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2018/4 Bauen und Bauten

Archive und Bibliotheken heute bauen - Die Rolle des Beraters für die Konservierung

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Im Archiv- und Bibliotheksbau entwickeln sich sowohl das Aussehen und wie auch die Funktionalität der öffentlichen Bereiche, aber auch das Konzept, die Struktur und die Ausrüstung des Gebäudes. Das Hinzuziehen eines Beraters für die Konservierung ermöglicht eine gute Kommunikation zwischen Institution (Bauherrschaft) und Bauteam (Architekt, Bauphysiker, Ingenieure, Berater) und sorgt auch für eine technische Integration der Bauziele.
Arbido konnte per Mail ein Interview mit dem Berater Andrea Giovannini führen.

arbido: Bei welcher Art von Bauprojekten werden Sie als Experte hinzugezogen? Was ist dabei Ihre Rolle?

Andrea Giovannini: Es gibt 4 Ebenen, bei denen ich als Berater regelmässig beigezogen werde:

  • Projekte für ein neues Gebäude und / oder Magazine für Archive, Bibliotheken und Museen
  • Umbau von bestehenden Gebäuden und Magazinen
  • Diagnose von bestehenden Räumlichkeiten für eine neue Nutzung als Magazin
  • Diagnose und Massnahmen nach einem Konservierungsunfall (meistens Schimmel, Wasser) in Magazinräumen

Bei Bauprojekten besteht meine Rolle darin, einerseits das spezifische Wissen für die korrekte Konservierung und Nutzung vom Schriftgut im Projekt einzubringen, anderseits auch mein Wissen und meine Erfahrung aus anderen aktuellen und schon realisierten Projekten im neuen Projekt zur Verfügung zu stellen. Meistens arbeite ich mit Institutionsverantwortlichen, Architekten und Ingenieuren zusammen, die sich das erste Mal mit einem Archiv-, Bibliotheks- oder Museumsbau beschäftigen. Ich kann meine Entwicklungen und Erfahrungen aus andere Projekten einbringen bringen, die fast immer unpubliziert sind. Die Grundidee meiner Tätigkeit als Berater ist, so funktionell, gesund, einfach und kohärent wie möglich zu bauen.

Diese Einstellung hat verschiede Gründe:
Ein einfaches Gebäude mit wenig Haustechnik ist langfristig stabiler, d.h. bietet die gewünschten Leistungen mit einer reduzierten technischen und energetischen Abhängigkeit.
Ein solches Gebäude ist prinzipiell auch kostengünstiger; insbesondere, wenn man die Bau-, Betrieb- und Unterhaltungskosten mittelfristig betrachtet.
In einem gesunden Gebäude mit wenig Haustechnik können Kulturgüter auch eine Gesellschaftskrise mit akzeptablen Folgen überleben, anders als im hochtechnischen Gebäuden, deren Leistungen sehr abhängig vom Unterhalt und Energie sind. Diese Prinzipien müssen aber harmonisch und ohne Starrheit in einem konkreten Kontext integriert werden, innerhalb von den vielfältigen Kompetenzen und Anforderungen in der Bauteam. Diese Aufgabe kommt in jedem Projekt auf eine andere Weise zum Tragen. Es geht sicher nicht darum, fertige Lösungen zu bringen, aber dennoch klare Prinzipien und Erfahrungen, die in einer neuen Synthese ein realistisches Projekt ermöglichen. Zuhören ist in diesem Kontext genauso wichtig wie Stellungnehmen. Anders gesagt, meine Rolle ist es, als Brückenbauer zwischen Architekten und Ingenieuren von der einen Seite, und der Institution von der anderen Seite zu dienen und als Fürsprecher der Bestände im Projekt anwesend zu sein. Normalerweise habe ich am meisten zu tun in den ersten Phasen des Projektes (Machbarkeitsstudien, Wettbewerb, Vorprojekt, Bauprojekt) und dann erst wieder ganz am Ende, bei der Inbetriebnahme des Gebäudes und während der ersten Zeit der Benutzung, wenn die Haustechnik noch fein justiert werden muss. Die Entscheidung, ab wann ein Gebäude betriebsfähig ist, insbesondere unter Berücksichtigung von Trocknungsprozessen der Baumaterialien, spielt hier eine wichtige Rolle.

Giov Mesure Umidité Sion 3

In der Schweiz werden aktuell viele neue Gebäude für Archive und Bibliotheken erstellt. Woher kommt aus Ihrer Sicht diese Entwicklung?
Viele Archiven und Bibliotheken haben in den letzten Jahrzehnten massiv in den Zugang zu ihren Beständen investiert, was sehr nützlich und sinnvoll ist. Damit ist aber die Pflege der Materialität der Bestände etwas in Hintergrund geraten. Parallel hat das Wachstum der Bestände trotz Digitalisierung nicht abgenommen. Dazu kommen noch tiefgehende Änderungen in der Nutzung der Bestände und in den Erwartungen der Nutzer. Diese neue Umgebung und die neuen Anforderungen führt damit auch zu architektonischen Anpassungen, woraus sich die Bauprojekte ergeben.

Was sind die wichtigsten Herausforderungen für ein Archiv oder eine Bibliothek bei einem Neubauprojekt? Was geht häufig vergessen?
Konzeptuell haben sich in den letzten Jahrzehnten die Gebäude, und in einem noch grösseren Ausmass die Magazine für Kulturgüter tiefgreifend geändert.

In den 1960er und 1970er Jahren hat man meistens solide Gebäude (von der statischen Seite) mit schwachen Gebäudehüllen (die das Innen vom Aussen trennen) gebaut; diese Schwäche wurden mit technischen Ausrüstungen ausgeglichen. Die Haustechnik dieser Art Gebäude war (und bleibt) komplex, fragil und teuer, besonders energetisch und im Unterhalt.

Heute werden Gebäude viel weitreichender und fundierter geplant, so dass Architektur, Bauphysik und Haustechnik viel besser integriert werden können. Das ermöglicht es, sogar Magazine zu bauen, die wochenlang auch ohne Technik und Energiezufuhr ein gutes Klima für die Bestände bieten.

Die Bauphysik wurde in den letzten 20 Jahren viel enger bei Bibliothek- und Archivbauten mit einbezogen. Es gab eine grössere Entwicklung, die noch in Gang ist. Diese ermöglicht es heute das Innenklima zuverlässig zu modellieren, unter Berücksichtigung von sehr vielen Faktoren, wie die Trocknung des Betons über einen Zeitraum von 20 Jahren, der Anwesenheit von Papier (das stark hygroskopisch wirkt), dem Einfluss der Lichtkörper und der Menschen, usw. Die wichtigsten Herausforderungen sind von der Institutionsseite her eine klare Definition der Ziele beim Bau. Wenn es einen Architekturwettbewerb gibt, ist es ist sehr wichtig, in diesem Stadium das Pflichtenheft detailliert zu bearbeiten und darin auch die Konservierung als Kriterium für die Wahl des Projektes durch die Jury zu integrieren.
Ist einmal ein Projekt gewählt, es ist entscheidend, eine enge Verknüpfung zwischen Architektur, Technik und Funktion zu erreichen. Es ist nicht selten, dass der Kontakt zwischen Institution und Bauteam zu lose ist, weil die Sprache und die Methoden von Kulturmilieu und Baumilieu sehr unterschiedlich sind. Das kann zu Missverständnissen führen, die Frust, zusätzliche Kosten oder eine schlechte Funktionalität des neuen Gebäudes verursachen. In diesem Bereich kann ich als Berater oft nützlich sein.

Was müssen Archive und Bibliotheken bei Umbauprojekten von bestehenden Gebäuden bedenken?
Es ist wichtig, zuerst zu verstehen, was die Gebäudehülle kann und wo ihre Grenzen liegen. Ein älteres Gebäude mit einem traditionellen Bau kann z. B. eine gute thermische Stabilität bieten, es kann aber auch zu wenig dicht sein und/oder im unteren Bereich dem Eindringen von Feuchtigkeit durch Kapillarität ausgesetzt sein. Ist einmal die Substanz des bestehenden Gebäudes bekannt, ist es möglich, die verschiedenen Kombinationen zwischen Gebäudehülleverstärkung und Haustechnik zu untersuchen um daraus die beste Variante zu wählen. Wichtig ist es, dass alle Betroffenen sich mit ihren Kompetenzen in der gewählten Lösung wiedererkennen. Es geht nicht nur darum, einzelne Beiträge zusammenzufügen, was oft wenig erfolgreich ist, sondern eher um eine Integration der unterschiedlichen Sichtweisen in einem kohärenten Konzept. Eine gute Zusammenarbeit innerhalb des Bauteams spielt hier eine zentrale Rolle.

Haben sich die Anforderungen für Archive und Bibliotheken an die Gebäude in den letzten Jahren geändert? Sind sie gestiegen? Wenn ja, bezüglich welchen Themen / Bereichen?
Was die Konservierung betrifft, gab es in den letzten Jahren wesentliche Entwicklungen.

Einer der wichtigsten Entwicklungen ist die Einführung von jahreszeitlichen Klimasollwerten (Winterklima-Sommerklima mit langsamem Übergang) für die Magazine und auch für die öffentlichen Räume. Es geht nicht nur um Einzelwerte, eher um Bandbreiten, in denen sich das Klima bewegen darf. Wenn man langsame, jahreszeitliche Klimaschwankungen für das Schriftgut annimmt, wird es möglich, mit einer stark reduzierten Technik (in einem guten Gebäude) diese Werte zu erreichen. Das ermöglicht es, einfachere, billigere und sehr performante Gebäude zu bauen.

In diesen Jahren haben sich die Kenntnisse und auch die Messinstrumente im Bereich der mikrobiologischen Sicherheit und der Luftqualität stark entwickelt; dies ermöglicht eine genauere Kontrolle der Umgebung von Büchern und Archivalien.

Es gab auch eine grosse Entwicklung der verschiedenen Normen in diesem Bereich, die präziser und vielfältiger geworden sind. Meiner Meinung nach ist es ist aber wichtig, die Normen kritisch zu betrachten und sie in jedem Bauprojekt vernünftig zu integrieren. Vernunft kann nicht normiert werden, dafür sind immer noch kompetente und erfahrene Menschen nötig. - Insgesamt sind die technischen Anforderungen für alle Arten von Gebäuden stark gestiegen, was sich positiv für Bibliothek- Archiv- und Museumsbauten auswirkt. - Parallel haben sich die Arbeitsräume ausdifferenziert. Sie sind vielfältiger geworden (z.B. im Archivbereich gibt es nun Reinigungsraum, Quarantäne, Restaurierungswerkstatt, Sortierraum, usw.); die öffentliche Teile einer Institution sind klarer von den Arbeitsräumen getrennt, die Arbeitsplätze für Leser sind besser für die Objekte und für die Leser ausgerüstet.

Wo gibt es Unterschiede zwischen den Anforderungen von Archiven und Bibliotheken an die ihre Gebäude? Wo sind diese deckungsgleich?
Die Magazine von beiden Institutionen haben sehr ähnliche Anforderungen; die öffentlichen Räume sind grundsätzlich ähnlich für patrimonialen Bibliotheken, wo die historischen Bestände wie in der Archivwelt sehr wertvoll oder Unikate sind. Diese Bereiche wurden z.B. in Sion mit Mediathek und Staatsarchiv in gemeinsamen öffentlichen Räumen vereinigt. Ganz anders geht es für Bibliotheken die keine patrimoniale Aufgabe haben, wo der Zugang zu den Beständen die erste Aufgabe und fast die einzige Priorität ist.

Gibt es im Gebiet „Bauten“ Dauerbrenner, die immer wieder für Probleme sorgen? Welche sind dies? Wie kann man hier vorbeugen?
Dies ist eine komplexe Frage, welche den Rahmen dieses Interviews überschreitet. Die Grundfragen im Bau bleiben durch die Jahrhunderte konstant. Schon Vitruv (ca. 15 v.C.) hat sich z. B. damit beschäftigt, wie man Bücher vor Feuchtigkeit schützt. Diese Sorge bleibt zentral, auch bei modernen Betonbauten. Wichtig ist es, sich die richtigen Fragen bei der Entwicklung eines Projektes zu stellen,und auch zu berücksichtigen, dass die Zeitdauer der Nutzung bei Bibliotheken und Archives viel länger als bei Standardgebäuden ist; meistens legt man 100 Jahre als Benutzungsziel fest. Ein Teil der Materialien und Techniken, die heute im Bau eingesetzt werden, erfüllen die Anforderungen an eine solche Zeitstabilität nicht.

Wenn Sie auf durchgeführte Projekte zurückblicken, welche drei Punkte würden Sie ArchivarInnen und BibliothekarInnen bei Neu- und Umbauprojekten am liebsten mitgeben?

1. Geben Sie den Architekten einen klaren Auftrag: Die Bedürfnisse und die Nutzungsdauer sollten klar formuliert werden; dies bedingt eine gründliche Vorarbeit durch die betroffene Institution. Für die öffentlichen Räume der Bibliothek oder des Archivs kann man mit einer Zeitperspektive von 25-35 Jahren arbeiten; was die Magazine betrifft, die viel schwerer geändert werden können, sollte sich die Perspektive weiter über die Zeit ziehen, bis und über 100 Jahren.

2. Ziehen Sie, wenn innerhalb der Institution das Wissen und die Kompetenzen fehlen, einen Berater für die Konservierung bei, als Brücke zwischen der Institution und die Baukompetenzen.

3. Stellen Sie die Qualität des Gebäudes Anfang an in den Vordergrund: Bewerten Sie die Baukosten in einer Zeitspanne von 10-20 Jahren in Verbindung mit den Betriebskosten. Diese Einstellung führt tendenziell zu soliden, einfachen und zeitstabilen Gebäuden.

Giovannini Andrea 2018

Andrea Giovannini

Andrea Giovannini ist als Berater für die Konservierung vom Schriftgut seit 30 Jahren in der Schweiz und Ausland tätig. Parallel unterrichtet er die Prinzipien und Methoden der Konservierung vom Schriftgut in verschiedenen Ausbildungen für Bibliothekare und Archivare, auf Bachelor- und Masterniveau. Es ist der Autor des Referenzbuches De Tutela Librorum: La conservation des livres et des documents d'archives / Die Erhaltung von Büchern und Archivalien (4. Auflage 2010 bei Hier und Jetzt).

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Der Bau von Archiven und Bibliotheken ist erfolgreich, wenn die Institution klare Ziele setzt, und wenn diese sich in geeigneten kohärenten Gebäudestrukturen und technische Lösungen verwirklicht werden. Einfache und lineare Konzepte bringen funktionsfähige und langfristig solide Gebäude. Der Berater für die Konservierung wirkt als Brücke zwischen Institution, Architekten und Ingenieuren und bringt auch Erfahrungen aus anderen ähnlichen Projekten ins Bauprojekt ein.

La construction d’archives et de bibliothèques est réussie quand l’institution définit clairement ses buts et quand ceux-ci se traduisent dans une intégration cohérente des structures du bâtiment et de solutions techniques. Un concept simple et linéaire garantit une bonne fonctionnalité même à long terme. Le conseiller en conservation renforce le lien entre institution, architectes et ingénieurs et amène dans le groupe de construction l’expérience d’autres projets similaires.