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2009/2 Menschenrechte in Schweizer Informations­einrichtungen

Eine breite Öffentlichkeit entwicklungspolitisch sensibilisieren – die Dokumentationszentren von Alliance Sud

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«Klimawandel und Armut», «Schweizer Entwicklungszusammenarbeit in Burkina Faso 1983–1987», «Welchen Anteil des Einkommens setzen Menschen im Süden für Nahrungsmittel ein?»: Auf der Suche nach geeigneten Informationen zu diesen Themen wandten sich jüngst eine Maturandin, ein Student und ein Hilfswerkmitarbeiter an die Dokumentationszentren von Alliance Sud. Das sind drei Beispiele, die das inhaltliche Spektrum und das Zielpublikum der beiden öffentlich zugänglichen Fachstellen in Bern und Lausanne gut umreissen.

Um die Bewusstseinsbildung über die Länder des globalen Südens zu fördern, schuf die damalige «Arbeitsgemeinschaft Swissaid, Fastenopfer und Brot für Brüder1» 1971 in Bern eine Dokumentations- und Informationsstelle, den Informationsdienst Dritte Welt (i3w). Seine Hauptaufgabe bestand darin, Presserohstoffe zu entwicklungspolitisch relevanten Themen aufzubereiten. Die Hintergrundinformationen dazu lieferte die mit Publikationen aus Drittweltländern ausgestattete Dokumentationsstelle. 1981 eröffnete die Arbeitsgemeinschaft eine zweite Dokumentation in Lausanne, um den sprachregionalen Zugang zur Information zu erleichtern. Damit war der Grundstein für den heutigen Bereich «Information und Dokumentation» von Alliance Sud gelegt2.

Niederschwellige Öffentlichkeitsarbeit

Der Anspruch, mittels entwicklungsbezogener Informationsarbeit das Verständnis für die Anliegen der Drittweltländer zu fördern, zieht sich wie ein roter Faden durch die fast 40-jährige Geschichte der Dokumentationszentren von Alliance Sud. Sie sind schweizweit die einzigen öffentlichen Stellen, die sich explizit an eine breite Öffentlichkeit wenden.

Gemäss den Leitlinien von Alliance Sud haben ihre Dokumentationszentren den Auftrag, «niederschwellige Öffentlichkeitsarbeit» zu leisten3. Ihr Kerngeschäft besteht darin, auf die Informationsbedürfnisse einer breiten Öffentlichkeit zu antworten, die sich für Entwicklungsfragen und die Länder im Süden und Osten interessiert. Dazu selektieren, bewerten und erschliessen sie entwicklungsrelevante Informationen.

Die Meinungsbildung aber ist Sache der Informationssuchenden selber. Das hat nichts mit (politischer) Beliebigkeit gemein. Die Dokumentationszentren wollen vielmehr verschiedene Perspektiven und auch Kontroversen aufzeigen. So findet sich unter dem bereitgestellten Informationsmaterial etwa solches, das sich nicht zwingend mit den Positionen von Alliance Sud deckt. Ein Beispiel ist das Thema Entwicklungszusammenarbeit: Hier werden sowohl befürwortende wie kritische oder ablehnende Stimmen dokumentiert.

Zum Zielpublikum gehören in erster Linie Lernende und Studierende, Mitarbeitende von Entwicklungsorganisationen sowie Einzelpersonen. Das Spektrum reicht von jüngeren Menschen mit oft keinen oder wenigen einschlägigen Kenntnissen bis hin zu Fachpersonen. Kurz: ein Publikum, das sich im Rahmen der Ausbildung, beruflich oder privat mit Nord-Süd-Fragen beschäftigt.

Pressearchiv und Fachbibliothek

Die Dokumentationszentren führen in Lausanne und Bern je ein Pressearchiv mit Zeitungs- und Zeitschriftenausschnitten zu allen Entwicklungsländern und zu über zwei Dutzend entwicklungsrelevanten Themen: von Arbeit über Gesundheit und Migration bis Weltwirtschaft. Alle Subthemen eingerechnet, werden über 500 Stichworte dokumentiert. Ein spezieller Fokus liegt auf den humanitären, politischen und wirtschaftlichen Beziehungen der Schweiz zu den Entwicklungsländern.

Ein solcher Printbestand mag anachronistisch erscheinen. Bedenkt man aber, dass die thematisch strukturierten Dossiers auch Dokumente umfassen, die gängige Mediendatenbanken nicht verzeichnen (z.B. Artikel aus grauer Literatur) oder die nirgends digitalisiert wurden, so leuchtet der (Mehr-)Wert dieses Bestands ein. Er ist speziell für jene wertvoll, die sich mit den Anfängen der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit und -politik befassen. Das Pressearchiv ist bei den Nutzenden sehr beliebt.

Das Zentrum in Bern verfügt zusätzlich über eine Fachbibliothek. Sie bietet hauptsächlich deutschsprachige Einstiegsliteratur zu entwicklungsrelevanten Themen und zu allen Entwicklungsländern zur Ausleihe an, aber auch viele Nachschlagewerke und Jah bücher internationaler Institutionen wie UNO oder Weltbank. Die laufenden Zeitschriften umfassen derzeit rund 120 Titel. Der Buchbestand und gut ein Drittel der laufenden Zeitschriften sind inhaltlich erschlossen und über den Bibliothekskatalog im Internet einsehbar. Dieser verzeichnet zunehmend auch elektronische Dokumente4.

Der Einfluss des Internets

In der Vor-Internet-Zeit erfolgte der Informationsaustausch mit den Ländern des Südens am ehesten über den Austausch von Publikationen oder über JournalistInnen-Netzwerke. Das Internet hat die Distanzen aufgehoben, und heute kann jede/r nach Gutdünken (meist) kostenlos publizieren. Das ist ein Paradigmenwechsel, der insbesondere für die Printmedien auch Kehrseiten zeitigt. Ihnen machen gesunkene Werbeeinnahmen und LeserInnen zu schaffen, die meinen, Informationen müssten gratis erhältlich sein.

Mit dem Aufkommen des Internets veränderten sich der Medienkonsum – viele informieren sich heute tagesaktuell im Netz – und die Suchgewohnheiten. Frei nach dem Motto: Google liefert auf jede Frage eine Antwort. Wie steht es aber um die Qualität der gefundenen Information, ihre Verlässlichkeit? Das Risiko, Wesentliches zu übersehen oder gar Plagiaten aufzusitzen, ist ständig präsent.

Diese Entwicklungen gingen und gehen auch an den Dokumentationszentren von Alliance Sud nicht spurlos vorbei. Gerade weil sie sich von jeher kontinuierlich mit dem weltweiten politischen, sozialen und wirtschaftlichen Geschehen auseinandersetzen. Der enge Bezug zur Aktualität ist denn auch eines der wesentlichen Merkmale, die sie von anderen thematisch verwandten Informations- und Dokumentationsstellen unterscheiden.

Vom Papier zum Digitalen

Die Dokumentationszentren von Alliance Sud passen sich dem veränderten Informationsverhalten bestmöglich an. Heute behandeln sie elektronische und gedruckte Quellen gleichwertig. Sie haben ihre Präsenz im Internet verstärkt und stellen dort Instrumente bereit, welche die Informationskompetenz der Nutzenden fördern. Einige Beispiele:

– Die Linksammlung Globalia verzeichnet Webseiten, die von den Mitarbeitenden der Dokumentationszentren ausgesucht, kommentiert und indexiert werden. Angesichts der Informationsfülle im Internet will Globalia ein nützliches Findmittel für alle an Nord-Süd-Fragen Interessierten sein5.

– Seit mehreren Jahren produzieren die Dokumentationszentren elektronische Dossiers zu ausgewählten Themen wie Bildung, Klima, Wasser oder Finanzkrise. Lernenden stellen sie ein spezifisches Angebot zur Verfügung, das sie beim (Online-)Recherchieren unterstützt.

– Die Dokumentationszentren arbeiten vernetzt und gehen vermehrt Koope- rationen ein. Derzeit koordinieren sie das Projekt «Histoire vivante» der Télévision Suisse romande und beteiligen sich an «Jugend debattiert». Sie begleiten Praktika angehender InformationsspezialistInnen und I+D-AssistentInnen. Auch sind sie aktiv in entwicklungspolitischen I+D- Netzwerken6oder gehören virtuellen Informationsportalenwww.interportal.ch, www.snl.admin.ch/ swissinfodesk.an.

Individuelle Beratung

Eine beinahe tägliche Erfahrung: Viele der Nutzenden haben nur vage Vorstel- lungen von dem, was sie eigentlich suchen. Hier setzen die Mitarbeitenden der Dokumentationszentren begleitend und beratend an. Sie unterstützen die Informationssuchenden vor Ort, per E-Mail oder am Telefon und helfen ihnen, sich in thematischer und informationsspezifischer Hinsicht zurechtzufinden. Die Dokumentationszentren von Alliance Sud legen viel Wert auf diese individuelle Beratung. Denn damit liefern sie den Informationssuchenden einen entscheidenden Zusatznutzen, den selbst eine erfolgreiche Onlinerecherche nicht wettmachen kann.

Wer sich an die Dokumentationszentren wendet, sucht vorab nach Informationen zu einem Thema (Beispiel: virtuelles Wasser) oder einem Land (Beispiel: extraktive Industrie im Kongo) und nur selten nach bestimmten AutorInnen. Deshalb beinhaltet eine typische «Trefferliste» gleichsam ein Paket mit unterschiedlichen Quellen und Medienträgern, die zu einem thematischen Ganzen werden: Fotokopien aus Pressedossiers, Bücher und Zeitschriften, ergänzt um elektronisches Informationsmaterial wie Hinweise auf weiterführende Webseiten.

Bücher zum Klimawandel leiht auch die Stadtbibliothek aus, der Weltentwicklungsbericht findet sich in einer Universitätsbibliothek, ein Zeitungsartikel steht eventuell gratis im Netz. So gesehen bieten die Dokumentationszentren von Alliance Sud entwicklungsbezogene Literatur nicht exklusiv an. Ihre Originalität besteht im Mix des Angebots, das an einem Bezugsort verfügbar ist und ein gleichwertiges Nebeneinander von Print und Online offeriert – und in der entwicklungspolitisch fachkundigen Beratung durch ihre Mitarbeitenden.

www.alliancesud.ch/documentati... (Lausanne), www.alliancesud.ch/dokumentati... (Bern) 

Wer ist Alliance Sud?

Alliance Sud ist die entwicklungspolitische Arbeitsgemeinschaft der Hilfswerke Swissaid, Fastenopfer, Brot für alle, Helvetas, Caritas und Heks. Sie will die schweizerische Öffentlichkeit über Nord-Süd-Themen informieren und die schweizerische Politik zugunsten der Entwicklungsländer beeinflussen.

Die politischen Hauptanliegen von Alliance Sud sind faire Handels- und Finanzbeziehungen, eine angemessene, qualitativ hochstehende Entwicklungszusammenarbeit sowie eine Umwelt- und Klimapolitik, die den Bedürfnissen der armen Länder und ihrer Menschen Rechnung trägt.

Um eine breitere Öffentlichkeit über entwicklungspolitische Themen zu informieren und dafür zu sensibilisieren, führt Alliance Sud in Lausanne und Bern öffentlich zugängliche Dokumentationszentren (siehe Haupttext) und betreibt eine Bildungsstelle, die Lernmedien für den Schulunterricht produziert. Zudem gibt Alliance Sud viermal jährlich die Zeitschrift GLOBAL+ heraus, welche die schweizerische Politik gegenüber dem globalen Süden analysiert und kommentiert. Informationen: www.alliancesud.ch oder mail@alliancesud.ch.

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Pierre Flatt

Alliance Sud

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Emanuela Tognola

Alliance Sud

  • 1 Heute: Brot für alle.
  • 2 Von 1988 bis 1998 bestand auch ein Centro di documentazione in Lugano.
  • 3 Die Strategie der Arbeitsgemeinschaft, Dokument 5, Okt. 2004, S. 7.
  • 4 katalog.alliancesud.ch.
  • 5 s. www.alliancesud.ch/globalia.
  • 6 Netzwerk der entwicklungsbezogenen Dokumentationsstellen der Schweiz (www.neds.ch), Informationsverbund Entwicklungspolitik, IVEP.

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Créée en 1971, Alliance Sud est la communauté de travail des six grandes organisations suisses d’entraide: Swissaid, Action de Carême, Pain pour le prochain, Helvetas, Caritas et Eper. Son but est d’influencer la politique de la Suisse en faveur des populations pauvres de la planète et privées de leurs droits fondamentaux. Elle agit notamment par des conférences et des interpellations politiques, des campagnes publiques et un travail d’information efficace. Alliance Sud anime à Berne et à Lausanne des centres de documentation publics, qui fournissent une vaste information sur les pays en développement et de l’Europe de l’Est, sur les relations de la Suisse avec ces pays ainsi que sur plus de 500 questions de développement et de coopération internationale. Les centres de documentation d’Alliance Sud sont l’unique source historique de documentation sur les problèmes du tiers-monde, destinée à un large public. Le public cible est avant tout les enseignants et étudiants, les collaborateurs des organisations d’aide au développement ainsi que toute personne intéressée par ces questions. Du jeune, sans connaissance spécifique, au spécialiste, tous ceux qui sont concernés par les questions Nord–Sud y trouvent la documentation nécessaire. Les archives de presse contiennent des journaux et des extraits de magazines sur les pays en voie de développement, sur les thèmes allant du travail à l’économie mondiale, en passant par la santé et la migration. Le centre de Berne dispose en plus d’une bibliothèque spécialisée. Elle offre en prêt principalement de la littérature en langue allemande sur les thèmes du développement et des pays en voie de développement, mais aussi des œuvres et rapports annuels d’institutions internationales comme l’ONU ou la Banque mondiale. Elle dispose d’environ 150 revues. Le fonds de bibliothèque et un bon tiers des revues sont accessibles sur l’internet. Les centres d’Alliance Sud se mettent systématiquement à jour et cherchent à refléter au mieux l’actualité. Le travail en réseau permet une bonne accessibilité aux informations. Les collaborateurs des centres de documentation et de consultation aident les chercheurs par des conseils individualisés. Ils les soutiennent dans la recherche d’information sur le terrain, par e-mail ou au téléphone.