Die neue Bildungsverordnung zur I+D-Lehre: Grundlagen zum Vorgehen
In enger Zusammenarbeit mit der Ausbildungsdelegierten und mit der methodischen Unterstützung des Bundesamtes für Berufsbildung und Technologie (BBT) erarbeitet eine kleine mehrsprachige Gruppe, die sich aus Fachpersonen der beteiligten Verbände und Ausbildungsorgane zusammensetzt, unter der Schirmherrschaft der Reformkommission seit dem Jahre 2005 den Entwurf zu einer neuen Verordnung über die berufliche Grundbildung der Informations-und Dokumentationsassistenten und -assistentinnen. Diese Gruppe profitiert ebenfalls vom Rat von Fachleuten (Kollegen, Pädagogen, Experten anderer Ausbildungen, Lehrpersonen etc.), die punktuell zu bestimmten Themen beigezogen werden.
Maria Hugo, Daniela Meyer, Christian Aliverti, Niklaus Bütikofer, Frédéric Sardet
Die Mitglieder der Gruppe möchten in diesem Beitrag darlegen, welche Gründe sie dazu bewogen haben, an dieser Aufgabe mitzuarbeiten, und warum ihnen die Berufslehre notwendig erscheint um die Stellung der Informations- und Dokumentationsberufe insgesamt zu behaupten und aufzuwerten.
Die Arbeitsgruppe stützt sich auf die folgenden gemeinsamen Thesen:
1. Im politischen und institutionellen Kontext der Schweiz darf der Informations- und Dokumentationsbereich sein Personal nicht aufs Geratewohl rekrutieren, ohne eine gute und anerkannte Ausbildung zu verlangen. Es ist nicht mehr möglich, Facharbeit auszuführen und die Anforderungen an technische, persönliche und kulturelle Kompetenzen herunterzuspielen oder zu negieren. Die Zusammenarbeit von BibliothekarInnen, ArchivarInnen und DokumentalistInnen in einem gemeinsamen Projekt hat erlaubt, über das Stadium von Ideen und Klischees hinauszukommen. Eine Fortsetzung ist nötig.
2. Der schweizerische Arbeitsmarkt im Informations- und Dokumentationssektor ist nicht gross genug, um zentrifugale Kräfte zuzulassen, welche die Rückbesinnung der BibliothekarInnen, ArchivarInnen und DokumentalistInnen auf ihre eigenen Bereiche mit sich ziehen. Um solchen Kräften entgegenzuwirken ist es deshalb nötig, eine Ausbildungsdelegation zu haben, welche die Zusammenarbeit zwischen den Berufsverbänden koordiniert. Auch die berufliche Grundbildung sollte entsprechend als GeneralistInnen-Ausbildung konzipiert werden, um den Lehrlingen den Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen, ohne durch den Ort, an dem sie ihre Ausbildung gemacht haben, einen bereichsspezifischen Stempel aufgedrückt zu erhalten. Die Formulierung der Verordnung und die Konzeption des Schulunterrichts entsprechen dieser Absicht. Über die Ausbildungsdelegation sollten die Berufsverbände ausserdem in Zusammenarbeit mit den Lehrpersonen der verschiedenen Bereiche die Herausgabe und Verbreitung von Unterrichtsmaterialien für die Lehrlinge fördern. Auch wenn das vielleicht zu hohe Ansprüche an ein durch das Milizprinzip geprägtes System sind: die Frage muss trotzdem gestellt werden.
3. Der Informations- und Dokumentationsbereich ist vielseitig genug, um Arbeitsstellen mit unterschiedlichen Anforderungen an Wissen und Können zu bieten, welche nicht von vornherein Zugang zu gleicher Verantwortung und zu gleichem Lohn bieten. Es ist besonders wichtig, dass sich die Arbeitgeber bei der Ausarbeitung von Stellenprofilen auf ein Ausbildungssystem stützen können, das anspruchsvoll, aber auch genügend klar ist, um unbestimmte und missverständliche Stellenausschreibungen zu vermeiden. Es ist deshalb wichtig, dass der Bildungsplan für die berufliche Grundbildung nicht nur den Arbeitgebern bekannt ist, sondern auch in enger Zusammenarbeit mit den Bildungsinstitutionen der tertiären Stufe (Fachhochschulen, Nachdiplomausbildungen) konzipiert wird. Es ist wichtig, dass im Anschluss an die laufende Erarbeitung des Bildungsplanes zum Eidg. Fähigkeitszeugnis (EFZ) auch die Fachhochschulen den vorgeschlagenen Ausbildungsgang prüfen und in ihrem eigenen Ausbildungskonzept berücksichtigen, auch wenn sie ihre Studierenden nicht nur aus Personen mit EFZ und Berufsmaturität rekrutieren.
4. Der schweizerische Hintergrund verlangt laufende Anstrengungen zu einem fundierten und fruchtbaren Dialog zwischen den verschiedenen Sprachregionen. Er ist eine Grundbedingung für die viel zu wenig praktizierte interregionale Mobilität. Auf jeder Ausbildungsstufe sollte deshalb die Fremdsprachenpraxis aufgewertet werden; daher hält der Entwurf des Bildungsplanes am Unterricht einer zweiten Landessprache und des Englischen fest, auch wenn den Beteiligten bewusst ist, dass der Umsetzung dieses Zieles im aktuellen Ausbildungsrahmen theoretisch wie praktisch Grenzen gesetzt sind. Die Arbeitsgruppe hat auch keine Möglichkeiten, beispielsweise einen längeren Austausch (Minimum 1 Jahr) von Lernenden zwischen den Ausbildungsstätten zu fördern.
5. Der Informations- und Dokumentationsbereich unterliegt einem starken technologischen Wandel. Die klassischen Konzepte, über welche die Institutionen und Einzelpersonen verfügen, sind durch neue Instrumente in Frage gestellt. Die Berufsausbildung muss an diese Veränderungen angepasst werden. Die neue Bildungsverordnung ist deshalb als offener Rahmen konzipiert worden.
6. Die Arbeitsgruppe hat diesem Ziel bei der Formulierung der Verordnung grosse Beachtung geschenkt.
Die Tätigkeit im Informations- und Dokumentationsbereich setzt eine gute Allgemeinbildung und ein solides Orientierungswissen über den gesamten Bereich der vergangenen und der heutigen menschlichen Tätigkeiten voraus. Das ist eine der grossen Schwierigkeiten und Herausforderungen der Ausbildung, die sich nicht auf die blosse technische Beherrschung der Instrumente und Verfahren beschränken lässt. Die Gruppe musste sich allerdings eingestehen, dass im Rahmen einer beruflichen Grundbildung eine Auswahl an Bildungsinhalten unumgänglich ist. Eine Ausbildung von drei oder vier Jahren kann diese Schwierigkeit auch nicht lösen. Die Gruppe hat aber versucht, ihre Auswahl in einen Bildungsrahmen zu stellen, der nicht mit der Erlangung des Fähigkeitszeugnisses abgeschlossen ist. Sie hat dabei auch so gut wie möglich die weiterführenden Bildungsgänge (Fachhochschulen, Nachdiplomausbildungen) in ihre Überlegungen einbezogen. Klar ist, dass sich heute niemand mehr ein Wissen erwerben kann, das ewig gültig ist, und dass auch mit Abschluss des Fähigkeitszeugnisses die Fachpersonen nicht davon befreit sind, ihr berufliches Wissen regelmässig zu erneuern und zu vertiefen. Jede Person unterliegt zugegebenermassen gewissen sozio-ökonomischen Zwängen, trotzdem bleibt die berufliche Laufbahn, die jemand absolviert, primär Ergebnis freier und selbstverantwortlicher Entscheidungen. Die Arbeitsgruppe wünscht sich ebenfalls, dass die Verbände gemeinsam gegenüber den Ausbildungsbetrieben – häufig Institutionen der öffentlichen Hand – als Lobby auftreten, um zu bewirken, dass jungen Berufsleuten, die das wünschen und deren Leistungen dies rechtfertigen, die Möglichkeit eröffnet wird, berufsbegleitend die Maturität zu erlangen (während zwei Jahren bei einem Beschäftigungsgrad von 50%). Der Ausbildungsbetrieb könnte so die Investitionen, die er mit der Grundausbildung junger Berufsleute getätigt hat, selber nutzen und den Ausgebildeten gleichzeitig die Türe für weitere Etappen in ihrer Ausbildung öffnen. Das wäre ohne Zweifel eine Möglichkeit, das Ansehen der Berufslehre, die in den verschiedenen Sprachregionen unseres Landes ganz unterschiedlich wahrgenommen wird, ohne grosse Kosten zu verbessern.