprechende Berufsbild gerne unter dem Begriff «Big Data Scientists» subsumiert.
Bereits jetzt setzen viele Organisationen Web Intelligence ein, um ihre öffentliche Reputation, Marketingkampagnen und Sponsoringaktivitäten zu überwachenA. Scharl, A. Hubmann-Haidvogel, M. Sabou, A. Weichselbraun, and H.-P. Lang, «From Web Intelligence to Knowledge Co-Creation: A Platform for Analyzing and Supporting Stakeholder Communication», IEEE Internet Computing, vol. 17, no. 5, pp. 21–29, 2013.. Die folgenden Beispiele sollen einen Eindruck von weiteren in novativen Anwendungsmöglichkeiten dieser Technologien vermitteln.
Kundeninduzierte Produktverbesserungen
Viele Unternehmen setzen auf Expertenpanels, Fragebogenanalysen und die Innovationskraft ihrer Mitarbeiter, um ihre Dienstleistungen und Produkte weiterzuentwickeln.
Mittels Web Intelligence besteht die Möglichkeit, aktuelle Markttrends und Kundenbedürfnisse in diesen Prozess zu integrieren. Trendanalysen erlauben es, Rückschlüsse auf geschäftsrelevante Themen wie zum Beispiel Trendsportarten (Tourismus), neue Smartphones (Elektronik, Handel) oder Gesundheitstrends (pharmazeutische Industrie) zu ziehen und diese zu bewerten. Zudem lässt sich feststellen, ob Themen beim Kunden positive oder negative Assoziationen wecken und welche Produkt beziehungsweise Serviceeigenschaften für diese relevant sind. So kann man zum Beispiel automatisch erkennen, dass Kunden mit einem bestimmten Mobiltelefon Eigenschaften wie «hochwertig», «leicht bedienbar» und «schönes Design» verbinden, aber auch, dass die Konkurrenz als innovativer wahrgenommen wird und dass für die Benutzer eine ausgezeichnete Usability oft wichtiger ist als so manches technisches Detail.
Noch effektiver sind Techniken, in denen man Web Intelligence einsetzt, um anhand von Kundenfeedback zu eigenen und konkurrierenden Produkten gezielt jene Produktverbesserungen zu identifizieren, welche die Attraktivität des eigenen Produktportfolios besonders steigern. Diese Technik minimiert teure Fehlinvestitionen in Produkteigenschaften, die für den Kunden gar nicht oder nur wenig relevant sind, und erlaubt es, den Prozess der Produktentwicklung optimal an die Kundenbedürfnisse anzupassen.
Web Intelligence für Wirtschaftsinformationen
Das von der HTW Chur gemeinsam mit der Orell Füssli Wirtschaftsinformationen AG entwickelte WISDOM-Projekt beschäftigt sich damit, wie man Web Intelligence für die Extraktion von entscheidungsrelevanten Wirtschaftsinformationen nutzen kann.
So werden im Projekt automatisch Beziehungsnetzwerke zwischen Unternehmen und Führungspersonen extrahiert, anhand welcher sich simulieren lässt, wie sich die wirtschaftlichen Stärken und Schwächen einzelner Partner auf andere Unternehmen auswirken.
Durch die automatische Erkennung
von semantischen Zusammenhängen
und Assoziationen wird es möglich,
Trends zu antizipieren und Wahrnehmungsprofile für Personen, Produkte
und Unternehmen zu ermitteln.
Im Rahmen von WISDOM wird auch die Interaktion zwischen wirtschaftlich relevanten Kennzahlen und den extrahierten Informationen untersucht. Dadurch wird es möglich, den Wert dieser Informationen für die Entscheidungsfindung abzuschätzen und verlässliche Modelle zu entwickeln, welche eine optimale Zuweisung von Unternehmensressourcen und eine durch entsprechendes Datenmaterial unterstützte Entscheidungsfindung im Unternehmen ermöglichen.
Die Entwicklung der dem WISDOM Projekt zugrunde liegenden Infrastruktur, mit Technologien aus den Bereichen Natural Language Processing, künstliche Intelligenz und semantische Technologien, erfolgt durch die HTW Chur in Kooperation mit einem internationalen Forschungsteam von der MODUL University Vienna und der Wirtschaftsuniversität Wien. Die entsprechenden Tätigkeiten werden u.a. von der Europäischen Union im Rahmen des 7. Rahmenprogrammes, der Kommission für Technologie und Innovation (KTI) und dem österreichischen FITIT-Programm gefördert. Bei der Weiterentwicklung und Anwendung dieses Technologieportfolios auf wirtschaftliche Fragestellungen spielt die HTW Chur innerhalb des Teams eine Vorreiterrolle.
Weiterführende Information
– WISDOM-Projekt: www.htwchur.ch/wisdom
– Schweizerisches Institut für Informationswissenschaft (SII): www.informationswissenschaft.ch
Abstract
- Français
Des méthodes d’extraction intelligente et automatique d’informations pertinentes pour la prise de décision à partir de sources en ligne sont développées actuellement à la HTW Coire dans le cadre des projets WISDOM (Web Intelligence for Improved Decision Making). Cet article donne un aperçu du développement du monitoring de sites web (Web monitoring) et du Web intelligence ainsi que les possibilités d’utilisation de ces technologies pour optimiser les processus de décision et les allocations de ressources dans les organisations.