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2024/3 Zugang zu Archiven - Recht oder Pflicht?

Der Zugang zu den Swiss Re historical archives

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Die VSA-Fachtagung von 2024 in Teufen widmete sich dem Thema des Archivzugangs. In archivarischen Kreisen ist die Bedeutung von Unternehmensarchiven für die historische Forschung unbestritten, weshalb das Programm der Veranstaltung auch die Sichtweise von Privatarchiven berücksichtigte. Der hier vorliegende Beitrag ist im Kontext der Fachtagung entstanden und illustriert die Herangehensweise der Swiss Re historical archives. Die Darstellung zeigt, welche Chancen sich für ein Unternehmensarchiv bei einem externen Archivzugriff bieten und welche Herausforderungen damit verknüpft sind.

Das historische Firmenarchiv als Forschungsquelle

Das historische Firmenarchiv der Swiss Re geht auf die 1863 in Zürich gegründete Schweizerische Rückversicherungs-Gesellschaft zurück. Das Unternehmen war damals eines der frühen Rückversicherungsunternehmen der Welt. Die Swiss Reinsurance Company gilt heute als der älteste noch existierende Rückversicherer und umspannt eine Firmengeschichte von über 160 Jahren.1

Als Ausgangspunkt möchte ich zunächst hier kurz die Archivrechtslage der Schweiz in Erinnerung rufen. Im Unterschied zu den öffentlichen Archiven, die einen gesellschaftlichen Auftrag erfüllen, unterstehen Unternehmen keinem Archivgesetz.2 Unternehmen sind also von Gesetzes wegen nicht verpflichtet, ihre eigene Geschichte zu sichern bzw. ein historisches Archiv zu führen. Dementsprechend können Unternehmensarchive auch nicht in die Pflicht genommen werden, ihre Bestände der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Am Beispiel der Swiss Re Corporate History wird aber deutlich, dass gewisse Unternehmen durchaus Ressourcen zur Wahrung ihrer Geschichte einsetzen. Eines der wichtigsten Ziele unserer Abteilung gilt der Pflege der Swiss Re historical archives, die global den umfangreichsten Bestand innerhalb der Rückversicherungsbranche halten. Dies auch aufgrund der Kriegsverluste, die Unternehmen im bedeutenden Rückversicherungs-Markt Deutschland hinnehmen mussten.3

Als das 150-Jahre Firmen-Jubiläum bevorstand, diente das historische Firmenarchiv als Quelle für ein umfangreiches historisches Forschungsprojekt. Dies hatte von Beginn an den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit, was entscheidend dazu beitrug, Historiker und Historikerinnen aus der sozial- und wirtschaftshistorischen Forschung dafür zu gewinnen. Im Laufe des Projekts hatten etwa 30 Forscher und Forscherinnen Zugriff auf Bestände der Swiss Re historical archives.

Das Projekt mündete in die Herausgabe von drei umfangreichen Bänden mit jeweils unterschiedlichen Themenschwerpunkten.4 Die Erscheinung der Bücherreihe bot dann wiederum weitere akademische Anschlussmöglichkeiten und führte zu einem angeregten Forschungsinteresse in und ausserhalb der Schweiz.

Externe Anfragen und Forschungsbeiträge

Es erreichten uns sodann eine Reihe von externen Anfragen, für die wir häufig Archivzugang geben konnten. Entstanden sind daraus beispielsweise Studien, die den Umgang mit Naturkatastrophen ins Zentrum ihres Forschungsinteresses nahmen. Diese sind im weitesten Sinne der Risikogeschichte zuzuordnen, wobei darin auch städtegeschichtliche Episoden nachgezeichnet werden. In anderen Beispielen wurden Aktenbestände zu Naturkatastrophen als Quelle für wissenschaftshistorische Beiträge verwendet.

Weiter sind zum Beispiel im Kontext der Pandemie einige Quellen der Swiss Re historical archives für einen gesundheitshistorischen Beitrag herangezogen worden. Auch für eine Dissertation im Rahmen eines Nationalfonds-Projektes zum Thema Finanz- und Krisenresistenz sind unsere Bestände genutzt worden. Ermöglicht haben wir auch verschiedene Archivzugriffe für Masterarbeiten, die sich beispielsweise mit der Geschichte von Währungsrisiken beschäftigten oder sich dem Thema des Generalstreiks widmeten.

Für jeden Archivzugang wenden wir die in unserer Benutzungsordnung festgehaltene allgemeine Sperrfrist von 30 Jahren oder im Falle von personenbezogenen Daten 80 Jahren an. Diese entsprechen in etwa einem archivüblichen Standard. Allerdings können wir mit der alleinigen Anwendung von Sperrfristen einen externen Archivzugang längst noch nicht gewähren.

Herausforderung Archivzugriff: Katalog und Bestände

Zu erwähnen ist an dieser Stelle ein mehrstufiger und aufwändiger Arbeitsprozess, der mit der Abklärung eines externen Archivzugriffs entsteht. Dieser beginnt schon bei der Recherche, da im Unterschied zu öffentlichen Archiven der Katalog der Swiss Re historical archives nicht frei zugänglich ist. Somit müssen sämtliche Suchen und Recherchen von Archivmitarbeiterinnen und Archivmitarbeitern geleistet werden. Typischerweise braucht es hierzu mehrere Gespräche, um mögliche Aktenbestände einzugrenzen. Hinzu kommt, dass gewisse Bestände offsite gelagert sind und abhängig vom Forschungsthema in einem anderen System zu identifizieren und bestellen sind.

Herausforderung Archivzugriff: Vertraulichkeit

In einem nächsten Arbeitsschritt müssen dann die vorliegenden Akten im Hinblick auf deren Vertraulichkeit (confidentiality) geprüft werden. Als Mitarbeitende der Swiss Re Corporate History sind wir dem Arbeitgeber gegenüber verpflichtet, umsichtig mit Unternehmensinformationen umzugehen. Dies erweist sich im historischen Archiv eines Rückversicherers als besonders herausfordernd, da unsere Kunden hauptsächlich Versicherungsgesellschaften sind. Dieses business-to-business Geschäftsmodell impliziert, dass firmeneigene Archivakten je nach Bestand auch ausführliche Informationen über andere Unternehmen enthalten können. Solche Kundeninformationen weiten den Kreis von Vertraulichkeit aus und setzen uns auch in die Verantwortung gegenüber Drittparteien.

Informationen über Drittparteien herauszugeben, ist praktisch unmöglich und könnte zu einem potenziellen Vertrauensbruch gegenüber den Kunden führen – egal, wie alt die Akten sind. Berücksichtigt man, dass der geschäftliche Austausch zwischen Versicherer und Rückversicherer eng sein kann und somit zu einer hohen Informationsdichte im Archiv führen kann, verschärft sich das Problem zusätzlich. Weniger problematisch gestaltet sich die Freigabe von Akten, wenn eine Versicherungsgesellschaft nicht mehr existiert.

Die Wahrung der Confidentiality kann also nur gewährleistet werden, wenn sämtliche Dossiers im Zusammenhang mit einer externen Anfrage mehr oder weniger tief von Mitarbeitenden der Swiss Re Corporate History gesichtet werden. Erst dann lässt sich bestimmen, ob und welche Teile eines Bestandes freigegeben werden können. Dieser Bewertungsprozess ist ein unabdingbarer Arbeitsschritt, der mit einem hohen Arbeitsaufwand verbunden sein kann. Auch wenn unsere Benutzungsordnungen einen Vertraulichkeitspassus enthalten, hilft das wenig, da der Schutz vertraulicher Informationen schon vor der Aktenherausgabe zu gewährleisten ist.

Die Methode des „Ausschwärzens“ hat sich dabei auch als wenig praktikabel erwiesen, da konsequenterweise jede betroffene Stelle innerhalb eines Dokumentes und Dossiers abzudecken ist. Der Arbeitsaufwand für eine solch detaillierte Bewertung ist immens und birgt zudem bei Papierakten ein Risiko, diese zu beschädigen. In Einzelfällen haben wir dies ausprobiert, wobei wir damit auch noch schlechte Erfahrungen machten, da die entsprechenden Stellen – mit oder ohne Absicht – wieder aufgedeckt wurden.

Externe Anfragen und interner Auftrag

Externe Archivbesucherinnen und -besucher zeigen sich aber häufig einsichtig, wenn gewisse Bestände aus oben beschriebenen Gründen nicht freigegeben werden können, auch wenn dies in der Vergangenheit nicht immer so gewesen ist. In einigen Fällen, als sich der Untersuchungsgegenstand für bestimmte Versicherungsmärkte interessierte, enthielten Trefferlisten relativ viele Einträge bestehend aus Kundendossiers. Aufgrund der darin enthaltenen vertraulichen Informationen konnten wir nach sorgfältiger Bewertung nur Teilbestände herausgeben. Dies ist in manchen Fällen auf wenig Verständnis gestossen, wobei wir auch mit Missmut konfrontiert wurden.

Abschliessend gilt es festzuhalten, dass der Arbeitsaufwand für externe Anfragen in Relation zu setzen ist mit unserem Auftrag innerhalb des Unternehmens. Unser Tagesgeschäft gilt der Pflege des historischen Archivs, der Abwicklung interner Anfragen und der internen Geschichtsvermittlung im Allgemeinen. Hier fliesst firmenhistorisches Wissen in Form von Beiträgen, Ausstellungen, Archivführungen oder der Vermittlung historischer Informationen ins Unternehmen zurück. Die Erbringung dieser Leistungen steht im Mittelpunkt unseres Auftrages und bildet die Basis für das Bestehen der Swiss Re Corporate History. Nur wenn der Aufwand für externe Anfragen also in einem vernünftigen Verhältnis gehalten werden kann, ist es uns auch möglich, der Unternehmensgeschichte langfristig nachzukommen.

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Salvatore Novaretti

Head Corporate History, Swiss Re.

Salvatore Novaretti hat im Juli 2024 die Leitung der Swiss Re Corporate History übernommen. Von 2011 bis 2024 war er für das historische Firmenarchiv Swiss Re historical archives verantwortlich. Er absolvierte ein Erwachsenenstudium in Allgemeine Geschichte, Ethnologie und Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Zürich. Davor arbeitete er in Zürich und London als Bankkaufmann im Bereich Credit Risk Management / Administration.

  • 1 Für einen Überblick zur Entwicklung der Swiss Re historical archives vgl. Haueter Niels-Viggo und Novaretti Salvatore, "Nouvelles des archives Swiss Re historical archives", Entreprises et Histoire, No. 94, Avril 2019, S. 209-213.
  • 2 Es müssen lediglich die Aufbewahrungsfristen im Zusammenhang mit bestimmten Geschäftsunterlagen eingehalten werden.
  • 3 Aus diesem Grund sind Teile der Swiss Re historical archives als nationales Kulturgut im KGS inventarisiert.
  • 4 Borscheid Peter und Haueter Niels-Viggo, World Insurance: The Evolution of a Global Risk Network (Hrsg.), Oxford: Oxford University Press, 2012. Borscheid Peter, Gugerli David, James Harold und Straumann Tobias, Swiss Re und die Welt der Risikomärkte, München: Verlag C.H. Beck, 2014. Jones Geoffrey und Haueter Niels-Viggo, Managing Risk in Reinsurance: From City Fires to Global Warming, Oxford: Oxford University Press, 2017.

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Die VSA-Fachtagung von 2024 in Teufen widmete sich dem Thema des Archivzugangs. In archivarischen Kreisen ist die Bedeutung von Unternehmensarchiven für die historische Forschung unbestritten, weshalb das Programm der Veranstaltung auch die Sichtweise von Privatarchiven berücksichtigte. Der hier vorliegende Beitrag ist im Kontext der Fachtagung entstanden und illustriert die Herangehensweise der Swiss Re historical archives. Die Darstellung zeigt, welche Chancen sich für ein Unternehmensarchiv bei einem externen Archivzugriff bieten und welche Herausforderungen damit verknüpft sind.

Le colloque de l'AAS de 2024 avait pour titre « Accès aux archives – droit ou obligation ? » Cette contribution aborde la question selon l'expérience des Archives historiques de Swiss Re. Il en ressort clairement une pratique archivistique qui va au-delà des questions du droit ou du devoir, car l'accès est marqué par les prémices d'une archive d'entreprise spécifique à la réassurance. Une liste d'exemples de contributions académiques illustre la manière dont les archives historiques de Swiss Re ont été utilisées comme source de recherche historique. Cela implique toutefois des processus de travail à plusieurs niveaux et des évaluations complexes de la confidentialité.  Il est donc possible que l'accès aux archives ne puisse pas être accordé ou seulement en partie, même après la prise en compte des délais de protection. Le coût de gestion des demandes externes doit également être acceptable par rapport à la mission de l'entreprise.