Die Nationalbibliothek und die sozialen Medien: Auf dem Weg zur strategischen Kommunikation
Interview mit Hans-Dieter Amstutz, Leiter Marketing und Kommunikation, Schweizerische Nationalbibliothek, EDI
arbido: Die Nationalbibliothek (NB) setzt die sozialen Medien seit etwa zwei Jahren systematisch und bewusst ein. Welches waren die grundlegenden Überlegungen vor deren Implementierung?
Hans-Dieter Amstutz: Am Anfang stand eine einfache Feststellung, nämlich: Zahlreiche Menschen unter 35 – und immer mehr auch darüber – nutzen die sozialen Medien – soll die NB folglich auf den Zug aufspringen? Die Antwort erscheint logisch: Man muss dorthin gehen, wo die Leute sind. Die Direktion der NB hat deshalb 2008 eine Arbeitsgruppe Web 2.0 eingesetzt, in der verschiedene Fachbereiche vertreten waren, darunter der damalige Direktionsadjunkt, die Sektion Nutzung und der Dienst Marketing und Kommunikation.
Welche sozialen Medien setzen Sie bevorzugt ein, und auf welche Schwierigkeiten sind Sie bis anhin gestossen?
Am Anfang haben wir uns auf zwei Plattformen konzentriert: Einerseits auf delicious für das Social Bookmarking, und andererseits auf Facebook, für dessen Einsatz 2010 ein Konzept erarbeitet wurde.
Wir haben seither beobachtet, auf welches Echo diese Kanäle stossen – und waren überrascht, festzustellen, dass wir auf Facebook viele Fans gewinnen konnten: Bis heute haben 7200 deutschsprachige und 4800 französischsprachige Nutzerinnen und Nutzer auf «gefällt mir» gedrückt. Der Erfolg, den wir mit dem Medium haben, ist zum einen auf die Inhalte zurückzuführen, zum anderen auf die intensive Werbung, die wir für diesen Kanal gemacht haben. Wir können nur selten spezifischen, auf Facebook zugeschnittenen Inhalt schaffen. Wir nutzen die Plattform hauptsächlich, um Neuigkeiten mitzuteilen.
Auf Facebook folgte Twitter. Wir nutzen es zwei- bis dreimal pro Woche, um Nachrichten zu verbreiten. Zurzeit stellen wir uns die Frage, ob wir auf Google+ ebenfalls präsent sein sollen. Dieses Medium bietet die Möglichkeit, spezielle «Kreise» zu bilden, etwa für Literatur oder Geschichte, und damit Personen mit bestimmten Interessen ganz gezielt anzusprechen.
Unsere Beobachtungen bestätigen, was viele Social-Media-Spezialisten sagen: Es sieht so aus, als würde Facebook vor allem im Freizeitbereich genutzt, während Twitter eher für Fach- und Berufsinformationen verwendet wird.
Auf Youtube sind wir seit 2009 sporadisch präsent. Wir setzen diesen Kanal ein, um Filme, die wir aus irgendeinem Anlass ohnehin herstellen, noch einmal zu nutzen. So werden z.B. bestimmte Ereignisse gezeigt. Filme speziell für Youtube stellen wir nicht her, denn das wäre ein enormer Aufwand. Der Kanal findet deshalb auch kaum Echo.
Existieren spezifische Dokumente/Papers, welche die Stellung der sozialen Medien innerhalb Ihrer Kommunikationsmittel definieren? Wird der Einsatz dieser Medien in Ihrem übergeordneten Kommunikationskonzept geregelt?
Nach den ersten Erfahrungen wollten wir gewisse Fragen tatsächlich systematischer angehen. Wozu wollen wir die sozialen Medien einsetzen? Inwiefern können wir damit nützlich sein? Wie können sie uns helfen, unseren Auftrag umzusetzen? Entstanden ist ein strategisches Grundlagenpapier für die Nutzung sozialer Medien. Das Papier wurde im März von der Geschäftsleitung genehmigt. Darin sind die Ziele, Zielgruppen, Kriterien für die Öffnung und Schliessung eines Kanals, Betreuung, Inhalte, redaktionelle und rechtliche Richtlinien sowie das Monitoring definiert. Es ist unbedingt notwendig, die Verantwortlichkeiten klar zu regeln und die personellen Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Gegenwärtig ist in der NB der Dienst Marketing und Kommunikation zuständig für die sozialen Medien, ausser für delicious, das vom Dienst Publikumsinformation betrieben wird. Für die Betreuung von Facebook und Twitter wenden wir pro Woche zwischen zwei und vier Stunden auf. Wenn wir nun darüber hinausgehen und ein gezieltes, permanentes Angebot z.B. im Bereich Kunst und Architektur machen wollen, so müssen wir den entsprechenden Fachdienst einbeziehen, und das setzt bei diesem entsprechende Ressourcen voraus.
Letzten Endes hängt alles von den Inhalten ab. Ohne relevanten Inhalte gibt es keinen Erfolg auf den sozialen Medien. Unsere Inhalte schalten wir zuerst auf der Website der NB und bereiten sie als «Aufhänger» für Facebook und Twitter auf, in der Regel am gleichen Tag. Das Konzept, bereits vorhandene Informationen umzuarbeiten, ist bis jetzt erfolgreich, aber ich finde es nicht mehr ganz befriedigend. Wir werden uns überlegen, wie wir unsere Kanäle auf Facebook und Twitter anreichern können. Erste Versuche auf Facebook haben wir unternommen, und der Erfolg ist ermutigend.
Führen Sie ein Monitoring durch und falls ja: Welche Arten von Indikatoren kommen dabei zum Einsatz (Feedbacks der Nutzerinnen und Nutzer, Statistiken etc.)?
Die statistischen Informationen, die die einzelnen Plattformen liefern, werten wir natürlich aus. Wichtig sind uns die Anzahl Abonnentinnen und Abonnenten, die Reichweite der Meldungen – und besonders die Feedbacks. Wir haben festgestellt, dass jede Nachricht auf Facebook im Schnitt von ca. 1500 bis 2000 Personen angesehen wird. Kann man also von einem Erfolg sprechen? Ich denke schon, denn in der analogen Welt erreichen wir mit zwei bis vier Stunden Arbeit pro Woche nicht so viele Interessierte.
Was würden Sie Bibliotheken raten, sie sich ebenfalls auf das «Abenteuer soziale Medien» einlassen möchten?
Ich glaube man muss drei Fragen stellen. Will unsere Bibliothek diesen direkten öffentlichen Austausch, wie er auf den sozialen Medien passiert? Haben wir genug Inhalte anzubieten, die sich für einen bestimmten Kanal eignen? Haben wir die Ressourcen, die Inhalte zu verbreiten und den Dialog zu pflegen? – Wer alle drei Fragen mit «Ja» beantworten kann, kann meines Erachtens auf den betreffenden Kanal gehen und einfach mal ausprobieren, was daraus wird. Ein ausführliches Konzept kann folgen, wenn man erste Erfahrungen gesammelt hat.
Ein Detail, das ich als wichtig erachte, ist die Sprache: Die Sprache in den sozialen Medien ist anders, sie ist direkter, weniger formell. Man muss eine adäquate Sprache finden, ohne sich dabei anzubiedern. Anders gesagt: Die Sprache der Institution und die Sprache des Mediums müssen zusammenfinden.
Das Interview wurde geführt von Stéphane Gillioz, arbido
Kontakt: hans-dieter.amstutz@nb.admin.ch
Auswahlkriterien und Betreuung der Kanälen*
Auswahlkriterien
Die NB eröffnet einen Kanal auf einem sozialen Medium, wenn alle der folgenden Bedingungen erfüllt sind:
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Das Medium ist weder rechtlich fragwürdig noch imageschädigend.
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Das Medium ist voraussichtlich für mindestens eine der Zielgruppen der NB relevant.
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Die NB kann voraussichtlich relevante Inhalte anbieten.
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Die NB kann den Kanal voraussichtlich kontinuierlich betreuen.
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Ein Ausstieg ist voraussichtlich ohne grossen Imageschaden möglich.
Ebenfalls kann die NB einen Kanal auf einem sozialen Medium eröffnen, um Know-how zu gewinnen, sofern ein Ausstieg voraussichtlich ohne grossen Imageschaden möglich ist.
Die NB schliesst einen Kanal auf einem sozialen Medium, wenn eine der für Eröffnung massgebenden Bedingungen 1 bis 4 nicht mehr erfüllt ist und ein Ausstieg ohne grossen Imageschaden möglich ist.
Der Entscheid über der Eröffnung oder Schliessung eines Kanals auf einem sozialen Medium liegt bei der Geschäftsleitung.
Betreuung
Kanäle werden von demjenigen Dienst betreut, der dieselbe Dienstleistung auch offline erbringt. Dieser Dienst ist auch «Eigner» des Kanals.
Andere Dienste können an der Betreuung des jeweiligen Kanals beteiligt werden, wenn die Inhalte oder die Ressourcen es erfordern. Für die Betreuung wird eine adäquate technische Unterstützung angestrebt.
Die Betreuungszeiten richten sich in gleichem Masse nach der Anforderungen des Kanals und den Ressourcen der NB. Jeder Kanal wird mindestens zu den Bürozeiten betreut.
* aus dem Dokument «Strategie für die Nutzung von sozialen Medien» vom 5.3.2012