Streaming Wars and Library Battles
Das Zeitalter der DVDs geht langsam, doch schneller als angenommen zu Ende. Immer weniger Geräte verfügen über Abspielmöglichkeiten. Die Zukunft gehört dem digital angebotenen Material; die Nutzung von Streams ist eine mögliche Konsequenz. Bibliotheken und Archive sind gleichermassen involviert wie Anbieter.
Diese in Dialog zu bringen war das Ziel der Herbsttagung des Arbeitskreises Filmbibliotheken D-A-CH, die am 24. und 25. Oktober 2019 in Zürich stattfand. Der Einladung der Zentralbibliothek Zürich, des Medien- und Informationszentrums der Zürcher Hochschule der Künste und des Vereins Memoriav folgten 75 Teilnehmende, darunter sieben Streaming-Anbieter mit acht Produkten.
Der Arbeitskreis Filmbibliotheken
Der Arbeitskreis Filmbibliotheken D-A-CH ist in der heutigen Form seit 2015 aktiv. Er trifft sich jährlich anlässlich des Deutschen Bibliothekartages und veranstaltet darüber hinaus Tagungen in Zusammenarbeit mit einem seiner Mitglieder.
Streaming in Bibliotheken
Bibliotheken spüren eine starke Nachfrage nach Inhalten, die von Streaming-Portalen ausgestrahlt werden. Dr. Anna Bohn (Berlin) ging in ihrer Präsentation auf den aktuellen Markt ein, der von Grosskalibern wie Amazon Prime Video, Netflix, Google Play, Youtube, Apple TV+, Disney+, HBO Max, Peacock und Hulu geprägt ist. Für Bibliotheken ist die Lizenzierung von Streaming-Paketen wichtig. Realistisch ist dies jedoch nur als Fixkosten-Modell. Pay-per-View führt zu nicht kalkulierbaren Kosten. Mit den aktuellen Angeboten ist bisher kein geregelter, geschweige denn ein langfristiger Bestandsaufbau in Bibliotheken möglich. Auch weil in Deutschland das Breitband-Internet noch nicht flächendeckend ist, spielt die DVD weiterhin eine Rolle.
Anbieter abseits der Giganten
Diverse Anbieter offerieren den Bibliotheken ein vielfältiges und erschwingliches Angebot. Die Lizenzgebühren orientieren sich mehrheitlich am potentiellen Nutzerkreis. Ebenso sind die Firmen für Konsortialverträge offen. Oft stehen Metadaten der Inhalte zur Verfügung, damit sie in den Bibliothekskatalog integriert werden können. Die Attraktivität und Diversität stellt die Bibliotheken jedoch vor die Qual der Wahl, wie sich an der Tagung zeigte:
- Academic Video Online: 67‘000 vorwiegend englischsprachige Filme für die höhere Ausbildung.
- Artfilms: ca. 1700 eigene oder in Kooperationen entstandene Filme.
- AVA: Richtet die Filmauswahl für die teilnehmenden Bibliotheken gezielt auf die regional und lokal variierenden Bedürfnisse und Interessen aus.
- Cinefile: 300 Arthouse-Filme, die sich am Schweizer Markt orientieren.
- Filmfriend: Streaming-Portal für Bibliotheken mit 2000 Filmen und Serien.
- Filmo: Initiative der Solothurner Filmtage mit der Zielsetzung, den Schweizer Film zu promoten.
- Kanopy: Anpassbare Streaming-Lösung, die weltweit bereits von 4000 Bibliotheken genutzt wird.
- Medici.tv: 2000 Filme zu klassischer Musik (Konzerte, Opern- und Ballettaufführungen, Dokumentationen, Meisterklassen) von 1940 bis heute.
- Nanoo.tv: Plattform für Aufzeichnung und Nachnutzung von TV-Programmen an Schulen und Bildungsinstitutionen.
Forschung und Archivierung
Der Frage, welchen archivarischen Wert das Speichern und Verbreiten von Filmen via Filesharing im Internet darstellt, ging Lukas Foerster (Zürich) nach. Sharing ist nur innerhalb eines engen, national definierten Rechtsrahmens legal, wird aber weit verbreitet illegal betrieben. Die Filmdateien wechseln deshalb oft rasch ihren Platz, werden offline gestellt oder gelöscht. Ein langfristiger Zugriff ist deswegen nicht gesichert.
Dr. Gunter Lösel (Zürich) berichtete über seine Forschungsarbeit «Research Video». Zentral ist für ihn die Frage, inwieweit wissenschaftlich annotierte Videos aus der Kunstvermittlung, insbesondere aus dem Tanzunterricht, als neue Veröffentlichungsform in der künstlerischen Forschung gelten können.
Memoriav, den Verein zur Erhaltung und Erschliessung des audiovisuellen Erbes der Schweiz, stellte Dr. Felix Rauh (Bern) vor. Der Verein setzt sich seit 25 Jahren für die Erhaltung von AV-Medien ein und berät Institutionen in der langfristigen Aufbewahrung. Über die Plattform Memobase werden sie weltweit online zugänglich.
Die zentralen Fragen bleiben offen
- Wie sieht im Zeitalter der Streaming-Plattformen und Gesamtpakete eine nachhaltige Bestandspflege aus?
- Welche Metadaten und Standards braucht es, um gestreamte Videos im Bibliothekskatalog attraktiv zu präsentieren?
- Sollen und dürfen Filmbibliotheken die physisch erworbenen Filme digital archivieren und verfügbar machen?
- Wie gestalten sich organisatorische, technische und rechtliche Rahmenbedingungen für die Langzeitarchivierung, damit Bibliotheken künftig ihre Aufgaben auch im Streaming-Bereich wahrnehmen können?
Der Markt ist umkämpft und die Entwicklung des Konsumverhaltens potenzieller Bibliotheksbenutzender ungewiss. Die bisherigen Rechte, die Konsumenten oder Bibliotheken an den physischen Trägern eingeräumt worden sind, greifen auf Streaming-Plattformen nicht mehr. Sie weichen neuen Rechtsformen, bei denen die Lizenzierung mit zeitlich, örtlich und anderweitig beschränkten Nutzungsrechten vorherrscht. Hier liegt die Herausforderung für Kulturinstitutionen, die sich der langfristigen Archivierung verpflichtet haben.
Zusammengefasst nach Notizen von Michel Piguet (Trialog AG) von Felix Falkner (ZHdK-MIZ).
Das Thema Videodienstleistungen in Bibliotheken wird u. a. am Arbeitstreffen «Netzwerke Audio-Vision» am 27. Mai beim Bibliothekartag in Hannover und an einem Workshop am Bibliosuisse-Kongress am 26. August weiter vertieft. Ausserdem beschäftigt sich seit Dezember 2019 die AG Audiovisuelle Medien mit der Katalogisierung von Streaming-Medien.