Wirtschaftsinformationseinrichtungen von Finanzdienstleistern im Wandel
Den Schweizer Finanzinstituten weht seit einigen Jahren ein rauer Wind ins Gesicht. In der Folge haben Umstrukturierungen und Sparmassnahmen einerseits, aber auch die bessere Verfügbarkeit elektronischer Daten und der leichtere Zugang zu Onlineinformationen für Endnutzer andererseits dazu geführt, dass ganze Bibliotheken, Dokumentationsstellen und Informationszentren von Banken schliessen mussten. Einige Informationszentren haben sich über Wasser halten können, indem sie ihre Dienstleistungen bzw. ihr Informationsangebot der sich stetig ändernden Nachfrage angepasst haben.
Informations und Dokumentations zentren wie auch Bibliotheken in privatwirtschaftlichen Unternehmen haben nicht immer einen einfachen Stand. Während ihre Kosten bezifferbar sind, ist der Grad ihres Nutzens nicht unumstritten: «Nice to have, aber keine Notwendigkeit». Dagegen er möglichen vermehrt strengere rechtliche und regulatorische Erfordernisse Firmenarchiven und dem Records Management, der korrekten Ablageordnung interner, teils vertraulicher Dokumente, eine erhöhte Daseinsberechtigung.
Physische und elektronische Bestände
Bei grösseren Beratungsunternehmen und Wirtschaftsprüfern sind Informationsspezialisten traditionell nach Branchen ausgerichtet. Ein jeder Rechercheur ist für (s)eine Branche zuständig. Dabei kann es um Konkurrenzbeobachtung gehen, um Informationen zu Produktions oder Marktvolumina, zu Segmentierungen in geografischer Hinsicht oder zur Produktionskette. Bei den grösseren Banken, die über Informations und Dokumentationsstellen verfügen, sind die «Wissensarbeiter» eher Generalisten. Das führte dazu, dass auch physische Bestände zentral als «Dokumentation» und/oder als Bibliothek verwaltet wur den. Während solche physischen Bestände bei den Beratungsfirmen schon in den 1990er-Jahren verschwanden, hielten sie sich bei den Banken wesentlich länger. Doch auch hier forderte die Digitalisierung mittlerweile ihren Tribut. In den letzten fünf Jahren wurden bei mehreren Banken die Bestände der Dokumentationen und Bibliotheken aufgelöst. Über eine firmeneigene zentrale und an das Informationszentrum angebundene Bibliothek verfügt von den drei grössten Schweizer Banken mittlerweile nur noch eine.
Die meisten I+DStellen von Banken waren bei ihrer Entstehung in den 1970er- und 1980er-Jahren an die ökonomischen Research-Abteilungen angeschlossen. Ihr Service bestand in der Hauptsache darin, den Ökonomen und Analysten Statistiken und Informationen zu Märkten, Firmen, Branchen und Ländern zu liefern, möglichst aus vertrauenswürdigen Quellen. Das war damals nicht so leicht und selbstverständlich. Dazu mussten auch die relevante Tagespresse und die einschlägigen Fachzeitschriften durchforstet werden. Man schnitt – zum Teil auf Vorrat – aus, was wichtig schien, klebte es auf Karton oder scannte es später in ein – rückblickend – altertümliches System ein, legte es richtig verschlagwortet am richtigen Ort ab. Auch als in den 1990erJahren der PC in die Büroräume Einzug hielt und Online-Hosts ab gefragte Daten an Retrieval-Terminals sandten, waren fachtechnische Fertigkeiten wichtig. Jeder Host verlangte eine eigene Abfragesprache, die sich der Informationsspezialist erst aneignen musste. Daneben verfügten die grösseren Banken über eine umfangreiche Sammlung von physischen Geschäftsberichten fast aller publizieren den Schweizer und grossen ausländischen Firmen, die man auf Wunsch den Kunden aushändigte. Je nach Institut waren damit bis zu einem Dutzend Mitarbeiter beschäftigt.
Vereinfachter Information Retrieval
Mit dem Siegeszug des Internets Ende des letzten Jahrhunderts änderte sich dies. Die kotierten Firmen publizierten ihre Geschäftsberichte im Internet. Die Informationsdatenbanken waren nun auch webbasiert, die Morphologie der Abfragesprache glich sich immer mehr den Boole’schen Operatoren der Internetsuchmaschinen an. Anders gesagt: Die Informationssuche wurde immer einfacher. Immer mehr Informationen waren – auch kostenlos und teils sogar einigermassen verifizierbar – elektronisch vorhanden. Nicht nur virtuell vorhanden, sondern auch für Endnutzer ohne spezifische Fachkenntnisse leicht erhältlich, ausdruckbar und für den Eigengebrauch speicher, verarbeit, weiter verwend und verwertbar.
Parallel dazu erschienen auf dem Informationsmarkt vermehrt spezialisierte Anbieter elektronischer Fachmedien, für fast jedes ökonomisch relevante und einträgliche Segment. Wer stets dieselben Länder , Branchen oder Börseninformationen brauchte, konnte sich bei einschlägigen externen Providern direkt ein Abonnement mit vorgefertigten standardisierten Informationen oder Reports besorgen. Dies war zumindest bis zur Finanzkrise vor sechs Jahren trotz horrender Kosten dieser Angebote noch möglich. In der Folge nahmen solcherlei wiederkehrende und häufig weniger anspruchsvolle Anfragen und Rechercheaufträge an den internen Informationsdienst ab.
Anpassung der Dienstleistungen
Diese Abnahme des Informationsbedarfs bewirkte auch einen markanten Stellenschwund. Besonders bei den Beratungsunternehmen verschwanden ganze Abteilungen. Es gibt auch Finanzinstitute, welche ihre Informationszentren und Bibliotheken vor einiger Zeit merklich verkleinert oder endgültig geschlossen haben. Bestehen blieben hingegen ursprünglich benachbarte Abteilungen, die sich auf die Erstellung firmeninterner Pressespiegel fokussiert haben (Media Intelligence & Analysis). Dieser Spiegel erscheint täglich und enthält die wichtigsten Artikel der Tagespresse, die über das eigene Unternehmen berichten. Auf dieser Schiene fahren einigermassen erfolgreich auch entsprechende Abteilungen deutscher Banken. Diese Ressorts sind denn in der Regel auch bei der Unternehmenskommunikation angesiedelt.
Einige Banken und Versicherungen haben ihre Angebotspalette im Gegensatz dazu eher ausgeweitet: Neben der Bibliothek und dem Firmenarchiv werden sobei der Wirtschaftsinformation auch grössere Themengebiete bearbeitet und regelrechte Analysen erstellt. Konkurrenzbeobachtung, Auswertungen von Umfragen sind gerne nachgefragte Dienstleistungen mit klar qualifiziertem Mehrwert. Sie haben die einfachen Anfragen über Kennzahlen von Firmen oder historische Kurse von Wertpapieren in den Hintergrund gedrängt. Oder wie der Angelsachse es kurz auf den Punkt bringt: «From information to intelligence». Auf diese Mehrwertdienste haben sich insbesondere auch die In formationsspezialisten in grösseren Industrieunternehmen verlegt. Bei den grossen Chemieunternehmen spielt nebst der Patentrecherche diese Art der Trend und Konkurrenzbeobachtung eine ebenso wichtige Rolle.
Chancen und Risiken
Wie dem Records Management haben bei Finanzinstituten die Finanzmarktaufsicht und andere staatliche Regulatorien auch den Recherchen über Personen zu einem Wiederaufleben verholfen. Das Informationszentrum einer grösseren Schweizer Bank konnte sich bislang halten, weil es sich auf Personenrecherchen spezialisierte. Waren um die Jahrtausendwende noch Anfragen zu Firmen, Branchen, Ländern und Managementthemen in der Überzahl, so änderte sich dies in den letzten Jahren markant. Unter dem Motto «Know your customer» (KYC) auferlegen sich Bankkundenberater die Pflicht, sich über ihre Klientel gründlich zu informieren. Dazu gelangen sie ans Informationszentrum, das in den einschlägigen kommerziellen Datenbanken weltweit (potenzielle) Kunden identifizieren und überprüfen hilft. Konkret geht es darum, mittels Personen, Firmen und Pressedatenbanken Hintergrundinformationen über potenzielle Kunden in Erfahrung zu bringen. Ziel ist es zu verhindern, dass Schwarzgeld oder Gelder aus kriminellen Machenschaften in die Bank gelangen und ihre Reputation gefährden. Die Einbettung in diesen Prozess verleiht dem Informationszentrum eine stärkere Position, die es sich auch durch die Beachtung besonderer Qualitätskriterien (vgl. arbido 12 (2003), S. 22–24), die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit involvierten Abteilungen und das Engagement in speziellen Projekten erarbeitet hat. Das Umfeld im Finanzsektor kann sich aber schnell wieder ändern, in Stein gemeisselt ist nichts.
Es ist deshalb von Wichtigkeit, gleichgültig, welche Richtungen die einzelnen Abteilungen eingeschlagen haben, sich möglichst rasch neuen Gegebenheiten anzupassen, auf die spezifischen Bedürfnisse der Nachfrage einzugehen, sich gut zu vernetzen, möglichst mit benachbarten Abteilungen gemeinsame Projekte zu verfolgen und eine gute Visibilität innerhalb der Firma zu erlangen bzw. zu erhalten.
Résumé
- Français
Ces dernières années, de nombreux centres d’informations ont été fermés dans des entreprises privées. Cet article en explique les raisons et comment certaines de ces entités se sont adaptées aux nouvelles conditions de travail et comment elles ont pu se maintenir.