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2008/1 Lobbying für Informationsdienste: Theorie und Praxis

Lobbying in Deutschland: Pflichten und Rechte der Bibliotheken sollen gesetzlich verankert werden

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Die Bibliotheken in Deutschland haben mit mannigfaltigen und verschiedenartig gelagerten Problemen zu kämpfen. Die Bibliotheken haben jetzt Unterstützung von höchster Stelle erfahren: Der deutsche Bundespräsident Horst Köhler plädierte dafür, das Bibliothekswesen auf die politische Agenda zu setzen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Es zeichnet sich ab, dass verschiedene Bundesländer Bibliotheksgesetze verabschieden werden, in denen Pflichten und vor allem die Rechte der Bibliotheken gesetzlich geregelt werden sollen.

Deutschland ist immer auch Goetheland. Den Bibliotheken kommt im Land der Dichter und Denker eine herausragende Bedeutung zu. Der deutsche Bundespräsident Horst Köhler wollte Bibliotheken anlässlich der Wiedereröffnung der Anna-Amalia-Bibliothek am 24. Oktober 2007 in WeimarDie Bibliothek, die schon Goethe und Schiller genutzt hatten und die ein Pièce de résistance deutscher Kulturgeschichte darstellt, war am 2. September 2004 niedergebrannt. Beim Brand gingen wertvolle und unersetzbare Bestände verloren. Dank zahlreicher Spenden aus der Bevölkerung konnte die Bibliothek – soweit das noch möglich war – saniert werden., der Stadt der deutschen Klassik, explizit und allgemein in einen grösseren Gesamtzusammenhang gestellt wissen: «Woher kommt die grosse Wertschätzung der Bibliotheken und damit des Buches, das die Bibliotheken beherbergen? Ich denke, das hat damit zu tun, dass das Buch zur Metapher für Erkenntnis und Verstehen schlechthin geworden ist – und dass das Lesen eine Grundmetapher für Verstehen überhaupt ist. Was immer wir verstehen wollen, erscheint uns wie ein Buch, eine Schrift, die wir zu lesen oder zu entziffern lernen müssen.»

Im Rahmen seiner Festrede ging der Bundespräsident konkret auf Probleme und Sorgen der deutschen Bibliothekarinnen und Bibliothekare ein, deren Berufsgruppe er im Übrigen ein hervorragendes Zeugnis ausstellte: «Es gibt fantastische Bibliothekare in Deutschland. Ich hatte vor einigen Monaten ein ausführliches Gespräch mit vierzehn Bibliothekarinnen und Bibliothekaren aus ganz Deutschland und aus sehr unterschiedlichen Einrichtungen1. Von der grossen Zentral- und Landesbibliothek Berlin über die Universitätsbibliothek Bielefeld bis zur Stadtbücherei Chemnitz. Selten habe ich eine Gruppe von so engagierten Menschen erlebt, die mit Leib und Seele für ihre Sache arbeiten. Das hat mich sehr beeindruckt – und mich auch optimistisch gestimmt.» Der Bundespräsident machte zusammen mit den Berufsvertreterinnen und -vertretern folgende zentrale Problembereiche aus: 

– Das Bibliotheksnetz ist z. T. sehr weitmaschig, v. a. in ländlichen Gegenden sind Bibliotheken rar. In manchen Gegenden kann man von einem regelrechten Bibliothekssterben sprechen. 

– Nur etwa 15 Prozent der Schulen verfügen über eine eigene Bibliothek, und selbst diese Bibliotheken erfüllen nur selten bibliothekarische Mindeststandards.

– In den Universitätsbibliotheken fehlen oft die notwendigen Mittel für ausreichende Neuanschaffungen. So müssen Zeitschriftenabonnements abbestellt werden oder Forschungsreihen können nicht weiter bezogen werden. Das entwertet oft den Bestand.

– Trotz des wichtigen Beitrags der Bibliotheken für die Bildung und das selbstständige Lernen fehlt in Deutschland – im Gegensatz zu den erfolgreichen PISA-Ländern – die strategische Verankerung der Bibliotheken als Teil der Bildungsinfrastruktur. Sowohl auf Länderebene als auch in der Politik des Bundes fehlen durchgängige bildungspolitische Zielsetzungen.

– Die kulturelle Überlieferung in gedruckter und digitaler Form muss langfristig gesichert werden. Die Bibliotheken in Deutschland entfalten hier bereits heute grosse Aktivitäten, weil sie sich bewusst sind, dass die dauerhafte Aufbewahrung der wissenschaftlichen und kulturellen Überlieferung zu ihren Kernaufgaben gehört.

–  Viele alte Bibliotheken in Deutschland sind heute noch nicht auf dem modernen Stand der Feuerschutztechnik – und die Bücher, die sie aufbewahren, sind, wie Horst Köhler zitierte, zwar «meist in guter Ordnung, aber in schlechter Verfassung». Dringender Handlungsbedarf bestehe zum Beispiel in der Notwendigkeit der Massenentsäuerung des holzhaltigen Papiers aus der Zeit zwischen 1830 und 1990. Kostbarste Noten und Manuskripte sind von den Schäden durch eisenhaltige Tinte bedroht. Alte Einbände müssen dringend gepflegt werden, denn ältere Literatur wird immer öfter ausgeliehen, seit sie in Computerkatalogen nachgewiesen ist.

–  Eine ebenso grosse und besonders drängende Herausforderung ist die Langzeitspeicherung elektronischer Medien, andernfalls bleiben die zahlreichen Digitalisierungsprojekte in Bibliotheken ohne nachhaltige Wirkung.

–  In den vergangenen Jahren mussten in Deutschland auch die Bibliotheken, Archive und Museen Sparbeiträge leisten. Die Finanzausstattung vieler Institute liegt heute unter dem Notwendigen, die Personaldecke ist dünn geworden. Viele können ihre Aufgaben der Bewahrung und Erschliessung nicht mehr in erforderlichem Umfang erfüllen.

Der deutsche Bundespräsident gab am Schluss seiner Rede seiner Hoffnung auf eine Kurskorrektur Ausdruck und forderte explizit, dass das Bibliothekswesen in Deutschland auf die politische Tagesordnung gesetzt werde.

Zahlen und Fakten zu den Bibliotheken in Deutschland

  • Deutschlands Bibliotheken sind die am stärksten genutzten Kultur- und Bildungseinrichtungen in Deutschland.

  • Es gibt in Deutschland ca. 11500 Bibliotheken.

  • Jährlich finden 255 685 Veranstaltungen in den Bibliotheken statt.

  • Jährlich besuchen mehr als 200 Millionen Leser Bibliotheken.

  • Jeden Tag kommen 670 000 Leser in Bibliotheken.

  • Jedes Jahr entleihen 11 Millionen registrierte Leser 432 Millionen Medien.

  • Bibliotheken haben einen Bestand von insgesamt 345 Millionen Medien.

Quelle: Deutscher Bibliotheksverband e. V. 

Lobbying im Kleinen – bundesweites Lobbying 

An der Fachtagung «Lobbying für Bibliotheken»2wurden die Lobbying-Bedürfnisse von ländlichen Gemeinden, Klein- und Mittelstädten und von Grossstädten separat behandelt. Unabhängig davon, so der Tenor, was national agierende Verbände oder Organisationen (wie etwa der Deutsche Bibliotheksverband, Bibliothek und Information Deutschland, die Fachkonferenz der Bibliotheksfachstellen in Deutschland oder die Bertelsmann-Stiftung) für die Stärkung der Position von öffentlichen Bibliotheken in Politik und Gesellschaft unternehmen: Jede Bibliothek hat ihre eigene Ausrichtung, ihren eigenen Bestand, ihr eigenes Publikum, ihre eigene Philosophie. Und diese Eigenheit kann auch nur lokal genutzt und transparent gemacht werden. Das ändert allerdings nichts daran, dass neben der «Kleinarbeit» auch übergeordnete Aktionen gefragt sind, welche die Leistungen der Bibliotheken in ihrer Gesamtheit in das Blickfeld der Bevölkerung rücken. Nach dem Vorbild der österreichischen Bibliotheken wurde deshalb für das Jahr 2008Die Aktionswoche findet vom 23. bis 31. Oktober statt und orientiert sich bewusst am 24.10., dem «Tag der Bibliotheken».eine bundesweite Aktionswoche geplant, welche über die «innovativen Leistungen und kreativen Angebote» der Bibliotheken informiert und der Öffentlichkeit und den Behörden aufzeigt, welchen Beitrag alle diese Einrichtungen zur Informations- und Medienkompetenz, zur Weiterbildung und Leseförderung leisten, mit anderen Worten: wie viel konzentrierte Kultur die deutschen Bibliotheken zu bieten haben. Organisiert wird die Aktionswoche vom dbv (siehe weiter unten). Der «Tag der Bibliotheken» soll bundesweit als Festtag etabliert werden.

Der Weg zu einem Bibliotheksgesetz in Deutschland 

Einen wichtigen Lösungsansatz für die zahlreichen und verschiedenartig gelagerten Problembereiche der Bibliotheken in Deutschland bilden die Projektarbeiten zu einem Bibliotheksgesetz – was Bibliotheken sollen und welche Mittel sie für die Erfüllung ihrer Aufgabe benötigen, soll gesetzlich festgelegt werden. Aktivitäten wie die Aktionswoche sollen den Boden ebnen helfen für eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung und bei den politisch Verantwortlichen.

Bei den Vorarbeiten zum Bibliotheksgesetz spielt der Deutsche Bibliotheksverband (dbv)Der dbv ist der Verband der deutschen Bibliotheken. Sein Anliegen ist es, die Wirkung der Bibliotheken in Kultur und Bildung sichtbar zu machen und ihre Rolle in der Gesellschaft zu stärken.eine zentrale Rolle.

Der Verband hat in den vergangenen Jahren auf vielen Ebenen für ein Bibliotheksgesetz in Deutschland gearbeitet: in der gemeinsamen Umsetzung des Strategiekonzepts «Bibliothek 2007» von Bibliothek und Information Deutschland (BID) und der Bertelsmann-Stiftung, mit der Leitung der BID-Arbeitsgruppe «Bibliotheksgesetz», bei der Anhörung und in Diskussionen mit der Enquetekommission «Kultur in Deutschland», in Gesprächen mit vielen Bundespolitikern, und durch die Initiativen einzelner Landesverbände und deren Gespräche mit ihren Landespolitikern. Der Deutsche Bibliotheksverband wird in Kürze ein Musterbibliotheksgesetz für ein umfassendes Bibliotheksgesetz auf Länderebene vorlegen.

Die Enquetekommission «Kultur in Deutschland» hält es für «sinnvoll und wirksam», Aufgaben und Finanzierung der Bibliotheken in Bibliotheksgesetzen zu regeln, und damit Bibliotheken zur Pflichtaufgabe zu machen. Der Enquetekommission zufolge sollen Bibliotheken stärker in die Bildungskonzepte der Länder eingebunden werden. Weiterhin wird die Einrichtung einer koordinierenden, länderübergreifenden Bibliotheksentwicklungsagentur empfohlen. Bibliotheken, so die Enquetekommission, würden vor allem im Rahmen der vernetzten kulturellen Bildung einen wesentlichen Beitrag zur Sicherung des freien Informationszugangs und gleicher Bildungschancen unabhängig von der Zugehörigkeit zu verschiedenen gesellschaftlichen Schichten leisten.

Der dbv hat sich dahingehend geäussert, er werde alles tun, um die konkreten Vorschläge der Enquetekommission umsetzen zu helfen.

Handlungsempfehlungen der Enquetekommission

  1. Die Enquetekommission empfiehlt den Ländern, Aufgaben und Finanzierung der öffentlichen Bibliotheken in Bibliotheksgesetzen zu regeln. Öffentliche Bibliotheken sollen keine freiwillige Aufgabe sein, sondern eine Pflichtaufgabe werden. Alternativ zu Bibliotheksgesetzen der Länder kann die rechtliche Sicherung von öffentlichen Bibliotheken auch durch einen länderübergreifenden Staatsvertrag angestrebt werden.

  2. Die Enquetekommission empfiehlt den Ländern, einen länderübergreifenden Bibliotheksentwicklungsplan zu erstellen. Ein solcher Plan soll bildungspolitische Zielsetzungen und Qualitätsstandards beinhalten.

  3. Die Enquetekommission empfiehlt dem Bund und den Ländern die Einrichtung einer Bibliotheksentwicklungsagentur zu prüfen. Diese Agentur kann dazu beitragen, strategische, innovative und qualitätssichernde Zielsetzungen länderübergreifend abzustimmen und umzusetzen.

  4. Die Enquetekommission empfiehlt den Ländern, Bibliotheken in ihre Bildungskonzepte einzubinden. Die Länder sollen eine spartenübergreifende Arbeit fördern. Mit einer Kooperation zwischen Schulen, Vorschulen, Kindergärten und anderen Bildungs- und Kultureinrichtungen können – zum Beispiel durch eine Zusammenarbeit von Schulbibliothek und öffentlichen Bibliotheken – Synergieeffekte erzielt werden. Weitere Schnittstellen und Kooperationsmöglichkeiten können in einem Bibliotheksentwicklungsplan formuliert werden.

  5. Die Enquetekommission empfiehlt dem Bund und den Ländern, gemeinsam eine nationale Bestandserhaltungskonzeption für gefährdetes schriftliches Kulturgut zu erarbeiten. Die Enquetekommission empfiehlt weiterhin der Bundesregierung, ein Förderprogramm zur physischen Rettung, digitalen Erfassung und digitalen Sicherung von bedrohtem schriftlichem Kulturgut von nationaler und europäischer Bedeutung aufzulegen, sowie sich dafür einzusetzen, dass entsprechende Fördermöglichkeiten auf EU-Ebene erweitert werden.

Quelle: Schlussbericht der Enquetekommission «Kultur in Deutschland» 

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La Fédération allemande des bibliothèques (dbv) se réjouit que le président de la République, Horst Köhler, plaide pour une loi régissant les droits et devoirs des bibliothèques au plan fédéral. Lieux de formation, permettant à chacun l’accès à l’art et à la culture, les bibliothèques allemandes souffrent de lacunes assez considérables auxquelles une loi devrait remédier. Réseau de bibliothèques insuffisant, absence de telles infrastructures dans 75% des écoles, abonnements aux revues limités, manque d’ancrage des bibliothèques dans la formation, conservation à long terme de documents pas assez efficace, conditions de travail précaires, telles sont quelques-unes des tares majeures du système allemand. La dbv a développé un projet modèle de loi qui reçut l’assentiment de la commission fédérale d’enquête «La culture en Allemagne». Cette dernière a émis des objectifs prioritaires à faire figurer dans la loi: ancrage des bibliothèques dans les concepts de formation des Länder, planification de la sauvegarde des biens de la culture écrite et informatisée, planification d’un développement suprarégional des bibliothè- ques. Dans le Land de Thuringe, les partis politiques ont déjà soutenu ce projet et organisé des débats sur la place et la signification des bibliothèques dans la société.