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2008/2 Die Wirtschaft der neuen Medien

Die digitale Revolution bringt eine enorme Fragmentierung der Leserschaft mit sich

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Die Print- und Elektronikmedien befinden sich in einer Konvergenzphase, die durch das Internet ausgelöst wurde. Gleichzeitig werden Firmen aus ursprünglich unterschiedlichen Branchen wie Telekom, Presse und Fernsehen zu Konkurrenten um die Aufmerksamkeit des gleichen Publikums. Medienunternehmen müssen heute auf allen Kommunikationskanälen präsent sein, um ihre Marktstellung weiter behalten zu können. Grund genug, Fragen an einen Kenner der Schweizerischen Medienlandschaft zu stellen.

Hannes Britschgi, stellvertretender Chefredakteur des SonntagsBlicks im Interview mit Stephan Holländer

1. Wieso müssen Schweizer Zeitungsverlage auf vielen Plattformen (Internet, Lokalradio, Lokalfernsehen und Gratiszeitungen) vertreten sein?

Dies ist zweifellos eine Folge der technologischen Entwicklung. Mit dieser digitalen Revolution ging eine enorme Fragmentierung des Zielpublikums einher. War es vor einigen Jahren noch relativ einfach, die jeweilige Zielgruppe anzusprechen, so muss genau heute darauf geachtet werden, wie man seine jeweilige Zielgruppe anspricht. Da liegt die eigentliche Herausforderung. Die Zielgruppe muss auf dem richtigen Kanal angesprochen werden, damit sie überhaupt erreicht wird. Daher ist die Vielfalt der Plattformen heute ein Muss, um die einzelnen Zielpublika erreichen zu können.

2. Welche Funktion haben die Webnewsangebote grosser Verlage (NZZ online; Tagesanzeiger online etc.)?

Ein guter Teil der im Web aktiven Bevölkerungsgruppen holt sich nach dem Pull-Prinzip die Nachrichten aus dem Netz. Dies ist gegenwärtig die schnellste und effektivste Art und Weise, sich über die laufende Aktualität auf dem Laufenden zu halten. Mit ihrem Nachrichtenangebot im Internet sind die Verlage nicht nur im Web präsent, sondern sie beweisen damit ihre Kom- petenz auch auf dieser Plattform. Zweifellos stärken sie damit ihre Marken, die beispielsweise im Zeitungsbereich gross geworden sind. Dies trägt natürlich zur Markenpflege auch im Webbereich bei und bindet die Nutzer an die Marke.

3. Welches ist dabei der USP des Onlineangebotes der Zeitungsverlage gegenüber den Newsangeboten der grossen Suchmaschinen?

Das herausragende Merkmal der Berichterstattung im Netz durch die Verlage ist deren redaktionelle Eigenleistung. Diese Eigenleistung sind beispielsweise die eigenen Recherchen. Damit heben sie sich von den im Netz veröffentlichten Agenturmeldungen ab. Die Webangebote profitieren von der guten Markenwirkung, die die Zeitungen im Printbereich über Jahre hin aufgebaut haben. Zweifellos macht dies den USP dieser Angebote aus.

4. Sind die Google News Schweiz eine Konkurrenz für die online verfügbare Schweizer Presse?

Ja, sicher, aber es sollte nicht vergessen werden, dass Google auch Webverkehr für die Internetangebote der Verlage erzeugt. Dank dieses zusätzlichen Webverkehrs erreichen diese Angebote so eine grössere Aufmerksamkeit der Internetnutzer, die weiteres Nutzerinteresse nach sich zieht.

5. Gemäss jüngst veröffentlichten WEMF-Zahlen verzeichneten die Tagesspresse und die Regionalpresse in der Schweiz einen Rückgang des Inseratenvolumens um 17,8%. Ist hier eine Abwanderung der Inserenten in Richtung Gratisblätter und Sonntagspresse zu beobachten?

Bei den Gratisblättern wäre ich mit der Interpretation noch etwas vorsichtig, da die jüngste WEMF-Erhebung noch nicht die Zahlen aller jetzt erscheinenden Gratiszeitungen beinhaltet. Zweifelsohne ist jedoch ein Teil dieser Inserate ins Internet und in die Gratiszeitungen abgewandert. Grossfirmen in der Schweiz versuchen, auch ihre Stellen über das World Wide Web zu besetzen. Elektronische Stellenbewerbungen sind immer mehr im Kommen, da diese auch mit Informatikmitteln analysiert werden können, was angesichts der Menge der Bewerbung auch ein gutes Selektionsinstrument sein kann.

Ein Teil der Werbung wird nun im Internet angeboten, anders wären die Umsatzzahlen von Google nicht zu erklären. Doch vergessen Sie nicht: Verlage können auch da attraktive Kombiangebote machen. So erscheint das Inserat in der gedruckten Presse und kann in der Folge auf der Webseite der Zeitung publiziert werden. Eine klassische Hybridlösung, die die Vorteile beider Publikationsarten beinhaltet. Damit bieten Verlage einen Mehrwert, den Google mangels gedruckter Presse nicht bieten kann.

6. Mit Zattoo wurde unter anderem in der Schweiz die Möglichkeit geschaffen, Fernsehprogramme über das Internet zu schauen. Ist das der Anfang eines Trends, Fernsehprogramme über das Netz zu übertragen, oder ist das lediglich ein Umweg in der Richtung zum hochauflösenden Fernsehen über das Breitbandnetz?

Zattoo (gesprochen Zattoo) ist qualitativ technisch gesehen noch keine Alternative zum jetzigen Fernsehen. Ein wesentlicher Nachteil ist, dass Zatttoo über keine hochauflösende Darstellungsweise verfügt. Zattoo hat begriffen, dass aus der Zielgruppe «junge Leute» immer weniger Leute Fernsehprogramme an einem TV-Gerät sehen wollen, sondern im Web anschauen möchten. Zattoo bietet Fernsehen also dort, wo sich junge Leute auch gerne ihre Zeit verbringen, nämlich im Netz. Dazu kommt, dass diese Fernsehprogramme gratis im Netz angeschaut werden können. In den kommenden Monaten wird sich Zattoo im Ausland in einem Land nach dem anderen verbreiten. Dass Signal, das Zattoo setzt, ist klar: Das Internet wird auch ein Kanal zur Verbreitung von Fernsehprogrammen. 

7. Wie sehen Sie die Entwicklung schweizerischer Fernsehangebote? Mehr in die Richtung Lokalfernsehen oder in die Richtung Spartenfernsehen?

Die gegenwärtige Entwicklung geht klar in Richtung Lokalfernsehen. Mit der Revision des Fernsehgesetzes wird jetzt auch das Gebührensplitting möglich. Dies wird der Entwicklung von lokalen und regionalen Fernsehan- geboten Auftrieb geben. Damit sind gleichzeitig neue Verpflichtungen verbunden. Diese Anbieter werden somit in die Lage versetzt, ihre Programmangebote wesentlich ausbauen zu können. Nischen- und Spartenprogramme finden sich schon heute als Internetangebote. Hierfür bietet sich das Internet als Verbreitungskanal geradezu an.

8. Werden heutige Medienunternehmen, die bereits jetzt über ein hybrides Angebot (Druck und Internet) verfügen, künftig zu multimedialen Inhaltslieferanten, die auf allen Plattformen (TV, Radio, Internet, Presse) tätig sind (siehe etwa das Beispiel Time Warner)?

Meines Erachtens werden alle Medienunternehmen ihre in der Herstellung teuer erarbeiteten Inhalte auf allen ihnen zur Verfügung stehenden Kanälen einsetzen wollen. Diese multimediale beziehungsweise crossmediale Verwertung wird von den kommerziellen Partnern erwartet und damit in Anspruch genommen Es ist ein Wettbewerbsvorteil, wenn ein Medienunternehmen Angebote für möglichst viele Kommunikationskanäle anbieten kann. Kann ein Verlag die gleiche Botschaft eines Kunden oder einer Interessengruppe auf mehreren Kanälen zeitversetzt und, wenn gewünscht, zeitgleich auf allen Kommunikationskanälen kommunizieren, wird er im harten Konkurrenzkampf eher berücksichtigt werden, als wenn ein Verlag nur im Zeitungs- und Zeitschriftenbereich tätig ist.

Hollaender Stephan 2016

Stephan Holländer

Stephan Holländer unterrichtet an der HTW Chur sowie an der HEG Genève. Als Beauftragter für Weiterbildung des BIS ist er zudem für die berufliche Weiterbildung aktiv.
Daneben bietet er mit seiner eigenen Firma umfassende Beratung in den Bereichen Archiv, Bibliothek, Dokumentation und Wissensorganisation an.
Stephan Holländer war während vielen Jahren Redaktor für arbido. Auch heute noch steuert er Fachartikel bei, weiter publiziert er regelmässig im deutschen Online-Nachrichtendienst Password Online für die Informationsbranche.

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Hannes Britschgi

Stellvertretender Chefredakteur des SonntagsBlicks.