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2010/4 ABD Stellen und Katastrophen

Pro Helvetica, Pro Russica und l'héritage français in Weimar: Die Rettung von Kulturgut aus der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar

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4200 Helvetica, Bücher von Schweizer Herkunft, wurden durch den verheeren­ den Brand in der HAAB vollkommen zerstört. Über 2200 Helvetica wurden durch Feuer, Wasser und Hitze stark be­schädigt. Darunter befinden sich Bände aus dem 16., 17. und 18. Jahrhundert, Werke von Bodmer, Gessner, Zwingli, Calvin, Erasmus und Paracelsus. Die Bü­cher sind wertvolle, kunsthistorisch be­deutende und unersetzliche Werke, die teilweise Handeinträge von Schiller, Goethe, Wieland und vielen anderen Geistesgrössen sowie weitere Hinweise zu Herkunft und Übereignung enthalten. Dieses Schweizer Geisteserbe in Weimar muss erhalten bleiben!

Eine grosszügige Spende der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft in Höhe von CHF 50 000.– brachte den Stein ins Rollen. Aus der Idee, Weimar und seine Bibliothek tatkräftig zu unterstützen, entstand Mitte 2007 von Privatpersonen und Restauratoren ein Angebot an die Klassik Stiftung Weimar: die Restaurierung der Helvetica-Bände in der Schweiz mit Spenden von Stiftungen, Unternehmen, Institutionen und Personen aus der Schweiz.

Idee und Angebot begleitet immer wieder die bange Frage: Wie schaffen wir es, 2,7 Millionen Franken für dieses Projekt zu akquirieren? Erste Sondierungsgespräche in der Schweizer Stiftungsszene motivierten und gaben viele gute Hinweise für das künftige Vorgehen. In Bern bildete sich unter Leitung von Michael Rothe die Arbeitsgemeinschaft Helvetica mit den drei renommierten Schweizer Restaurierungsunternehmen Atelier Michael Rothe GmbH, Bern, Atelier Strebel AG, Hunzenschwil, und Atelier Maja Stein, Zürich. Diese drei Unternehmen hatten alsbald Proberestaurierungen für jede Schadensgruppe Papier-, Pergament- und Ledereinbände in Weimar vorzulegen, um die Erfüllung der von der Bibliothek geforderten Qualitätsstandards und Leistungsmerkmale nachzuweisen. Am 18. September 2007 wurde dann ein ausführlicher Kooperationsvertrag zwischen der Klassik Stiftung und der Arbeitsgemeinschaft Helvetica abgeschlossen, der die Restaurierung von je rund 370 Papier-, Pergament- und Ledereinbänden sowie 1400 so genannten Aschebüchern vorsah.

Die Kosten der Restaurierung stellen sich heute wie folgt dar:

Projekt insgesamt auf Basis aktueller Zahlen in Mio. Schweizer Franken 

Einband-Restaurierung : CHF 1184 Mio. 

Aschebuch-Restaurierung: CHF 1300Mio. 

Konservierungsbände: CHF 0195Mio. 

Total CHF 2 679 Mio. 

Pro Helvetica in Weimar: ein Verein für Kommunikation und Fundraising 

Um das Einwerben und die Verwendung der Spenden so transparent wie möglich zu organisieren, entschieden wir uns für die Gründung eines gemeinnützigen Vereins in Zürich, in dessen Vorstand Persönlichkeiten zu wählen waren, die den Büchern und Bibliotheken nahestehen. Es war dann ein grosses Glück, mit Dr. Rainer Diederichs, einem Schweizer mit Thüringer Wurzeln, einen Präsidenten zu finden, der nicht nur die Bücher liebt, sondern auch ein besonderes Verhältnis zur Schweizer Literatur und Kultur und zu Weimar und Thüringen hat.

Der Vorstand des Vereins Pro Helvetica in Weimar 

Dr. Rainer Diederichs, Präsident Erica Benz-Steffen, Vizepräsidentin Hans-Hinrich Dölle, Geschäftsführer Hanspeter Gschwend Michael Rothe, Vertreter der Arbeitsgemeinschaft Helvetica

Die Gründung des Vereins Pro Helvetica in Weimar im Januar 2008 sowie der Abschluss der Verträge mit den Restaurierungsunternehmen und dem Fundraising wurden von der Geschäftsführung zweier grosser Schweizer Stiftungen und dem Bundesamt für Kultur beratend begleitet. Damit stellten wir von Anfang an so viel Transparenz und Vertrauen wie möglich her.

Der Verein legt jährlich einen Geschäftsbericht vor. Die Zahlen der Spendeneingänge und Ausgaben werden von einem unabhängigen Treuhänder geprüft. Der Verein pflegt eine aktive Medienarbeit, gibt zwei Mal jährlich eine E-Mail-Information heraus und organisiert Informationsveranstaltungen in Zusammenarbeit mit renommierten Institutionen in verschiedenen Schweizer Regionen. «Ich bin dankbar, dass sich der Verein Pro Helvetica in Weimar für die Bewahrung und Wiedergewinnung der Schätze Schweizer Herkunft einsetzen will», schrieb der damalige Bundespräsident Dr. Horst Köhler an unseren Verein.

Ein wichtiger Teil des Schweizer Gedächtnisses liegt in Weimar 

Mit Unterstützung aus dem Schweizer Bundesamt für Kultur gelang es Anfang 2008, den amtierenden Schweizer Bundespräsidenten und für die Kulturpolitik zuständigen Bundesrat Pascal Couchepin als Schirmherrn für unser Anliegen zu gewinnen. Der Bundesrat antwortete auf unser Gesuch: «Beim zerstörerischen Brand in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar wurden auch viele wertvolle und bedeutende Bücher mit Schweizer Herkunft total zerstört oder durch Hitze, Feuer, Wasser und Russ schwer geschädigt. Diese Bücher – als Helvetica bezeichnet – verdeutlichen die Spur der Schweiz in der deutschen Aufklärung und Klassik. Diese Spur darf nicht verschwinden, denn in Weimar liegt ein wichtiger Teil des Schweizer Gedächtnisses.»

Mit der bundesrätlichen Zusage überwies uns das Schweizer Bundesamt für Kultur einen überaus hilfreichen Betrag zur Anschubfinanzierung des Projekts. Einen zusätzlichen Schwung bekam unser Engagement durch den deutschen Bundespräsidenten, der das Projekt zu einem Gesprächsthema an einem offiziellen Treffen mit seinem Schweizer Präsidenten-Kollegen machte.

Zwei Botschafter als engagierte Schirmherren 

Für eine engagierte Unterstützung stellten sich dann der Schweizer Botschafter in Berlin und sein deutscher Kollege in Bern als weitere Schirmherren zur Verfügung.

Die Zeiten für ein grenzüberschreitendes Fundraising schienen ungünstig, denn die Beziehungen zwischen der Schweiz und Deutschland wurden durch die öffentliche Diskussion um das Schweizer Bankgeheimnis und durch den damit unvermeidlich zusammenhängenden Medienrummel belastet. Doch jenseits der öffentlichen Aufregung funktionierte die langjährige freundschaftliche, vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und Deutschland auf vielen Feldern besser denn je. Unser Restaurierungsprojekt wurde als ein Beispiel dafür immer wieder genannt.

Bundesrat Didier Burkhalter, der Nach- folger von Pascal Couchepin, begründet seine Schirmherrschaft unter anderem mit der Feststellung: «... ich bin mir bewusst, wie sehr das geistige Zentrum der Herzogin Anna Amalia Bibliothek die intellektuelle und kulturelle Entwicklung der Schweiz zutiefst geprägt hat. Das Ziel Ihres Vereins verdient in der Schweiz ein tiefes Interesse sowie eine grossherzige Unterstützung.»

Hoffen auf Spenden aus der Wirtschaft

So gelang es, nach der Anschubfinanzierung durch den Schweizer Bund namhafte Stiftungen für eine grosszügige Unterstützung zu gewinnen. Und mit der Zurich Financial Services fanden wir 2009 ein erstes international tätiges Unternehmen als grosszügigen Stifter und Sponsor. Drei renommierte mittelständische Schweizer Unternehmen kamen als Stifter dazu. Heute hoffen wir, dass grosse deutsche Unternehmen in der Schweiz und andere Schweizer Unternehmen diesem guten Beispiel folgen werden – Unternehmen, die wirtschaftliche Erfolge aus den umfangreichen Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Schweiz und Deutschland erzielen. Ein Zeichen dafür setzte die Würth Group mit einer grosszügigen Spende.

Eine eindrucksvolle Reise nach Weimar

Ende Oktober 2008 luden wir unsere Gönner, Stifter und Schirmherren zu einer dreitägigen Informationsreise nach Weimar ein. In Kooperation mit der Bibliotheksleitung und der Klassik Stiftung Weimar gelang uns ein Programm, das nicht nur die Überzeugung für eine Unterstützung unseres Projektes stärkte, sondern auch bewegende Eindrücke vermittelte.

Der Verein dankt heute folgenden Stiftungen, Unternehmen, Institutionen und Personen für deren bisherige Unterstützung: Bundesamt für Kultur, Sophie und Karl Binding Stiftung, Ernst Göhner Stiftung, Artephila Stiftung, Avina Stiftung, Loterie Romande, Zurich Financial Services, Matzen Stiftung, Dr. Georg und Jose Guggenheim-Stiftung, Würth Group, Lotteriefonds Basel Stadt und Landschaft, Christoph Blocher, Victorinox, Girsberger und Ricola, Kantone Graubünden und Neuenburg.

Hoher Finanzbedarf für die kommenden Monate und Jahre 

Die für 2010 geplanten Restaurierungsarbeiten erfordern rund CHF 520 000.–. Davon sind rund CHF 440 000.– durch Spendeneinnahmen gedeckt. Eine Finanzlücke von CHF 80 000.– ist bis Jahresende 2010 noch zu füllen. Für die Arbeiten im kommenden Jahr 2011 besteht ein Finanzbedarf von CHF 690 000.–. Noch ist die Kasse leer. Bis 2015 soll das Projekt abgeschlossen sein.

Modernste Anlage zur Aschebuch-Restaurierung 

Zur Restaurierung der Aschebücher aus der Weimarer Bibliothek wurde in Ittigen bei Bern ein neues Atelier aufgebaut. Die Produktion lief im Juli 2010 mit einer Jahreskapazität von rund 25 000 Buchseiten an. Mit den bisherigen Methoden und Techniken zur Restaurierung von brandgeschädigtem Schriftgut ist die Bewältigung der vielen Aschebücher aus Weimar nicht mehr möglich. In Weimar wurde deshalb eine neue Restaurierungstechnologie entwickelt, die in Ittigen weiterentwickelt und installiert wurde und mit der eine hochwertige Massenrestaurierung im Durchlaufsystem möglich ist.

In dem neuen Atelier wurden die vorgeschriebenen Proberestaurierungen und Materialtests in Zusammenarbeit mit den Experten der Weimarer Bibliothek abgeschlossen. Das Atelier, das eine Investition von CHF 260 000.– erforderte und drei Arbeitsplätze auf einem Raum von über 100 Quadratmetern bietet, ist die in der Schweiz grösste und modernste Anlage zur Aschebuchrestaurierung. Die Investoren sind das Atelier Rothe als Inhaber und die beiden Ateliers Strebel und Stein.

Pro Russica in Weimar

Diese drei Restaurierungsunternehmen der Arbeitsgemeinschaft Helvetica gründeten inzwischen eine zweite Arbeitsgemeinschaft zur Restaurierung von rund 600 brandgeschädigten Russica aus der Weimarer Bibliothek. Unter der Bezeichnung Russica sind Werke von russischen Autoren sowie in Russland oder in russischer Sprache gedruckte Bücher zu verstehen. Neben Werken, die inhaltlich Russland behandeln, gehören auch Bücher aus dem Vorbesitz russischer Persönlichkeiten oder Institutionen dazu. Besonders hervorzuheben sind die Bestände aus der Privatbibliothek der Grossherzogin Maria Pawlowna (1786–1859), der Zarentochter am Weimarer Hof.

Von der Brandkatastrophe wurden insgesamt 1400 wertvolle Bücher, Bände und Ausgaben der Russica erfasst. Hunderte wertvoller Bücher russischer Herkunft verbrannten vollständig. Über 600 kulturhistorisch bedeutende Bände wurden durch Hitze, Feuer und Wasser schwer beschädigt.

Im Russica-Projekt geht es um die Bewahrung des russischen Geisteserbes, um die Spuren Russlands in der Weimarer Klassik, die in Weimar erhalten und der Forschung wieder zugänglich gemacht werden sollen. Als Gönner und Spender dieses zweiten Restaurierungsprojekts sollen Personen und Institutionen angesprochen werden, die eine besondere Beziehung zum Kulturleben Russlands, zur Geistesgeschichte dieses grossen Landes haben.

Der Finanzbedarf für die Russica:

2010: CHF 300 000.– 

2011: CHF 400 000.– 

2012: CHF 350 000.– 

2013: CHF 350 000.–

Hinzu kommen die Kosten für die Projektorganisation und -kommunikation.

L’héritage français à Weimar: drittes grosses Restaurierungsprojekt in Frankreich

Eine dritte Arbeitsgemeinschaft hat sich inzwischen unter dem Management von Michael Rothe auch in Paris gebildet. In Frankreich sollen nach dem Vorbild des Schweizer Helvetica-Projekts rund 1000 Bücher mit Einbandschäden (Leder und Pergament) und 1200 bis 1400 Aschebücher (Konservierungseinbände) restauriert werden. Die Kosten dieses Restaurierungsprojekts liegen bei rund I 3,6 Mio. Die Kooperationsverträge sind unterschrieben. Ein gemeinnütziger Verein ist in Gründung, über den die Spenden eingeworben und für die Restaurierungs- arbeiten in Paris verwendet werden sollen. Wir hoffen auf die Unterstützung grosser Unternehmen und deren Stiftungen sowie auf die Unterstützung vieler Institutionen.

Mit Unterstützung des Bundespräsidialamtes in Berlin und der Deutschen Botschaft in Paris wurden erste Gespräche über eine Unterstützung und Finanzierung dieses Projekts geführt. Alle Beteiligten und die Kulturpolitiker in Paris und Berlin sprechen von einem «Leuchtturmprojekt« für die deutsch-französische Freundschaft und den Kulturaustausch zwischen beiden Ländern.

Ein motivierendes präsidiales Geleitwort aus Paris 

Nach dem Amtswechsel im «Bellevue» sprach Bundespräsident Christian Wulff bei seinem Antrittsbesuch im Élysée Staatspräsident Nicolas Sarkozy auch auf dieses Restaurierungsprojekt an und bat um dessen präsidiale Unterstützung. Wenig später erreichte uns ein eindrucksvolles Geleitwort des Staatspräsidenten zu unserem Projekt, in welchem Nicolas Sarkozy schreibt (auszugsweise):

«Die Herzogin Anna Amalia Bibliothek ist ein Wahrzeichen der französisch-deutschen Freundschaft. Hervorragende deutsche Werke stehen darin neben französischen Raritäten, darunter Erstausgaben der Werke Molières oder Voltaires. ... Heute warten mehr als 2.000 französische Werke auf ihre Restaurierung. Ich wünsche mir, dass wir Partner zu finden vermögen, die uns helfen, den beschädigten Werken ihren Glanz zurückzugeben. – Es ist unentbehrlich, dass wir den nachfolgenden Generationen unser kulturelles Erbe weitergeben können. ...

Auch wenn die Digitalisierung heute ein unverzichtbares Medium ist, welche die dauerhafte Existenz unserer Drucke und Manuskripte garantiert, so ersetzt doch die virtuelle Version in keiner Weise die reale, die höchst bedeutsam bleibt. Auch haben wir allen Bürgerinnen und Bürgern den Zugang zu solchen magischen Orten wie der Herzogin Anna Amalia Bibliothek zu ermöglichen, damit sie dort die einzigartige Atmosphäre im Geiste Goethes in sich aufnehmen und die kostbaren Werke anschauen können.

Gemeinsam werden wir auf diese Weise dazu beitragen, unsere unverjährbare Pflicht zu erfüllen, das kostbare kulturelle Erbe zu erhalten und seinen Wert zu schätzen.«

Die Sophie und Karl Binding ist auch Pro Helvetica in Weimar 

Für eine gemeinnützige Förderstiftung, wel­che die Erhaltung des Kulturerbes zum Pro­grammthema erhoben hat, besitzt die Unter­stützung des Projekts Pro Helvetica in Wei­mar einen hohen Stellenwert. Die Binding Stiftung in Basel dokumentiert dadurch ihre Verbundenheit mit Deutschland, woher ihre Stifter – Dr. iur. Karl Binding und Sophie von Opel – ursprünglich stammten. Sie aner­kennt damit aber auch die sinnfällige Anlage dieses Solidaritätsprojekts, das Schweizer Kreise in eine finanzielle und konservatori­sche Mitverantwortung für helvetisches Kul­turgut an diesem «haut lieu« der abendlän­dischen Geistesgeschichte zieht.

Dr. Benno Schubiger, Kunsthistoriker, Geschäftsführer der Sophie und Karl Binding Stiftung

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Hans-Hinrich Dölle

Geschäftsführer Pro Helvetica in Weimar

Résumé

Le terrible incendie de la HAAB fut également dévastateur pour 4200 livres d’origine suisse, les Helvetica. Au don de la Société suisse d’utilité publique, destiné à sauver ce patrimoine, répond l’initiative de personnes privées et de restaurateurs qui entrepren­ nent la restauration, en Suisse, des volumes de ces Helvetica, grâce à des dons prove­nant du pays. En 2007, un contrat de coopération est conclu entre la fondation œuvrant à Weimar et la communauté de travail Helvetica. On fonde dans la foulée, à Weimar, la société d’utilité publique Pro Helvetica, afin d’assurer la transparence de l’utilisation des dons. Deux autres communautés de travail seront créées par la suite, à savoir Pro Russica à Weimar et L’héritage français à Weimar. Les trois projets seront également débattus sur le plan politique et contribuent à l’amélioration des relations entre les quatre pays.