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2007/4 Informationskompetenz – Schlüsselqualifikation für Spezialisten, Notwendigkeit für Nutzer

Zielgruppengerecht und pragmatisch: der Beitrag der Zentralbibliothek Zürich zur Informationskompetenz an Universität und Schule

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Die Zentralbibliothek Zürich setzt ihr 2005 erarbeitetes Konzept für die Benutzerschulungen um. Darin werden vier Zielgruppen definiert, darunter an erster Stelle die Studierenden der Universität und die Maturand/innen.

Bis vor zwei Jahren hat das Angebot an Benutzerschulungen und Bibliotheksführungen der Zentralbibliothek Zürich (ZB) vor allem aus Gruppenführungen auf Anfrage und der monatlichen Abendführung ohne Voranmeldung bestanden. Diese klassischen Bibliotheksführungen – 2004 wurde die Zahl von 2100 Personen erreicht – hatten ihren Schwerpunkt auf der Bibliotheksbenutzung und den Dienstleistungen der ZB. Weitergehende Fragen der Informationskompetenz, etwa die Evaluation der geeigneten Quellen oder die Beurteilung der Relevanz von Suchresultaten, wurden hingegen nicht systematisch abgedeckt. Eine zielgruppengerechte Weiterentwicklung des bestehenden Angebots schien daher sinnvoll. So war einerseits der wachsenden Zahl von Anfragen aus den Schulen – insbesondere im Kontext der Maturaarbeiten – Rechnung zu tragen. Andererseits sollten auch die Studierenden der Universität erreicht werden, ein Unterfangen, das schlecht planbar war, da die Teilnahme auf reiner Freiwilligkeit beruhte und daher meist nur mässig war.

Das neue Konzept

Die Abteilung Information der Zentralbibliothek erarbeitete 2005 im Auftrag der Direktion ein neues, auf vier Pfeilern basierendes Schulungskonzept, das sich am vielfältigen Publikum der ZB als Kantons-, Stadt- und Universitätsbibliothek orientieren sollte:

1. Zielpublikum: Studierende der Universität

Den Studierenden der Universität werden neben den bisherigen Inhalten vertiefende und breitere Schulungen in Informationskompetenz angeboten. Dabei strebt die ZB eine verbindliche Integration des Angebots in geeignete Universitätsveranstaltungen an.

2. Zielpublikum: Maturand/innen

Die Maturanden sind eine wichtige Benutzergruppe der ZB. Sie sind die zukünftigen Studierenden und haben wegen der neuen Maturaarbeiten ein grosses Interesse an den Informationsquellen der Zentralbibliothek.

3. Zielpublikum: allgemeine Öffentlichkeit

Das Basisangebot für das allgemeine Publikum ist mit öffentlichen Abendführungen und Ausstellungsführungen bereits gut. Thematische und vertiefende Führungen und Vorträge sollen die ZB als kompetente Anlaufstelle in Recherchefragen hervorheben.

4. Zielpublikum: Lehrer/innen, Dozierende, Tutoren

Weitere Zielgruppen könnten im Sinne von «Train the trainers» oder Mulitplikatoren Lehrer/innen, Assistent/innen, Tutor/innen, aber auch Bibliothekar/ innen der Grossregion Zürich sein.

Zielpublikum: Studierende

Im Zusammenhang mit der Bologna-Reform und der damit verbundenen Neugestaltung der Curricula hat sich für die Zentralbibliothek die Gelegenheit geboten, ihre Dienste der Universität zur Verfügung zu stellen. Die ZB sieht ihr Potential in einem ersten Schritt in einer, wenn möglich von der Institutsleitung als verbindlich definierten, Mitwirkung bei den einführenden Proseminaren, die sich der Vermittlung von Arbeitstechnik widmen.

Noch vor der individuellen Kontaktaufnahme mit den Instituten haben sich die Schulungsverantwortlichen der ZB mit ihren Kolleginnen und Kollegen aus der Hauptbibliothek der Universität Zürich (HBZ) über die Zuständigkeiten abgesprochen: die HBZ übernimmt die Schulungen für die naturwissenschaftlichen und medizinischen Disziplinen, die ZB die geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächer. Die Schulungen für Studierende der Psychologie werden gemeinsam durchgeführt, andere Kooperationen sind fallweise jederzeit möglich.

Grundlage der Zusammenarbeit ist stets, die Dienstleistungen der Bibliotheken der Universität Zürich insgesamt darzustellen. Es geht nicht mehr um «ZB-Führungen» und «HBZ-Schulungen», sondern um die «Marke» «Bibliotheken der Universität Zürich». Diese wird auch mit einem gemeinsamen Auftritt von ZB, HBZ und Institutsbibliotheken an den Studieninformationstagen und Erstsemestrigentagen der Universität unmittelbar vor Beginn des Herbstsemesters gepflegt.

Seitens der ZB ist die Benutzungsabteilung (Information) für die Organisation der Veranstaltungen zuständig. Sie wird bei der Kontaktpflege mit den Instituten, der Konzipierung und teilweise auch der Durchführung von den Fachreferent/innen der Bibliothek unterstützt.

Das Angebot der ZB an die Universitätsinstitute

Nachdem den Instituten Anfang 2006 ein Katalog an «Modulen» präsentiert worden ist, haben die ZB und Institutsvertreter gemeinsam nach einer individuellen, an die jeweiligen Bedürfnisse des entsprechenden Instituts angepassten Lösung gesucht. In die Planung und Ausführung sind in verschiedenen Fällen auch die Institutsbibliotheken einbezogen worden. Ein Teil der Institute hat diese Veranstaltung in den verbindlichen Studienplan aufgenommen, bei andern beruht die Zusammenarbeit noch auf der Initiative einzelner Proseminarleiter/innen. Die Tendenz geht aber eindeutig in Richtung eines verpflichtenden Angebots, was die Vorbereitungsarbeiten für die ZB erleichtert und die Wirkung massiv erhöht, sodass beispielsweise sämtliche Erstsemestrige in grossen Fächern wie Psychologie und Geschichte erreicht werden.

Im Herbstsemester 2007 führt die ZB Veranstaltungen für 15 Universitätsinstitute durch, – ein Erfolg, der über allen Erwartungen liegt. Wurden 2005 noch 725 Studierende in Anlässen innerhalb der ZB gezählt, stieg diese Zahl 2006 auf über 1250. Dazu kamen gegen 1000 Personen bei Schulungen an der Universität. 2007 wird die Zahl nochmals deutlich höher liegen. In drei Jahren konnte die Menge erreichter Studierender somit verdreifacht werden.

In der Regel finden die Veranstaltungen, dem Wunsch der Institute entsprechend, in der Universität statt. Ein zusätzlicher Besuch in der ZB ist allerdings nach wie vor wünschenswert, um allfällige Schwellenängste abzubauen. Die Bandbreite der Veranstaltungen ist gross. Das am weitesten entwickelte Angebot besteht im Fach Geschichte, wo die ZB in jedem Proseminar (Modul 1) des Bachelorstudiums eine 90-minütige Einführung in die Literaturrecherche durchführt. Als Ergänzung dazu nehmen die Studierenden in der Bibliothek an einer einstündigen Einführung in die Dienstleistungen der ZB teil, und auch an der E-Plattform beteiligt sich die ZB mit eigenen Beiträgen. In den Fächern Publizistik und Soziologie werden den Erstsemestrigen 60–90-minütige Einführungen im Vorlesungsstil geboten, in der Romanistik- und den Wirtschaftswissenschaften sind es die Tutor/innen, die geschult werden, die Studierenden der Anglistik erhalten eine vertiefende Einführung in die Datenbanken, und im Fach Psychologie geschieht die Schulung im Rahmen interaktiver Proseminare. Jedem der 15 Institute wird eine eigene «massgefertigte» Lösung geboten.

Das Gewicht wird bei den Einführungen bewusst nicht auf detaillierte Erörterungen von Recherchetechniken gelegt. Diese sind bei Veranstaltungen für Studienanfänger von geringer Bedeutung, zumal in vielen Fächern die selbständige Literatursuche erst in höheren Semestern wichtig wird. Entscheidend ist vielmehr, das Angebot der Bibliothek gleich zu Studienbeginn ins Bewusstsein der Studierenden zu rücken. Die ZB versteht ihre Rolle gegenüber der Universität hierbei ganz klar als Dienstleister im Teilbereich der Vermittlung von Arbeitstechnik und -grundlagen, idealerweise eingebettet in Basismodule des wissenschaftlichen Arbeitens.

Dieser pragmatisch-praktisch orientierte Ansatz lässt sich sehr gut in die Gefässe der Universitätsveranstaltungen einbringen; und er ist realistischerweise auch das, was mit den bestehen- den Ressourcen möglich ist. Die Durchführung ganzer Einführungsmodule mit umfassender Abdeckung aller Aspekte der Informationskompetenz bis hin zur Arbeitsmethodik (Zitiermethodik usw.) übersteigt die Möglichkeiten der ZB. Die kritische Frage sei zudem erlaubt, ob die potentielle Nachfrage den immensen Aufwand überhaupt rechtfertigt. Er müsste auf jeden Fall in einer institutionsübergreifenden Kooperation angegangen werden, wie dies beispielsweise das Projekt «Information Literacy» von E-lib.ch (http://www.e-lib.ch) beabsichtigt.

Aussichten

Entwicklungspotential besteht gewiss in Veranstaltungen für höhere Semester. In einzelnen Fächern sind entsprechende Überlegungen bereits im Gang und dürften sich konkretisieren, sobald sich die Institute an die Planung der Zeit nach den ersten Bachelorsemestern machen. Der Erfolg bestehender Angebote wird die Nachfrage nach Ausbau und Vertiefung zweifellos mit sich bringen. Bereits jetzt findet beispielsweise bei der Hochschule für Wirtschaft Zürich (HWZ) ein mehrstufiges Schulungsangebot guten Anklang. Ohnehin haben die Fachhochschulen und höheren Fachschulen in diesem Zusammenhang eine wachsende Bedeutung. Die ZB steht hier als Kantonsbibliothek in der Pflicht und sollte, in Zusammenarbeit mit den Bibliotheken der Fachhochschulen, ein entsprechendes Angebot aufbauen bzw. erweitern.

Zielpublikum: Maturand/innen

Seit der Einführung des neuen Maturitätsanerkennungsreglements 1995 ist die Maturaarbeit ein Bestandteil des Maturitätsprogramms. Ab 2008 (in Zürich bereits seit 2002) wird die Note für die Maturaarbeit auch für die Abschlussnote mitgerechnet. Der Zweck der Maturaarbeit besteht darin, die Mittelschülerinnen und -schüler auf die Universität vorzubereiten. Dem Quellenstudium und der Aufarbeitung des aktuellen Wissensstands wird ein grosses Gewicht beigemessen (s.a. Christin M. Kunz: Gesellenstück gymnasialer Bildung. Maturaarbeit auf der zweiten Stufe gymnasialer Reform. In: NZZ, 13.5.2003). Der Anspruch an die Literatur entspricht damit zunehmend dem universitären Grundstudiumsniveau und ruft nach der Versorgung durch - zumindest – eine Studien- und Bildungsbibliothek. Die Anfragen von Lehrer/innen an die ZB nahmen deshalb in den vergangenen Jahren kontinuierlich zu. Maturanden gezielt anzusprechen, liegt zudem im ureigenen Interesse der Bibliothek. Künftige Studierende können erreicht werden, noch bevor diese an die Universität gelangen und damit viel weniger leicht greifbar sind.

Die erste Kontaktaufnahme mit den kantonalen Gymnasien geschah mit einem Brief an die Rektorate. Kurz darauf wurden auch die Mediotheken angeschrieben, und die daraus folgende Kooperation und bessere Kenntnis voneinander haben sich als sehr nützlich erwiesen. Während der Schulungen wird deshalb in der ZB stets auch auf das Angebot der gymnasialen Mediotheken hingewiesen, insbesondere auf das Webportal digithek.ch und die Zeitungsdatenbank Swissdox.

Dass sich diese Bemühungen gelohnt haben, zeigen die Zahlen eindrücklich: 2004 wurden 55 Veranstaltungen für knapp unter 1000 Schüler/ innen organisiert, 2006 bereits 81 Veranstaltungen für 1645 Schüler/innen. In einzelnen Schulen besuchen ganze Maturajahrgänge systematisch die ZB, sei es klassenweise, sei es in separaten, klassenübergreifenden Veranstaltungen. Der Erfolg dieser Bemühungen zeigt sich auch an den Erstsemestrigen- und Maturandentagen der Universität: Viele Studienanfänger/innen aus Zürich besitzen bereits einen IDS-Ausweis und kennen die Zentralbibliothek aus eigener Erfahrung.

Inhaltlich liegt das Gewicht bei den Maturandenschulungen auf der Benutzung der Zentralbibliothek und der Recherche im Bibliothekskatalog und ev. in den Zeitungsdatenbanken. Ein Rundgang durch die Bibliothek und die Einschreibung der Schüler/innen als neue Benutzer schliessen die Veranstaltung ab. Auf Wunsch können die Schüler/innen nach diesem ca. 90-minütigen Grundangebot selbst eine erste Katalogrecherche an den Opacs durchführen, wobei sie vom Bibliothekspersonal betreut werden.

Zielpublikum: allgemeine Öffentlichkeit

Drei Typen öffentlicher Veranstaltungen ohne Voranmeldung werden von der ZB angeboten:

1. Einführung in die Literaturrecherche und Bibliotheksbenutzung («Abendführung»)

Diese langjährige und bewährte Führung ist stärker auf allgemeine Informationen zur Bibliothek (z.B. Geschichte, Bestandesprofil) ausgerichtet als die durchschnittliche Gruppenführung, wobei auch hier möglichst flexibel auf das Publikum eingegangen wird.

Seit diesem Jahr werden die bis anhin monatlichen Abendführungen regelmässig jeden Mittwochabend angeboten. Dieses dichtere Angebot hat – ähnlich wie im öffentlichen Verkehr – auch eine verstärkte Nutzung zur Folge; die Zahl der Besucher/innen pro Führung bewegt sich allerdings oft an der unteren Toleranzgrenze. Eine stärkere inhaltliche Profilierung könnte hier vielleicht Abhilfe schaffen – oder auch eine teilweise Ersetzung durch eine Kurzeinführung in die ZB. Die jetzige Dauer von 90 Minuten dürfte für manche Benutzer/innen zu lang sein.

2. Einführung in die Literaturrecherche und Bibliotheksbenutzung für Studierend

Nach demselben Schema werden zu Semesterbeginn auch regelmässig öffentliche Bibliotheks- und Rechercheeinführungen speziell für Studierende angeboten. Die Nachfrage ist recht gross; es bleibt aber abzuwarten, wie sie sich entwickelt, wenn immer mehr Inhalte direkt an der Universität vermittelt werden.

3. Datenbankworkshops

Datenbankworkshops finden alle zwei Wochen statt. Inhaltlich zielen diese Einführungen auf eine intensive Arbeit mit Datenbanken. Der Aufbau der Workshops ermöglicht den Teilnehmenden eine aktive Mitarbeit an individuellen Recherchegeräten. Ab diesem Jahr werden neben den allgemeinen Workshops auch solche mit fachlicher Fokussierung angeboten.

Zielpublikum: Lehrer/innen, Dozierende, Tutoren

Das Angebot für Dozierende ist noch in einer Aufbauphase. Erste Erfahrungen zeigen aber, dass diese Schulungen ein grosses Bedürfnis darstellen, sei es als Vertiefungs-, sei es als Wiederauffrischungskurse für die Lehrenden an Universitäten und Schulen. Zudem erwies sich der fachliche und persönliche Austausch mit den Zürcher Bibliotheken und Mediotheken als sehr fruchtbar, der mit verschiedenen Bibliotheksbesuchen und Informationsveranstaltungen gepflegt wurde. Diese Vernetzung im Zürcher Bibliothekswesen aktiv mitzugestalten und dabei fachliche Weiterbildung anzubieten stellt für die ZB als Stadt- und Kantonsbibliothek eine wichtige Aufgabe dar. In diesem Zusammenhang ist auch auf die Ausbildung für Gemeindebibliothekarinnen und Gemeindebibliothekare sowie auf die Grundkurse für Bibliotheksassistent/ innen der Universität Zürich hinzuweisen, die die ZB seit Jahren anbietet.

Fazit

Dieses sehr grosse und vielseitige Angebot an Schulungen und Führungen, das zusätzlich zu den oben beschriebenen weiterhin auch die übrigen Gruppenführungen und die Führungen durch die Spezialabteilungen und Ausstellungen beinhaltet, erfordert einen grossen Einsatz des Personals und bedingt beträchtliche räumliche Kapazitäten. Der Einbezug der Fachreferent/ innen und die Zusammenarbeit mit den Institutsbibliotheken sind deshalb unerlässlich. Die Integration von E-Learning als neuer Unterrichtsform kann die Bibliothek ebenfalls entlasten, schafft aber auch neue Anforderungen an das Schulungspersonal. Um den Erfolg der Schulungen garantieren zu können, muss das Personal ausserdem regelmässig didaktisch und fachlich weitergebildet werden.

Die vermehrten Aktivitäten im Bereich der Informationskompetenz sind Teil des Paradigmenwechsels weg vom reinen Bewahren und hin zur Vermittlung der Information – ein Umdenken, das die allgemein-öffentlichen Bibliotheken schon seit längerem vollzogen haben. Wenn die Universitätsbibliotheken möchten, dass ihre Informationsressourcen, die sie sehr viel Mittel kosten, auch wirklich die entsprechende Nutzung erfahren, müssen sie sie angemessen bewerben und ein flexibles Angebot zur Verfügung stellen.

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Oliver Thiele

Zentralbibliothek Zürich

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Matthias Müller

Leiter Information der Zentralbibliothek Zürich