Records Management für kleine und mittlere Unternehmen?
Werfen wir einen Blick auf aktuelle Publikationen zum Thema Records Management, so fällt schnell auf, dass privatwirtschaftliches Records Management meist im Kontext der Compliance diskutiert wird. Besondere Beachtung geniesst dieser Aspekt offenbar, weil oft davon ausgegangen wird, dass Compliance und Minimierung des Risikos diejenigen Argumente sind, die eine Geschäftsleitung noch am ehesten zu überzeugen vermögen, Investitionen in die Aktenführung zu tätigen.
Es ist wohl kein Zufall, dass sich aufgrund dieser Argumentation in erster Linie grössere, international tätige Unternehmen intensiv mit der Thematik auseinandersetzen, sind sie es doch, die in zunehmendem Masse mit regulatorischen Vorgaben konfrontiert sind.
Wie verschiedene Surveys im deutschsprachigen Raum gezeigt haben, gibt Compliance aber keineswegs allein den Ausschlag für Records ManagementRecords Management Survey Schweiz in ausgewählten Sektoren der Privatwirtschaft (2005/2006), Synthesebericht, hrsg. vom Ausschuss eArchiv des VSA und der HTW Chur, Fachbereich Informationswissenschaft, Chur 2006: http://www.vsa-aas.org/uploads/media/RMSurveySchweiz.pdf. Records Management – Aufbewahrungspraxis in der Schweiz. Wahrnehmung der regulatorischen Anforderungen und deren Umsetzung in Schweizer Unternehmen, hrsg. von Sieber & Partners und Kompetenzzentrum Records Management, Bern 2006. Kampffmeyer, Ulrich, Records Management market study for Germany, Austria and Switzerland. http://www.project-consult.net/Files/20081211_DLM%20Forum_RM_Market%20Study_Kff.pdf.. Viele Unternehmen sehen sich auch aus anderen Gründen gezwungen, die Aktenführung neu zu konzipieren. Zu erwähnen sind hier insbesondere Bedürfnisse zur Optimierung der Prozessqualität und des Informationsmanagements. So stellen wir fest, dass es durchaus unterschiedliche Perspektiven auf das Records Management gibt.
Insbesondere in kleinen und mittleren Organisationen stehen solche Gründe meist am Anfang einer intensiveren Beschäftigung mit der Ablage der Information. Im Folgenden soll diesen Gründen nachgegangen und aufgezeigt werden, inwiefern ein Records Management Programm in kleinen Unternehmen dienlich sein kann und welche Implikationen dies für die Konzeption der Aktenführung hat. Schliesslich werden die wesentlichen Schritte zur Einführung von Records Management in einer kleinen Organisation skizziert.
Kleine und mittlere Organisationen haben spezielle RM
Abgesehen von Unternehmen, die in besonders kritischen Branchen tätig sind (insbes. Pharma und Finanz dienstleister) sind viele KMU nur selten in langwierige juristische Auseinandersetzungen, in denen sie den Nachweis einer regelkonformen Geschäftsführung erbringen müssten, verwickelt. Gleichwohl ist in den letzten Jahren in vielen Organisationen der Druck, die Bewirtschaftung der Unterlagen neu zu konzipieren, massiv gestiegen. Der Grund dafür ist meist, dass die Organisation der Unterlagen den einzelnen Mitarbeitern überantwortet worden ist und sich so schleichend eine hybride Aktenführung mit unzähligen Parallelablagen etabliert hat. Die Unterlagen finden sich auf PCs der MitarbeiterInnen, auf einem Server und nicht zuletzt in Papierform in diversen Ordnern. Wo die aktuellen und gültigen Unterlagen zu finden sind, ist oft nur noch mit grossem Aufwand festzustellen. Das Resultat ist nicht selten, dass dieselben Überlegungen mehrmals angestellt werden müssen und die Einführung neuer Mitarbeiter ausgesprochen aufwendig wird.
Records Management als Methode der Aktenführung könnte hier zum Teil Abhilfe schaffen. Damit diese Chance genutzt werden kann, darf die Ablage aber nicht nur aus der Perspektive der Compliance betrachtet werden. Eine umfassende Analyse der Informations bedürfnisse ist dazu eine notwendige Voraussetzung.
Records Management für weitere Bedürfnisse des Informationsmanagements nutzen?
Wissensbasierte Unternehmen – und deren Anzahl wird je länger, desto grösser – leben davon, dass sie auf das in der Organisation einst erarbeitete Wissen wieder zurückgreifen können. Führt das Unternehmen seriöse Projektdossiers, kann dies mit grosser Wahrscheinlichkeit gewährleistet werden. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass auch das Wissen darüber, welche Themen in einem Projekt bearbeitet worden sind, zugänglich ist. Nur zu oft zeigt es sich, dass solches Metawissen nur in den Köpfen der einzelnen Mitarbeiter vorhanden ist. Eine seriöse Dokumentation der Projekte und ihrer Teilprojekte wäre also notwendig. Leider fehlt aber für die Erstellung einer solchen Dokumentation oft die Zeit. So liegt der Gedanke nahe, dass das in den ohnehin anfallenden Unterlagen festgehaltene Wissen auch genutzt werden sollte. Doch dies ist nur einer von zahlreichen Nutzen, welche die in einer Unternehmung anfallenden Unterlagen haben. Wie sich zeigt, muss die Organisation der Ablage von Anfang an auf die potenziellen Nutzen ausgerichtet sein. Tatsächlich ist dies allzu oft nicht der Fall. Die Folgen davon sind meist verheerend: Bereits nach kurzer Zeit stellen die MitarbeiterInnen fest, dass sie die notwendigen Informationen nicht finden können – und bereits beginnen sie, eigene Ablagen zu bilden, wo ihnen dann das notwendige Material zur Verfügung steht. Nicht wenige Records Management Projekte scheitern daran, dass sie auf einer ungenügenden Abklärung der tatsächlichen Informationsbedürfnisse aufbauen. Dies geschieht oft, da die Projekte sich zu schnell an den Möglichkeiten von technischen Systemen orientieren.
Vorgehen
Gehen wir also davon aus, dass sich die Bedürfnisse einer Aktenführung in einer eigenen Organisation immer an den spezifischen Bedürfnissen der Organisation zu orientieren hat. Compliance ist dabei ein Aspekt – andere Gründe können aber auch im Vordergrund stehen. Darauf hat die Einführung der systematischen Aktenführung Rücksicht zu nehmen.
Das Australische Nationalarchiv hat vor Jahren einen umfassenden Leitfaden zur Einführung von Records Management entworfen, der sich insbesondere für staatliche Verwaltungen bewährt hatNational Archives of Australia, DIRKS – A Strategic Approach to Managing Business Information, 2003. http://www.naa.gov.au/records-management/systems/dirks/index.aspx.. Grosses Gewicht wird dabei auf die Analyse der spezifischen Situation der Organisation und deren Informationspraxis gelegt. Wie eine mögliche Adaption dieses Vorgehensmodells für kleinere Organisationen aussehen könnte, will ich im Folgenden kurz aufzeigen. Dabei nehme ich gewisse Modifikationen am Modell vor, um die Bedeutung der unterschiedlichen Nutzungsperspektiven noch deutlicher hervorheben zu können.
In einem ersten Schritt müssen die Organisation und ihr dazugehöriges Umfeld verstanden werden. Dieser Schritt trägt nicht nur dazu bei, Aufmerksamkeit für spezielle regulatorische Gegebenheiten zu entwickeln, sondern mindestens ebenso wichtig ist es, dass wir uns bereits hier mit der spezifischen Betriebskultur im Unternehmen selbst auseinandersetzen. Aus diesen Gründen muss die Informationsbewirtschaftung je nach Kultur unterschiedlich ausgeprägt sein. Basierend auf einem fundierten Verständnis der Organisation gilt es, die Geschäftsleitung in das Projekt einzubinden.
In einem zweiten Schritt werden die spezifischen Informationsbedürfnisse ermittelt. Hier gilt es, auch eine Risikoanalyse vorzunehmen: Was geschieht tatsächlich, wenn das Unternehmen nicht in der Lage ist, eine regelkonforme Aktenführung nachzu weisen? Wie hoch ist das Risiko, dass dieser Fall eintreten könnte? Wie hoch wird dann der Schaden sein?
Doch nicht nur dieses Risiko muss ein geschätzt werden, sondern es muss auch bestimmt werden, welcher Schaden für die Organisation eintritt, wenn sie sich nicht mehr daran «erinnert», dass ein gewisser Entwicklungsschritt bereits schon einmal vollzogen worden ist, wenn sie z.B. nach dem Abgang eines wichtigen Wissensträgers nicht mehr in der Lage sein sollte, auf gemachte Erfahrungen zurückzugreifen.
Unmittelbar mit diesem Schritt der Analyse der künftigen Informationsbedürfnisse verbunden ist auch die Ermittlung der Informationsobjekte. Dieser Schritt ist meist ausgesprochen aufwendig, muss aber genauso seriös vorgenommen werden. Wie sich ein Informationsobjekt zusammensetzt, ist keineswegs selbstverständlich. Ein Beispiel: Soll mit der Aktenführung in erster Linie der Nachweis der korrekten Geschäftsabwicklung erbracht werden, drängt es sich auf, dass alle diesbezüglichen Unterlagen eines Geschäfts zusammen das Informationsobjekt bilden.
Mit dazu gehören in diesem Fall insbesondere alle Records, die Nachweischarakter haben, also Evidenzwert aufweisen. In diesem Fall ist es unumgänglich, dass alle nachweisfähigen Records zusammen erhalten werden. Stehen hingegen andere Informationsbedürfnisse im Vordergrund, so würde sich ein solches Informationsobjekt eventuell als zu gross erweisen. In einer kleinen Organisation, die wir beraten durften, zeigte sich z.B., dass der Nachweis wesentlich weniger wichtig ist als die Möglichkeit, auf die Ergebnisse einzelner kleiner Prozessschritte zuzugreifen. So werden die Dokumentationen dieser Ergebnisse zum zentralen Informationsobjekt. Ohne den Kontext des gesamten Geschäfts zu zerstören, muss das Hauptaugen merk auf diesen inhaltsrelevanten klei neren Informationsobjekten liegen.
Sind die Informationsbedürfnisse und die Informationsobjekte definiert, müssen in einem dritten Schritt die Informationsobjekte in eine Struktur gebracht werden. Oft erweist es sich als ausgesprochen aufwendig, diese Struktur zu entwerfen. Nicht selten liegt der Grund dafür allerdings darin, dass verschiedene Organisationseinheiten sehr unterschiedliche Informationsbedürfnisse haben. Wurde in den ersten Schritten diesem Umstand die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt, wird dann auch die Strukturierung einfacher fallen. Zu beachten ist, dass die Entstehungskontexte, die Aufgaben, im Laufe derer die Unterlagen erstellt worden sind, erhalten bleiben.
In einem vierten Schritt werden die Abläufe und Verantwortlichkeiten definiert. Kleine Organisationen werden oft nicht in der Lage sein, einen eigenen Records Manager zu beschäftigen. Um so wichtiger ist es, dass die einzelnen MitarbeiterInnen in die Lage versetzt werden, ihre Unterlagen selbstständig korrekt ablegen zu können. Die Regeln dazu sind in Organisationsvorschriften festzuhalten. Jedoch nicht nur der Ablage der Unterlagen muss Beachtung geschenkt werden, sondern auch deren weiteren Bewirtschaftung. Wissensrelevante Informationsobjekte werden oftmals aus betrieblichen Gründen länger vorgehalten werden müssen, als dies die gesetzlichen Vorgaben vorschreiben. Die Aufbewahrungsfristen sind prospektiv zu definieren. Da diese Fristen häufig deutlich länger sind, als die Dokumente in ihrem ursprünglichen Format lesbar wären, ist es unumgänglich, die Informationsobjekte als eigentliche Archivobjekte zu betrachten. Entsprechend ist zu empfehlen, sie bereits früh zu Archivinformationspaketen zu «verschnüren». In aller Kürze: Die Objekte müssen zusammen mit deskriptiven wie auch technisch-administrativen Metadaten zu stabilen Paketen (z.B. in einer ZIP-Datei) zusammengefasst, validiert und in archivtaugliche Formate umgewandelt werden. Das Records Management System wird selbst zum digitalen Archiv. So können sie auch – wie dies die Geschäftsbücherverordnung fordert – auf speziellen Datenträgern gesichert werden. Im vierten Schritt sind diese Abläufe zu definieren.
Erst jetzt ist es auch an der Zeit, über das technische System nachzu denken. Sehr oft wird davon ausgegangen, dass Records Management ein aufwendiges technisches System voraussetzt. Dem ist aber nicht zwingend so. Insbesondere in kleinen Organisationen ist es durchaus sinnvoll, nach einfachsten technischen Lösungen zu suchen. Selbst auf einem Fileserver kann Records Management verwirklicht werden, wenn die organisatorischen Massnahmen im Vorfeld seriös aufgegleist worden sindAn der HTW Chur haben wir im Rahmen eines Pilotprojekts ein einfaches System entwickelt, das es erlaubt, auf einem Fileserver abgelegte Unterlagen mit Metadaten zu versehen, prospektive Bewertungsentscheide zu hinterlegen und zu gegebener Zeit so aufzubereiten, dass sie halbautomatisch in ein digitales Repository überführt werden können. Vgl.: Müller, Christoph, Stettler, Niklaus, Digitale Langzeitarchivierung für kleine und mittlere Organisationen, in: 8th European Conference on Digital Archiving, Abstract Book, Bern 2010, S. 123.. Selbstverständlich sind mit einfacheren Lösungen auch gewisse Funktionalitätseinbussen verbunden. So ist eine Versionenkontrolle ebenso problematisch wie die Einbindung von Dokumenten aus speziellen Systemen (z.B. EMails), die nur mit einem gewissen Aufwand zu bewerkstelligen sind. Doch auch hier gilt es, eine Aufwandabschätzung vorzunehmen: Die Bedeutung dieser Funktionalitäten ist vom Informationsbedürfnis der Organisation abhängig. Steht die Nachweisfunktion im Vordergrund, ist zweifellos ein integriertes System zu wählen, kommt dieser Funktion jedoch eher sekundäre Bedeutung zu, sind auch Insellösungen für spezielle Dokumenttypen durchaus denkbar.
Fazit
Records Management kommt auch in kleineren Organisationen eine zunehmende Bedeutung zu. Um entsprechende Projekte zum Erfolg zu bringen, müssen sie sorgfältig an die spezifischen Gegebenheiten und Bedürfnisse der jeweiligen Organisation angepasst werden. Die technische Lösung ist dann zweitrangig. Selbst mit einfachen Mitteln kann bereits viel zur besseren Informationsbewirtschaftung beigetragen werden.
Abstract
- Français
Le records management est souvent discuté dans un contexte de conformité aux règles (compliance). Cela donne l’impression que la gestion documentaire, systématique et conforme aux règles est une problématique qui touche d’abord les grandes organisations actives sur le plan international.
En revanche, toujours selon ce point de vue, pour de nombreux organismes plus petits, le risque de s’engager dans de longues procédures juridiques, et avec elles, la nécessité de démontrer la conformité aux directives de la direction, est vu comme insignifiant. Néanmoins, même pour ces stuctures de plus petite taille, avec l’enregistrement hybride des dossiers, le besoin d’un management de l’information a augmenté massivement. C’est donc moins le problème de la conformité aux règles qui est posé, que celui de la prévention contre la perte des savoirs professionnels qui est au premier plan.
De manière constante, les organisations manifestent leur difficulté à pouvoir appréhender dans l’instant les connaissances acquises ou tout simplement leur difficulté à intégrer de nouveaux employés dans un délai raisonnable. La gestion systématique des dossiers et leur conservation dans le cadre du records management sont utiles dans les petites organisations orientées sur les savoirs. Elles font par conséquent de la préservation des savoirs, un enjeu fondamental.
Pour ce faire, il convient aussi de modifier le traitement des archives, et de les inscrire dans le cadre des fonctions d’une archive numérique. Grâce à une analyse claire des besoins futurs des utilisateurs, au prix d’une perte de confort, cela peut être réalisé avec des moyens techniques relativement simples. L’article expose comment dans les petites organisations le records management peut être organisé et profitable.