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Elektronisches Publizieren – Informationsspezialisten als Mittler zwischen zwei Welten

2006 / 4
Inhaltsverzeichnis
2006 / 4 Inhaltsverzeichnis

Das elektronische Publizieren hat in den vergangenen Jahren die Arbeit von Informationsspezialisten entscheidend verändert. Und es besteht kein Grund, diese Entwicklung als an einem Ende angekommen zu sehen.

Woraus ergeben sich diese Veränderungen?

Zunächst sind der Informationsmarkt und die Literaturversorgung seit dem Aufkommen des elektronischen Publizierens nicht übersichtlicher geworden.

Gedruckte und elektronische Ausgaben von Zeitschriften existieren oft genug in unterschiedlichem Umfang und mit verschiedenen Nutzungskonditionen nebeneinander. Neue Verleger, die Bücher (E-Books) ausschliesslich elektronisch publizieren und vertreiben (z.B. Ciando) stehen neben klassischen Verlagen, die ihre Print-Publikationen zusätzlich elektronisch vertreiben (z.B. Springer und Elsevier). Kommerzielle elektronische Dokumentlieferdienste und Dokumentlieferdienste der Bibliotheken konkurrieren miteinander.

Eine wachsende Komplexität der Informationsarbeit durch elektronisches Publizieren ergibt sich aber auch durch einerseits erweiterte Möglichkeiten bei andererseits neuen Einschränkungen elektronischer Informationsprodukte. Hier sind als Erweiterungen neue medienspezifische Möglichkeiten der Wissensaneignung und Informationsproduktion (z.B. die Zitatextraktion, Suche in Volltexten usw.) zu nennen.

Andererseits sind mit Digital-Rights-Management(DRM)-Systemen auch neue Nutzungsbeschränkungen zu verzeichnen, welche die theoretisch vorhandenen Möglichkeiten elektronischer Informationsprodukte beschränken. Hier scheint ein Paradigmenwechsel stattzufinden: Der Verleger bestimmt mit DRM- Systemen, was der Käufer mit dem erworbenen Produkt tun kann und was nicht.

Gleichzeitig sind Fragen der elektronischen Langzeitarchivierung elektronischer Publikationen noch nicht abschliessend gelöst.

Sind die digitalen Publikationsverhältnisse aus den Fugen geraten? Wir meinen «Nein», denn es gibt auch gegenläufige Entwicklungen. Stellvertretend seien genannt:

Aggregatoren organisieren wie einst die Datenbank-Hosts den Online-Zugang zu den Archiven abonnierter Zeitschriften (z.B. Ebsco). Neben der kommerziellen Verlagswirtschaft existieren elektronische wissenschaftliche Zeitschriften, deren Peer-Review- und Publikationsprozesse als Reaktion auf die Angebots- und Preispolitik der Verlage durch Wissenschaftler selbst organisiert werden. Kostenlose Open-Source-Software zur Unterstützung solcher Online-Publikationsaktivitäten steht zur Verfügung.

Wir konstatieren deshalb: Die Vielfalt der Praxis des elektronischen Publizierens pendelt irgendwo zwischen den Polen «Open Access» und «Digital Rights Management»

Die diesjährige Arbeitstagung der SVD-ASD hat versucht, die Auswirkungen, Chancen oder Gefahren dieser Entwicklungen für unsere Berufe zu identifizieren, und sie hat Fragen aufgeworfen:

–  Wie verändert das elektronische Publizieren die Berufsbilder in Bibliothek, Archiv und Dokumentation?

–  Welchen Einfluss haben elektronische Publikationen auf die Arbeitsbedingungen von Informationsspezialisten in Bibliotheken, Dokumentationsstellen und Archiven?

–  Welche Veränderungen stehen in der Aus- und Weiterbildung von Informationsspezialisten an, um sie auf diese Entwicklungen adäquat vorzubereiten?

–  Bedroht die «Googleisierung» des elektronischen Publizierens den Fortbestand der europäischen Bibliotheken?

–  Wo liegen die Potenziale und Grenzen von E-Books?

–  Die digitale Publikationswirtschaft schützt ihre Produkte zunehmend durch technische Systeme des Digital Rights Management (DRM). Welche Probleme entstehen hierdurch in der täglichen Praxis?

Was kann das nun für die Arbeit der Informationsfachleute bedeuten? Sicher hat die Tätigkeit der Informationsvermittlung bereits starke Änderungen erfahren. Die elektronische Verfügbarkeit hat insbesondere dazu geführt, dass die (pro)aktive Informationsvermittlung einfacher und schneller geworden ist. Sie hat auch dazu geführt, dass im Zuge der damit einhergehenden Disintermediation der Beratungs- und Schulungsaufwand gestiegen ist. Die Rolle der InformationsvermittlerInnen wird dadurch vielfältiger: Sie produzieren Informationsgüter, sie vermitteln Informationen und immer mehr beraten und schulen sie auch, wie die Kundschaft mit diesen Angeboten umgehen soll. Das heisst auch, dass der Vorrat an fachlichen Kompetenzen der Informationsfachleute vielfältiger sein muss: Nebst den klassischen Fähigkeiten wie Erfassen, Erschliessen, Recherchieren usw. braucht es vermehrt soziale und auch didaktische Kompetenzen, um die nötige Beratung und Schulung erfolgreich durchführen zu können.

Das vorliegende Heft soll – im Anschluss an die SVD-ASD-Arbeitstagung von Anfang November 2006 – versuchen, Antworten auf diese Fragen zu geben. Wir wünschen Ihnen spannende und inspirierende Lektüre!