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2017/2 Tatorte

Archive für junge Detektive – Kinderkrimis in der historischen Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit

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Untersuchen Archivarinnen und Archivare die Darstellung ihres Metiers in der Literatur und im Film, bleiben für Kinder und Jugendliche verfasste Erzählungen allzu oft unbeachtet – dabei schlummert vorzugsweise im Genre der Detektivgeschichte ein kriminell kreatives Potential für historische Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit.*

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Wer weiter fahndet, fördert neben einer fast vergessenen Serie mit dem „Edgar-Wallace-Archiv“ als Dreh- und Angelpunkt der meisten Episoden[2] noch andere Werke wie z. B. Die Hexenakte[3] zu Tage, in denen alte Dokumente ins Zentrum einer abenteuerlichen Handlung rücken.

Detektive und historische Forschung

Warum der Krimi, insbesondere die klassische Detektivgeschichte für die Darstellung von Archiven und Archivalien so gut geeignet ist, erklärt sich aus ihrer festen Erzählstruktur mit zwei verschiedenen, entgegengesetzten Erzählrichtungen: Vorwärtsgerichtet ist die Spuren ausdeutende Ermittlungsarbeit der Detektivinnen und Detektive, während ihr rückwärtsgewandter Blick immer tiefer in die Vergangenheit dringt, um das Verbrechen aufzuklären, um den Fall und dessen verborgene Vorgeschichte zu rekonstruieren. Hier zeigt sich dieselbe narrative Struktur wie in der historischen Forschung, etwa bei der Nutzung eines Archivs und beim Studium von Archivalien, wobei ein geschichtliches oder zeitgeschichtliches Ereignis an die Stelle des Verbrechens rückt. Und da nicht nur in der erwachsenen Detektivgeschichte, sondern eben auch in ihrer Kinderkrimi-Variante oftmals (zeit-)geschichtliche Ereignisse zu ergründen sind, suchen selbst junge Detektive bisweilen ein Archiv auf, um mithilfe historischer Quellen herauszufinden, was vor einigen Jahren, Jahrzehnten oder Jahrhunderten geschehen ist.

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Protagonisten wie Bob Andrews, die genau wissen, welche Informationen hilfreich wären, wo diese zu suchen und auf welche Weise sie zu entdecken sind, zählen nicht nur zur Traumklientel der Archivpädagogik, sie bieten sich ihr auch als natürliche Verbündete an, da sie die für historische Forschung in Archiven erforderlichen Kompetenzen verinnerlicht haben und diese Kindern und Jugendlichen spielerisch auf Augenhöhe zu vermitteln wissen.
Wenn sich Archivarinnen und Archivare in ihrer Öffentlichkeitsarbeit gelegentlich einen detektivischen Anstrich verpassen (was u. a. auf eine zum ersten Tag der Archive in Deutschland anno 2001 ausgegebene Parole des Verbands deutscher
Archivarinnen und Archivare (VdA), dass „Archivare als Detektive der Geschichte arbeiten“, zurückzuführen ist),[4] und selbstbewusst – mit gleichem Recht wie Angehörige der geschichtswissenschaftlichen und archäologischen Zunft – die Parallelen ihres Berufs zur Kriminalistik hervorheben, dürfte es den Detektiven der Geschichte doch eigentlich ein Leichtes sein, Detektivgeschichten zu erzählen?

Vorbild Museum

Archivische bzw. archivalische Detektivgeschichten könnten nicht nur Erwachsenen, sondern gerade auch Kindern und Jugendlichen einen zielgruppengerechten Kommunikationskanal für historische Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit eröffnen und die viel beschworene Schwellenangst lindern – anderswo hat sich dies bereits bewährt: Geschichtsdetektive haben längst Einzug in museumspädagogische Konzepte gehalten und neben Kunstdetektiven, Naturdetektiven, Verkehrsdetektiven oder Bibeldetektiven begeben sich junge Spürnasen selbst im staatstragenden Umfeld eines Landesparlaments auf die Fährte politischer Bildung.[5] Ließe sich nicht auch in Archiven – sofern sie den unabdingbaren Mut zur Fiktionalisierung und zur Popularisierung der in ihnen verwahrten Geschichte aufbringen – mit solchen Events jenseits literarischer Hochkultur vieles ansatzweise vermitteln? Da sich das Genre des Krimis mühelos an alle Medien anpasst und sich in linear erzählte Geschichten sowie in interaktive Formate einfügt, wäre es neben der gedruckten Form auch im Internet und vor Ort im Archiv zu adaptieren, entweder im Rückgriff auf bereits populäre Erzählstoffe (Sherlock Holmes u. a.) oder aber mit für das eigene Archiv erfundenen Figuren: Nach dem Sächsischen Staatsarchiv mit dem seit Jahren erprobten Detektivspiel um die Archivmaus Archibald[6] und ähnlich gelagerten Aktionen in anderen Archiven hat kürzlich eine Projektgruppe angehender Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste (FaMI) aus Köln dieses Potential erkannt.

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Wenn in dem Hörspiel Die 5 Spatiums fünf sympathisch karikierte Vertreterinnen und Vertreter der fünf FaMI-Fachrichtungen während eines Praktikums beim Bundesarchiv einer entwendeten Akte hinterherjagen, verbindet sich ein dank viel Gespür für Dramaturgie, Dialoge, Spannung und Pointen bestens unterhaltender Plot mit Werbung für den eigenen Berufsstand und nutzt so manche Gelegenheit, fachliches Wissen unaufdringlich einzuflechten.[7]

Archivalien als Rätselstoff

Leichte Unterhaltung mit archivalischem Tiefgang entfaltet sich gleichfalls, wann immer einzelne Archivalien verrätselt werden: Papierschnipsel zerrissener Unterlagen sind wieder zusammenzufügen, die deutsche Kurrentschrift fasziniert mit zunächst unzugänglich erscheinenden Codes, die ebenso zu dechiffrieren sind wie in historischen Karikaturen versteckte Anspielungen oder in gefälschten Dokumenten enthaltene Fehler – und alte Fotos und Filme, auch zufällige Schnappschüsse, können sich je nach Fragestellung in Wimmelbilder oder Suchrätsel verwandeln.

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Rätsel zum Bild: Wo genau stand die Kamera der schwedischen Wochenschau? – (Ausschnitt in voller Länge bei http://www.youtube.com/watch?v=XwlITtKHrUM" target="_blank">YouTube. Lösung in der Box am Ende des Artikels.

Ob man sich realer oder erfundener Archivalien bedient, ist im Grunde egal, solange sie authentisch wirken und eine innere Richtigkeit aufweisen. Gleichwohl sind Archivalien, in denen sofort bzw. bei näherem Hinsehen ein Detail irritiert oder etwas Wichtiges versteckt zu sein scheint, sicherlich in jedem Archiv zu finden – man muss nur die Augen für diese Dokumente mit eingebautem Aufforderungscharakter offen halten und abwägen, in welcher Form sie als Denkspiele taugen und ob sie die Geschichte einer Spurensuche zu tragen vermögen. Von der mysteriösen Anekdote bis zur vollständig ausgestalteten Kriminalerzählung ist vieles denkbar, zumal sich die Handlungsmuster kriminalistischer Detektion selbstredend auf umfassende Recherchen im eigenen Archiv übertragen lassen: In den vielfältigen Beständen eines Archivs spiegelt sich das aus Detektivgeschichten geläufige multiperspektivische Puzzle der Fakten und Indizien, so dass für die Rekonstruktion mittels Hypothesen und Schlussfolgerungen die Aktenbildnerinnen und Aktenbildner wie Augenzeugen zu befragen sind, ob sie am ‚Tatort‘ eines historischen Ereignisses zugegen waren und welche Aussagen und Erkenntnisse ihre Dokumente hergeben – nicht selten verbirgt sich neben manch einer falschen Fährte irgendwo im Archiv der entscheidende Beweis in Form einer historischen Quelle, die ein ‚Geständnis‘ ablegt und den Fall löst.

Kreative Archivpädagogik und Selbstdarstellung

Möchten Archive als Kultureinrichtungen wahrgenommen und ernstgenommen werden, müssen sie die von ihnen instrumentalisierten Kulturtechniken ebenfalls ernstnehmen. Man sollte den Krimi demnach niemals bloß als Vehikel zweckentfremden und die altbewährten Erzählstrategien lediglich vortäuschen, um am Ende doch nur mit belehrenden Abhandlungen zu langweilen. Als ‚Trojanisches Pferd‘ der Archivpädagogik wird die Detektivgeschichte nur zum Türöffner, wenn die Vermittlung archiv(al)ischen Fachwissens nicht im Vordergrund steht, sondern in wohldosierten Portionen – also: handlungsbezogen, beiläufig und kurzweilig, am besten in Dialogform – erfolgt, sich dabei stets den Konventionen des Genres anpasst und weder der Unterhaltung, noch der Spannung in die Quere kommt; im Idealfall wird sich beides ohnehin direkt aus den Archivalien heraus entwickeln. Dass gute Krimis immer auch ein Katz-und-Maus-Spiel mit Erwartungshaltungen inszenieren, liefert Archivarinnen und Archivaren zugleich eine Steilvorlage zum kreativen Umgang mit den gängigen Klischees und Stereotypen über Archive und ihre Wächter.

Keinerlei falsche Zurückhaltung bei der Selbstdarstellung: Da in der Regel nur Protagonisten einer Erzählung Aussicht darauf haben, als Identifikationsfiguren wahrgenommen zu werden, sollten hier viel mehr Archivarinnen und Archivare in Hauptrollen schlüpfen und z. B. Sherlock Holmes oder Indiana Jones nacheifern, die längst zu Ikonen ihrer Berufszweige avanciert sind. In Geschichten, in denen archivalische Schätze glänzen, müssen auch unbedingt ihre Archive von innen sichtbar werden, als geheimnisumwitterte Erinnerungsräume, deren Speicher auf detektivischer Spurensuche erkundet und erforscht werden wollen. In diesem Umfeld haben Archivarinnen und Archivare Erwachsenen wie auch Kindern und Jugendlichen gegenüber keinen Ruf zu verlieren, sondern vielmehr einen Ruf als Erzähler ihrer eigenen spannenden Geschichte(n) zu gewinnen.

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Masterarbeit

Haarmann, Sven: Recherchen im Archiv in Detektivgeschichten für Kinder und Jugendliche, Masterarbeit, Potsdam 2014/2016 – https://opus4.kobv.de/opus4-fhpotsdam/frontdoor/index/index/docId/1066 oder http://nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn:nbn:de:kobv:525-10660 (Zugriff am 17.04.2017)

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Sven Haarmann

Sven Haarmann ist Archivar im Archiv der sozialen Demokratie (AdsD) der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn (u. a. zuständig für das Willy-Brandt-Archiv).

Abstract

Wenn Archivarinnen und Archivare sich bewusst machen, wie Archive in fiktionalen Texten und Filmen dargestellt werden, sollte die Kinder- und Jugendliteratur besondere Beachtung erfahren. Vor allem das seit vielen Jahrzehnten populäre Genre der Detektivgeschichte lässt sich aufgrund ihrer auffallend ähnlichen Inhalte und Strukturen als archivpädagogisches Edutainment aufbereiten. Werden das Archivwesen und die eigenen Archive als geheimnisvolle Orte ästhetisiert, in denen es viel Aufregendes zu entdecken und zu erforschen gibt, könnte dies Kindern und Jugendlichen nachhaltig im Gedächtnis bleiben und ihnen über kurz oder lang auch den Weg in ein reales Archiv erschließen.

Alors que les archivistes sont conscients de la représentation des archives dans les textes et films de fiction, ils devraient porter plus d'attention à la littérature pour les jeunes, d'autant plus que depuis plusieurs décennies les histoires de détectives sont un genre populaire qui se prête bien à une éducation archivistique par le jeu (ou edutainment) en raison de leur contenu et structure remarquablement similaires. Les archives y sont généralement décrites comme des lieux mystérieux dans lesquels les enquêtes et découvertes excitantes sont légion. Cette image passionnante peut rester imprimée dans la mémoire des enfants et adolescents et les amener malgré tout sur le chemin d'archives bien réelles.