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2006/1 Memopolitik – vom Umgang mit dem Gedächtnis der Gesellschaften

Memopolitik in Public Private Partnership. Gemeinsames Vorgehen von öffentlichen und privaten Verantwortlichen

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In Fachkreisen ist seit vielen Jahren unbestritten, dass die Schweiz dringend umsetzungsorientierte Grundlagen für eine langfristig ausgerichtete Memopolitik braucht.

Die rasante Vermehrung des Wissens und der gespeicherten Informationen, verbunden mit technologisch immer neuen Speichermedien, schafft den Bedarf eines gemeinsamen Vorgehens der öffentlichen und privaten Verantwortlichen für die Sicherstellung des kollektiven Gedächtnisses der Schweiz.

Viele Versuche zum Aufbau einer konkreten Memopolitik Schweiz scheiterten bisher an fehlenden finanziellen Mitteln und/oder an einem zu sektoriellen Vorgehen.

Neu vorliegende Erkenntnisse über Potenziale und Umsetzungsmethoden für Public Private Partnerships (PPP) in der Schweiz lassen es als sinnvoll erscheinen, die künftige Memopolitik Schweiz in der Form einer PPP zu realisieren. PricewaterhouseCoopers hat verschiedenen Persönlichkeiten der öffentlichen Hand Vorschläge unterbreitet. Diese dürften im Jahr 2006 angepackt werden.

Ausgangslage

Der heutige Direktor des Bundesamts für Kultur, Jean-Frédéric Jauslin, hatte in seinen früheren Funktionen als Direktor der Landesbibliothek und als Präsident des Vereins Memoriav zusammen mit verschiedenen anderen Partnern erste Grundlagen für eine Memopolitik Schweiz gelegt. Dabei geht es um die «Sicherstellung des kollektiven Gedächtnisses der Schweiz» in der Gesellschaft, in den Gemeinwesen, in der Wissenschaft wie auch in der privaten Wirtschaft.

Von Mitte 2004 bis Mitte 2005 hatten acht Partner der öffentlichen Hand und der Privatwirtschaft eine Grundlagenstudie «Public Private Partnership in der Schweiz» (PPP-Studie) erarbeitet und damit wichtige Erkenntnisse für eine intensivere Umsetzung von PPP-Lösungen in der Schweiz gelegt.

Diese PPP-Studie hat auch im Bereich der Kulturpolitik ein erhebliches Potential für Projekte und Lösungen auf der Basis von Public Private Partnerships (PPP) erkanntGrundlagenstudie, erschienen im Juni 2005 im Schulthess-Verlag; Kapitel II–5.3 (Seite 118 f.). Partner: Baudirektion Kanton Zürich, Crédit Suisse, Eidg. Finanzverwaltung, Finanzdepartement Stadt Zürich, PricewaterhouseCoopers, Schweiz. Baumeisterverband, Staatssekretariat für Wirtschaft seco, UBS..

In ersten Gesprächen mit Jean-Frédéric Jauslin, Direktor des Bundesamts für Kultur, und Kurt Deggeller, Direktor des Vereins Memoriav, ist die Anregung entstanden, das breit interessierende Anliegen der Memopolitik Schweiz in der Form einer langfristig angelegten Public Private Partnership PPP konkreter umzusetzen.

Diese Anregung wurde schrittweise konkretisiert unter Einbezug auch von Andreas Kellerhals, Direktor Bundesarchiv, Marc Wehrlin, stellvertretender Direktor Bundesamt für Kultur, sowie Marie-Christine Doffey, Direktorin der Schweizerischen Landesbibliothek.

PricewaterhouseCoopers Schweiz wäre bereit, diese Aufbauarbeiten mit Expertenwissen zu unterstützenPricewaterhouseCoopers AG Schweiz ist Teil des internationalen Netzwerks von Mitgliedschaftsfirmen von PricewaterhouseCoopers (PwC): PwC ist in der Schweiz der grösste integrierte Anbieter von Leistungen der Wirtschaftsprüfung und -beratung. PwC ist weltweit auch einer der führenden Berater für Lösungen im Bereich von Public Private Partnerships; in der Schweiz waren Experten von PwC massgeblich an der Erarbeitung der Grundlagenstudie PPP-Initiative Schweiz beteiligt. PwC ist zudem intensiv in Lösungen des «electronic governments» und der Archivierung elektronischer Daten involviert..

Charakteristika einer Public Private Partnership PPP

Mit diesem Vorgehen möchten die Beteiligten dem Anliegen der Memopolitik Schweiz zum Durchbruch verhelfen, indem sie öffentliche und private Partner und Interessenten zusammenführen und diese in einer langfristigen Verantwortungsgemeinschaft die nötigen Grundlagen für die Umsetzung der Memopolitik schaffen.

Eine echte Public Private Partnership zeichnet sich durch sieben Elemente aus (illustriert am Beispiel der Memopolitik Schweiz):

1. Öffentliche Aufgabe: Die Sicherstellung des kollektiven Gedächtnisses der Schweiz ist eine Aufgabe der öffentlichen Hand, und zwar auf allen Stufen (Bund, Kantone, Gemeinden), die zudem klar auch im Interesse vieler Privater liegt.

2. Private und öffentliche Partner: Beide Seiten haben entsprechende Bedürfnisse aus verschiedenen Gründen wie rechtliche Verpflichtung, historisches Interesse, kommerzielle Werte oder persönliche Erinnerungen.

3. Bereitstellung wirtschaftlicher Leis- tungen: Die Sicherstellung des Ge- dächtnisses stellt durchaus eine wirtschaftlich relevante Leistung dar, weil die Gestaltung von Gegenwart und Zukunft ohne das gespeicherte Wissen aus der (jüngeren, aber auch weit zurückliegenden) Vergangenheit nicht möglich ist.

4. Verantwortungsgemeinschaft: Mit einer als PPP ausgestalteten Memopolitik können verschiedene Kreise (Personen, Institutionen, Unternehmen etc.) ihre sektoriellen Verantwortungen zusammenfügen zugunsten einer integrierten, vernetzten und damit effektiveren Gesamtverantwortung.

5. Bündelung von Ressourcen: Eine langfristig angelegte und umfassende Memopolitik ist ressourcenintensiv, zudem steht sie im Wettbewerb um die Zuteilung von Ressourcen für vielleicht dringende und direkt nutzbare Bedürfnisse; deshalb ist eine effizienzorientierte Bündelung aller an der Memopolitik interessierten Ressourcen wichtig.

6. Risikoallokation: Die Realisierung der Memopolitik Schweiz ist mit verschiedenen Risiken respektive kritischen Erfolgsfaktoren verbunden. Die in eine PPP einzubeziehenden Partner sind unterschiedlich kompetent und geeignet, solche Risiken gut zu bewältigen. Deshalb ist es in einer PPP zentral, dass alle kritischen Erfolgsfaktoren erkannt und die Umsetzung primär demjenigen Partner innerhalb der PPP zugeordnet wird, welcher sie am besten beeinflussen kann (z.B. rechtliche Rahmenbedingungen, technologische Forschung, Setzen von Standards).

7. Längerfristige und prozessorientierte Zusammenarbeit: Die Memopolitik Schweiz ist von ihrem Charakter her eine ausgesprochen langfristig angelegte Aufgabe, die aber nur in pragmatischen Teilschritten, welche Bestandteil einer klaren Strategie sind, umgesetzt werden kann. Angesichts der komplexen Fragen, welche für eine Memopolitik Schweiz zu beantworten sind, ist ein sorgfältiger Prozess der Analyse, der Konzeption und Umsetzung entscheidend für den Erfolg.

Diese sieben Elemente einer PPP sind für eine Memopolitik Schweiz bei entsprechender Vorgehensweise vorhanden respektive notwendig, damit eine PPP Memopolitik gelingen kann.

Gegenstand eines möglichen Pilotprojekts PPP Memopolitik Schweiz

Damit eine langfristige Public Private Partnership (PPP) für die Memopolitik Schweiz aufgebaut werden kann, ist diese PPP inhaltlich sorgfältig zu konzipieren und danach mit den optimalen Partnern aufzubauen. In einer ersten Phase ist eine Kerngruppe von künftigen potentiellen Trägern zu identifizieren, welche die Aufstartphase im Sinn eines Pilotprojekts steuern und finanzieren.

Aus heutiger Sicht zeichnen sich mehrere Aufgabenbereiche ab, welche sinnvollerweise dieser künftigen PPP Memopolitik zugeordnet werden könnten und von ihr zu bearbeiten wären:

– Etablieren des Bewusstseins um die «wirtschaftliche Leistung» respektive den grossen ökonomischen und wissenschaftlichen Stellenwert der Memopolitik;

– Erarbeiten von Modellen für die langfristige Finanzierung von Investitionen und Betrieb von konkreten Arbeiten der Memopolitik;

– Initiieren der Beteiligung von Produzenten, Aufbewahrenden und Nutzenden;

– Überlegungen zum Umgang mit der «Informationsflut» und daraus abgeleitete Definition von Bewertungskriterien für die Aufbewahrung;

– Umgang mit den Informationsmassen aus dem Internet;

– Klären der Verantwortung der Informationsproduzenten für die Aufbewahrung im Licht übergeordneter Interessen;

– Identifizieren der Probleme des Copyrights sowie des Daten- und Persönlichkeitsschutzes und Aufzeigen von Lösungsansätzen;

– Aufbau von Kompetenzen und Ressourcen innerhalb der öffentlichen Institutionen und zwischen öffentlichen und privaten Institutionen;

– Entwickeln von Prozessen der späteren Selbstregulierung durch öffentliche und private Träger und Interessenten;

– Abbau oder Vermeidung von Doppelspurigkeiten und von Lücken der «Gedächtnissicherung» in der Schweiz.

Bisher hatten verschiedene Versuche zur Finanzierung solcher Arbeiten der Förderung der Memopolitik innerhalb des Bundes und über den Kanal des Schweizerischen Nationalfonds keinen Erfolg gezeigt.

Deshalb soll jetzt konkret der Weg über eine PPP geprüft werden, um eine entsprechende Trägerschaft aufzubauen, welche die Anliegen in einer langfristig orientierten Gemeinschaft wichtiger Akteure realisieren – und als Teil davon auch finanzieren – kann.

Vorgehen für ein Pilotprojekt PPP Memopolitik Schweiz

Aufbauend auf den bisher gewonnenen Erkenntnissen über die Bedürfnisse der Memopolitik Schweiz würden die Initianten des PPP-Vorhabens und ihre Projektbeauftragten im Rahmen eines Pilotprojekts eine real existierende PPP Memopolitik konzipieren und die Grundlagen schaffen, damit diese «in Betrieb» gehen kann.

Diese Zielsetzung bedingt Abklärungen und Lösungsvorschläge namentlich in folgenden Themenbereichen:

1. Konkretisieren der Leistungsziele und des Arbeitsauftrages der PPP, inkl. Abgrenzungen zu anderen bestehenden und möglichen Akteuren, z.B. von bestehenden Fachstellen in Verwaltungen und Firmen sowie von projektspezifischen Beratungen durch Dritte;

2. Klären des Kreises der sinnvollerweise einzubeziehenden künftigen Träger der PPP, Kontaktnahmen und Vereinbarung der künftigen Leistungen und Beiträge an die langfristige PPP Memopolitik;

3. Institutionelle Verankerung und Strukturierung der PPP Memopolitik, allenfalls in Varianten;

4. Identifizieren der nötigen Fähigkeiten und der Arbeitsweise der künftigen Kernmitarbeiter der PPP sowie möglicher Netzwerkexperten der PPP Memopolitik;

5. Businessplan für die PPP unter Einbezug der abzuschätzenden Nachfrage und deren fachlichen und finanziellen Abdeckung (Mehrjahresplanung).

An der PPP Memopolitik sollten alle Ebenen der Gemeinwesen der Schweiz partizipieren können, d.h., sie sollte ein gesamtschweizerisches Tätigkeitsgebiet erhalten. Zudem würden private Unternehmen aus besonders wissensintensiven Branchen sowie Produzenten technologischer Instrumente mitwirken können. Schliesslich wäre auf eine sinnvolle Aufgabenteilung respektive Absprache mit wissenschaftlichen Stellen zu achten.

Die PPP Memopolitik soll ihre späteren Aufgaben möglichst rasch nach der «Inbetriebnahme» in einer Kernformation pragmatisch aufnehmen und danach schrittweise gemäss der sich entwickelnden Nachfrage ausbauen können. Für die zu gewinnenden Träger sind die Flexibilität im Auf- und Ausbau zu verbinden mit der Nachhaltigkeit ihres Engagements, um mindestens eine «Betriebsdauer» von einigen Jahren sicherzustellen.

Für die künftigen Kernaufgaben sowie eine angemessene (Mit-)Finanzierung von Experteneinsätzen ist für die spätere PPP Memopolitik ein Betriebsbudget zu definieren. Zur Deckung dieses finanziellen Bedürfnisses sollte eine angemessene Anzahl von Trägern gewonnen werden können, welche sich über eine Laufzeit von drei bis fünf Jahren mit einem substantiellen jährlichen Beitrag engagieren. Diese Träger sollten sowohl von der Bundesebene, den Kantonen und Städten in der ganzen Schweiz (unter Einbezug ihrer wissenschaftlichen Institutionen) als auch von privaten, gemischtwirtschaftlichen und öffentlichen Unternehmen stammen und insgesamt eine möglichst ausgewogene Verteilung des Engagements bringen.

In der ersten Phase sollten fünf bis sechs öffentliche und private Partner die Grundlagenarbeiten des Pilotprojekts finanzieren. Für die spätere, langfristig angelegte PPP Memopolitik Schweiz denken wir – im Sinn eines unverbindlichen Ausblicks – an folgende mögliche «Wunschpartner»:

– Bundesebene: Bundesamt für Kultur, Schweizerische Landesbibliothek, Bundesarchiv, ETH-Rat (für die wissenschaftlichen und forschenden Institutionen des Bundes), Militärbibliothek, Bundesamt für Statistik, Bundesamt für Informatik und Telekommunikation;

– Kantone und Städte: mehrere unterschiedlich ausgerichtete Kantone und Städte, unter Einbezug von Archiven, Bibliotheken, wissenschaftlichen und kulturellen Institutionen sowie Informatikleistungserbringern;

– Unternehmen: SRG-SSR idée suisse, Verein Memoriav, ein oder zwei grosse Medien- und Buchverlage, grössere und mittlere wissensbasierte und -orientierte Unternehmen wie Banken, Versicherungen, Chemie- und Life-science-Firmen, Technologie- und Informatikfirmen.

Die Arbeiten im Pilotprojekt PPP Memopolitik Schweiz sollten abgestimmt und verknüpft werden mit dem in Entstehung begriffenen Kompetenznetzwerk PPP (KN-PPP). Es ist geplant, dass ein entsprechender gesamtschweizerisch ausgerichteter Verein im Mai 2006 gegründet wird. Nach den vorläufigen Vorstellungen dieses Kompetenznetzwerkes kann dieses an Pilotprojekte, welche für ihre eigene Realisierung die methodischen und fachlichen Grundlagen des KN-PPP nutzen wollen und bereit sind, ihre Erkenntnisse in das Kompetenznetzwerk einzubringen, gezielte fachliche und allenfalls finanzielle Beiträge ausrichten.

Interessenten für eine aktive Mitwirkung in einer PPP Memopolitik sind eingeladen, sich mit dem Verfasser dieses Artikels in Verbindung zu setzen.

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Niklaus Lundsgaard-Hansen

Fürsprecher, Partner PricewaterhouseCoopers AG, Bern