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2009/3 Digitale Dienstleistungen als Herausforderung in I&D

Der Empfehlungsdienst BibTip

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Empfehlungen begegnen uns im Alltag in vielfältiger Weise und den unterschiedlichsten Formen. Die Sprühsahne, die im Supermarkt neben den Erdbeeren aufgebaut wird, der Wein, den der Kellner zum Essen empfiehlt, oder die passende Hose zum Pullover. Hinter einer Empfehlung muss keine komplizierte Technik stecken. Ein Buchhändler, der die Lesegewohnheiten und Vorlieben seiner Kunden genau kennt, kann höchstwahrscheinlich viel bessere Empfehlungen abgeben als jedes System. Die Grundprinzipien sind jedoch die gleichen; die Erfahrungen aus einem beobachteten Verhalten verdichten sich zu einer Empfehlung.

Empfehlungen dieser Art werden als verhaltensbasierte oder implizite Empfehlungen bezeichnet. Abzugrenzen hiervon sind explizite Empfehlungen, wie Rezensionen oder Bewertungen, die nicht das Nutzerverhalten widerspiegeln, sondern eine Wertung oder einen persönlichen Eindruck zum Ausdruck bringen. Bei dem an der Universität Karlsruhe entwickelten Empfehlungssystem BibTip, das OPACs um eine Empfehlungskomponente erweitert, wird ein rein verhaltensbasierter Ansatz verfolgt. Rezensionen, Bewertungen oder Communityfunktionalitäten gehören entgegen einiger anders lautender Blogbeiträge nicht zum Dienstspektrum von BibTip. BibTip liefert zu einem gegebenen Titel eine Liste von weiteren Titeln, die im Zusammenhang mit dem aufgerufenen Titel ebenfalls interessant sein könnten.

Grundprinzip

Basis für die Berechnung dieser Empfehlungen ist die Beobachtung von Paarungen aus Volltitelaufrufen im OPAC, die gehäuft innerhalb von verschiedenen Recherchesessions aufgerufen wurden. Wenn zum Beispiel beobachtet werden konnte, dass in verschiedenen Recherchesessions die Volltitelaufrufe zu Goethes Faust und zu einem Buch über Interpretationshilfen enthalten sind, könnte hieraus eine Empfehlung werden. Die Schwierigkeit besteht nun darin, die minimale Anzahl gemeinsamer Beobachtungen zu bestimmen, bevor eine Empfehlung ausgesprochen wird. Der Buchhändler trifft diese Entscheidung aufgrund seiner Erfahrung, die er über die Jahre gesammelt hat. Er entscheidet von Kunde zu Kunde, von Buch zu Buch immer wieder neu. Er weiss, dass ein Harry Potter sehr häufig gekauft wird und ein gemeinsamer Kauf mit einem anderen Buch daher noch lange kein Indiz für einen Zusammenhang darstellt. Natürlich trifft der Buchhändler seine Empfehlungsentscheidung auch aufgrund von inhaltlichen Aspekten, was an dieser Stelle aber ausser Acht gelassen werden soll.

Das Beispiel verdeutlicht, warum der naive Ansatz einer fixen Schranke gemeinsamer Beobachtungen nicht greift. Ist die Schranke zu niedrig angesetzt, verirren sich häufig nachgefragte Titel in jede zweite Empfehlungsliste. Ist sie zu hoch gewählt, ergeben sich zu wenig oder gar keine Empfehlungen. Zur Lösung dieser Problematik setzt BibTip ein sogenanntes Random Noise Model ein, ein Verfahren, das auch zur Simulation komplexer Vorgänge in der Physik verwendet wird. Dieses Modell berechnet zu jedem Titel die zu erwartende Häufigkeit von gemeinsamen Aufrufen dieses Titels zusammen mit beliebigen anderen Titeln, unter der Voraussetzung, dass diese Titel rein zufällig aufgerufen werden. Mit anderen Worten, es wird bestimmt, wie viele Paarungen von Harry Potter zusammen mit beliebigen anderen Titelaufrufen allein durch eine zufällige Zusammenstellung der Volltitelaufrufe einer Recherchesession auftreten könnten. Die Anzahl der laut dem Random Noise Model zufällig auftretenden Paarungen stellt den Schwellenwert dar. Alles, was darunter liegt, ist Rauschen und kann als zufällig aufgetretene Paarung betrachtet werden. Überschreitet die Auftrittshäufigkeit den Schwellenwert, konnte ein Kandidat für eine Empfehlung gefunden werden.

BibTip berechnet also für jeden Titel eine andere Schranke, die laufend aktualisiert wird und zudem noch vom Rechercheverhalten im jeweiligen Katalog abhängt.

Die eingesetzten statistischen Algorithmen und das Random Noise Model wurden am Institut von Prof. Dr. Andreas Geyer Schulz (Universität Karlsruhe) über mehrere Jahre erforscht. Aufbauend auf diesen Ergebnissen hat in der IT-Abteilung der Universitätsbibliothek Karlsruhe die Entwicklung einer Recommenderdienstleistung für Onlinebibliothekskataloge stattgefunden, die seit Ende 2007 als BibTip angeboten wird.

Eigenschaften von BibTip-Empfehlungen 

BibTip-Empfehlungen sind, wie bereits erwähnt, katalogspezifisch und spiegeln somit das lokale Nutzerverhalten im jeweiligen Katalog wider. So können Empfehlungen beispielsweise dadurch entstehen, dass Professoren am Ende einer Veranstaltung Literaturlisten ausgeben, die dann von den Studenten im OPAC recherchiert werden. BibTip bildet somit Teile von Literaturempfehlungen ab. Andere Empfehlungen ergeben sich aus Literaturrecherchen zu einem bestimmten Thema. Die Möglichkeiten sind vielfältig, und gerade bei Empfehlungen, die durch Recherchen zu interdisziplinären Themen entstanden sind, ist ein übergeordneter Zusammenhang für Aussenstehende nicht immer sofort ersichtlich. Was aber nicht heisst, dass diese Empfehlungen keinen Sinn ergeben. Hier wird deutlich, dass BibTip die Sacherschliessung nicht ersetzen kann und auch gar nicht diesen Anspruch hat. BibTip verfolgt einen statistischen Ansatz, es bildet Benutzerverhalten ab. Im Gegensatz zur Sacherschliessung gehorchen die Titel einer Empfehlungsliste nicht zuvor festgelegten Regeln und Konventionen. Für eine sinnvolle Recherche im OPAC ist die Sacherschliessung jedoch unerlässlich.

In Analogie zum Supermarkt könnte man die Sacherschliessung mit der Aufteilung der Verkaufsfläche in festgelegte Produktkategorien vergleichen, während BibTip die Sprühsahne ist, die im Sommer neben den frischen Erdbeeren aufgebaut wird. Das eine schliesst das andere nicht aus, im Gegenteil, es ergänzt sich.

Eine weitere wichtige Eigenschaft von BibTip-Empfehlungen ist ihr dynamischer und adaptiver Charakter. Die Empfehlungslisten werden laufend aktualisiert und passen sich dem Benutzerverhalten und dem Katalogbestand an. Gerade in der Anfangsphase einer BibTip-Installation verändern sich die Empfehlungslisten sehr stark. Alte Empfehlungen verschwinden, neue kommen hinzu. Durch diese Eigenschaft können BibTip-Empfehlungen quasi nie veralten. Generell gilt, je länger die Beobachtungsdauer, desto besser ist die Qualität.

Da BibTip-Empfehlungen katalogspezifisch sind, muss zunächst genügend Beobachtungsmaterial gesammelt werden, bevor Empfehlungen berechnet werden können. Die Abdeckung des Kataloges mit Empfehlungen vergrössert sich dann sukzessive. Wie schnell eine hohe Abdeckung erreicht wird, hängt stark vom Katalog ab und kann im Vorfeld nur schwer vorhergesagt werden.

Nutzung von BibTip

Abschliessend soll noch kurz auf die aktuelle Verbreitung und Nutzung von BibTip eingegangen werden. Derzeit ist der Empfehlungsdienst in ca. 30 Katalogen installiert, darunter auch die Deutsche Nationalbibliothek und die Bayerische Staatsbibliothek. Die Empfehlungen sind allerdings noch nicht in allen Katalogen freigeschaltet. Screen-shots zu verschiedenen Katalogeinbindungen sind unter http://www.bibtip.de verfügbar. Messungen in verschiedenen Katalogen haben gezeigt, dass bei ca. 15% der eingeblendeten Empfehlungslisten ein Empfehlungsaufruf stattfindet. Die Nutzung hängt allerdings stark von der Präsentation der Empfehlungsliste im OPAC und von der Abdeckung ab. So sind Benutzer eines Kataloges mit 10% Abdeckung offenbar noch nicht genügend an den Dienst gewöhnt, entsprechend geringer ist die Nutzung. Auch eine Präsentation der Liste ausserhalb des sichtbaren Bildschirmbereichs, die zunächst Scrollen erfordert, verringert die Nutzung. Im Katalog der UB Karlsruhe mit mehr als 70% Abdeckung liegt die Nutzung bei über 20%. Die hohen und gleichzeitig stabilen Nutzungszahlen zeigen, dass BibTip eine wertvolle Erweiterung für den OPAC darstellen kann. 

Weitere Informationen zu BibTip erhalten Sie unter http://www.bibtip.de oder auch gerne direkt bei den Autoren.

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Marcus Spiering

Dipl.-Ing. Universitätsbibliothek Karlsruhe, mit Michael Mönnich

Abstract

Le système de recommandation BibTip développé par l’Université de Karlsruhe, qui vient compléter l’OPAC d’une composante «recommandations», suit une approche essentiellement basée sur le comportement. Les recensions, les appréciations ou encore les fonctionnalités «community» ne font par partie des services de BibTip. Ce système fournit en effet, pour un titre spécifique, une liste d’autres titres qui pourraient également être intéressants et qui ont un rapport avec le titre donné. Les recommandations de ce type sont appelées recommandations implicites ou basées sur le comportement. Il convient donc de les distinguer des recommandations telles que les recensions ou les comptes rendus qui ne reflètent pas le comportement de l’utilisateur, mais qui expriment une appréciation ou une impression personnelle.