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2025/1 Materialität der Archive

Partizipative Wissenspraktiken bei analogen und digitalen Bildarchiven

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Das SNF-Projekt PIA untersucht, wie die Erschliessung, Nutzung und Vermittlung historischer Bildarchive partizipativ erweitert werden können. Im Fokus stehen innovative Technologien wie Machine-Learning und das Erstellen intuitiver Benutzeroberflächen, um nachhaltige Wissenspraktiken zu fördern.

Das SNF Sinergia Forschungsprojekt PIA «Partizipative Wissenspraktiken in analogen und digitalen Bildarchiven» untersucht in einer Kooperation zwischen dem Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie, dem Digital Humanities Lab, dem Departement für Computer Science der Universität Basel sowie der Hochschule für Künste Bern, wie historische Fotosammlungen digital erschlossen und zugleich aktiv von einer breiten Nutzergruppe mitgestaltet werden können. Im Zentrum steht dabei nicht die Digitalisierung der analogen Materialien, sondern vor allem die Frage, wie das besondere Potenzial digitaler Technologien genutzt werden kann, um partizipative Prozesse der Wissensproduktion und Wissensvermittlung nachhaltig zu fördern, dies besonders im Bereich der kulturrelevanten Daten.

Ausgangspunkt

Ausgangspunkt und Projektpartner des Projekts ist das Fotoarchiv der Empirischen Kulturwissenschaft Schweiz (EKWS), dessen Sammlungen bedeutende visuelle Zeugnisse zum kulturellen Gedächtnis der Schweiz darstellen. Die Sammlungen umfassen unter anderem den „Atlas der Schweizerischen Volkskunde“ mit Dokumenten zu einer gross angelegten Erhebung von Alltagskultur zwischen 1937 und 1942, die „Ernst-Brunner-Sammlung“ mit zehntausenden Negativen und Abzügen des renommierten Schweizer Fotografen sowie die „Familiensammlung Kreis“, eine private Fotosammlung mit vielen Alben, welche Einblicke in die Selbstdarstellung bürgerlicher Lebenswelten bis in die 1970er Jahre bietet. Diese Bestände dokumentieren nicht nur Traditionen, Bräuche und Alltagsleben in der Schweiz, sondern spiegeln zugleich historische Formen der Wissensproduktion und -vermittlung wider.

Zentrale Herausforderungen und Projektfokus

Die zentrale Herausforderung des Projekts besteht darin, das spezifische Wissen um die Zusammenhänge und Kontexte der einzelnen Bildbestände nicht nur zu bewahren, sondern aktiv durch Beteiligung verschiedener Nutzergruppen zu erweitern. Dazu wurden im Rahmen des Projekts mehrere digitale Prototypen geschaffen, die nicht nur den Zugang zu den digitalisierten Fotografien ermöglicht, sondern insbesondere eine intuitive, visuelle Benutzeroberfläche bietet, die zum aktiven Mitwirken einlädt. Mithilfe von innovativen Werkzeugen aus dem Bereich der Digital Humanities und des Machine-Learnings sind Benutzerinnen und Benutzer in der Lage, Bilder selbstständig zu annotieren, neue Kontexte zu erschliessen sowie Beziehungen zwischen Bildern und Themen sichtbar zu machen.

Besonders bedeutend ist hierbei die aktive Einbindung einer breiten Öffentlichkeit. In Form gezielter Aufrufe, sogenannte «Calls» werden Nutzerinnen und Nutzer eingeladen, aktuelle Fotografien hochzuladen, diese in Bezug zu historischen Bildern zu setzen und kommentierend zu ergänzen. Durch diese Form der partizipativen Kontextualisierung entsteht nicht nur eine lebendige Verbindung zwischen historischen Beständen und zeitgenössischen Perspektiven, sondern auch eine kontinuierliche Erweiterung und qualitative Vertiefung der Metadaten. Dadurch wird die inhaltliche Erschliessung und Nutzung des Bildmaterials erheblich verbessert.

Ein weiterer innovativer Bestandteil des Projekts ist die systematische Anwendung von Machine-Learning-Methoden. Mittels speziell trainierter Algorithmen werden Objekte und Bildinhalte erkannt, wodurch einerseits automatisiert Metadaten generiert, andererseits Nutzerinnen und Nutzer bei der manuellen Annotation und Kontextualisierung unterstützt werden können. Hierdurch entsteht eine dynamische und zugleich nachhaltige digitale Archivierungsumgebung, die in der Lage ist, sowohl grosse Datenmengen effektiv zu verwalten als auch neue inhaltliche Verknüpfungen zwischen Bildern und Metadaten sichtbar zu machen.

Methodisch zeichnet sich das Projekt durch eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit aus: Kulturwissenschaftliche Perspektiven treffen auf innovative Ansätze aus den Digital Humanities, Anthropologie, Bild- und Medienwissenschaft sowie Designforschung. Dadurch werden nicht nur technische, sondern auch kulturelle und epistemologische Aspekte der Digitalisierung von Bildbeständen reflektiert. In mehreren Workshops mit Archivexpertinnen, Nutzerinnen und Forscher*innen werden die Anforderungen an eine nachhaltige und zugleich benutzerfreundliche digitale Archivierung gemeinsam entwickelt und kontinuierlich evaluiert.

Projektergebnis

Als Ergebnis entstanden neben der prototypischen Realisierung der digitalen Werkzeuge und partizipativen Benutzeroberfläche sechs Dissertationen und mehrere wissenschaftliche Publikationen. Somit versteht sich das Projekt nicht nur als konkrete Umsetzung partizipativer Wissenspraktiken in einem einzelnen Archiv, sondern zugleich als wegweisendes Modell für künftige Entwicklungen im Bereich der Digital Humanities und der digitalen Archivierung von Kulturgut insgesamt.

Weiterführende Literatur

Fornaro Peter 2019

Peter Fornaro

Prof. Dr. Peter Fornaro ist Elektroingenieur, Fotograf, sowie Physiker und habilitierte in Digital Humanities. Er ist im Leitungsteam des Digital Humanities Lab der Universität Basel und in Forschung und Lehre tätig.

Peter Fornaro ist im Vorstand der Memoriav und im Kuratorium e-codices für Handschriften-Forschung. Er leitet zudem die AG "Digitalisierung von Archivgut" des Vereins Schweizerischer Archivarinnen und Archivare (VSA) und ist Mitglied der Eidgenössischen Kommission für Kulturgüterschutz.

Abstract

Le projet FNS PIA examine comment les collections photographiques historiques peuvent être indexées numériquement et enrichies par des approches participatives. Il combine les perspectives des sciences culturelles avec des technologies innovantes telles que l’apprentissage automatique, afin de développer des outils interactifs pour l’annotation et la contextualisation. Le point de départ sont les archives photographiques numériques d'Anthropologie Culturelle Suisse (ACS). La participation active du grand public doit permettre d'améliorer considérablement l’indexation et l’utilisation du contenu de ces archives.

Das SNF-Projekt PIA untersucht, wie historische Fotosammlungen digital erschlossen und durch partizipative Ansätze erweitert werden können. Es verbindet kulturwissenschaftliche Perspektiven mit innovativen Technologien, wie Machine Learning, um interaktive Tools für die Annotation und Kontextualisierung zu entwickeln. Ausgangspunkt ist das Fotoarchiv der Empirischen Kulturwissenschaft Schweiz. Dessen inhaltliche Erschliessung und Nutzung soll durch die aktive Beteiligung der breiten Öffentlichkeit erheblich verbessert werden.