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2024/1 Dekolonialisierung von Archiven

Die Arbeitsgruppe Dekolonialisierung der Archive und Sammlungen ETH Zürich

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Im August 2023 hat die Sektion Sammlung und Archive der ETH-Bibliothek die Arbeitsgruppe Dekolonialisierung gegründet. Diese befasst sich mit der Erschliessung, Dokumentation und Präsentation ihrer kolonial geprägten Bestände. Was sind die Ziele der Arbeitsgruppe? Was wurde bisher erreicht?

Die ETH Zürich verfügt in den Departementen und an der ETH-Bibliothek über zwanzig spezialisierte Sammlungen und Archive, die für die Erforschung, Pflege und Vermittlung der Bestände zuständig sind. Dazu zählen Objekte, Kunstwerke und Dokumente aus den Bereichen Natur, Technik und Kultur. In zahlreichen Beständen dieser Sammlungen und Archive spiegeln sich die vielfältigen kolonialen Verflechtungen der Schweiz wider.

Im Anschluss an die aktuelle Dekolonialisierungsdebatte und Erforschung der Schweizer Kolonialgeschichte finden an der ETH-Bibliothek derzeit verschiedene Aktivitäten statt, die sich mit dem Thema auseinandersetzen. Sie sind eingebettet in eine wissenschaftliche und gesellschaftspolitische Diskussion. Die laufenden Projekte sind:

Denkmäler/Büsten an der ETH Zürich

In und an den Gebäuden der ETH Zürich befinden sich über hundert Denkmäler und Büsten, die an Personen aus dem In- und Ausland seit der Gründung der Hochschule erinnern. Sie sind Teil des Kunstinventars der ETH Zürich. Als erster Schritt zur kritischen Auseinandersetzung mit der Erinnerungskultur der Hochschule haben Dr. Monika Gisler und Lina Gisler Ende 2022, im Auftrag der ETH-Kommission KUNST AM BAU, eine Vorstudie mit dem Titel «Denkmäler der ETH Zürich» erstellt. Der Befund ist eindeutig: «Rund zwei Drittel der untersuchten Personen äusserten sich in irgendeiner Form rassistisch, sexistisch oder antisemitisch, profitierten vom Kolonialismus oder trugen mittels ihrer Schriften zu dessen Legitimierung bei.1» Die Studie empfiehlt u. a., die betreffenden Denkmäler und Büsten zu kontextualisieren, um Zusammenhänge sichtbar zu machen. Die entsprechende Umsetzung soll ab Sommer 2024 analog und digital erfolgen.

Ausstellung «Koloniale Spuren: Sammlungen im Kontext»

Ab August 2024 wird im Ausstellungsraum «extract» der ETH-Bibliothek eine von Monique Ligtenberg kuratierte Wechselausstellung zum Thema Wissenschaft und Kolonialismus präsentiert. Sie ergänzt die kommende Ausstellung «kolonial. Globale Verflechtungen der Schweiz» im Landesmuseum Zürich und legt besonderen Wert auf folgende Schwerpunkte:

  • Die Rolle kolonialer Kontexte in der Geschichte der ETH Zürich, ihrer Sammlungen, ihrer Forscher:innen und im Bereich der Naturwissenschaften im Allgemeinen;
  • die Fortführung dieser historischen Verflechtungen bis in die Gegenwart;
  • sowie die Betonung von indigenem Wissen und indigenen Akteur:innen als übergreifendes Thema.

Die Arbeitsgruppe Dekolonialisierung

Zudem wurde im August 2023 die Arbeitsgruppe Dekolonialisierung gegründet, um sich mit der Praxis der Erschliessung, Dokumentation und Präsentation kolonial geprägter Bestände zu befassen. Unter kolonial geprägten Beständen verstehen wir Bestände, die sich auf formelle und informelle Formen kolonialer Herrschaft beziehen. Dazu gehören Sammlungen, die koloniale oder imperiale Ideologien und Praktiken widerspiegeln, wie z. B. rassistische Vorstellungen kultureller Überlegenheit gegenüber ethnischen Minderheiten und wie diese zur Rechtfertigung von Formen der Ausbeutung und Unterdrückung benutzt wurden.

Die AG Dekolonialisierung setzt sich aus Mitarbeitenden verschiedener Sammlungen und Archive der ETH Zürich zusammen2. Zu ihren Aufgaben gehören unter anderem die Analyse der eigenen Bestände und Identifizierung von Problemfeldern, der Umgang mit problematischen Begrifflichkeiten sowie die Entwicklung von Massnahmen und Empfehlungen. Die AG besteht aus mehrheitlich privilegierten Sammlungs- und Archivmitarbeitenden ohne eigene Rassismuserfahrungen.

Ihr Ziel ist es, bis August 2024 eine praktische Handreichung mit Massnahmen und Beispielen aus den Beständen zu erarbeiten. Diese soll den Mitarbeitenden der Sammlungen und Archive als Input und eigene Befähigung zur Auseinandersetzung mit der Dekolonialisierung dienen.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass die ETH Zürich über eine Vielzahl von Sammlungen und Archiven mit unterschiedlichen Objekten und diversen Sammlungsgeschichten verfügt. Aufgrund dieser Heterogenität können mit den Beispielen nicht alle Fälle abgedeckt werden, aber sie dienen der Ableitung von Massnahmen und Empfehlungen.

Zurzeit ist die AG mit der Erarbeitung der Beispiele beschäftigt. Diese werden von den jeweiligen Sammlungsmitarbeitenden verfasst und im Plenum diskutiert. Ebenfalls erfolgt die Ausformulierung eines Editorials, welches begleitend zu den Beispielen erscheint.

Bis anhin hat die AG

  • eine Arbeitsdefinition diskutiert, was eine Sammlung/ Bestand/ Objekt zu einem kolonial geprägten machen kann;
  • ein Anleitungspaper diskutiert und verfasst, welche die Arbeit in der AG regelt;
  • Leitfragen erarbeitet und definiert, die sich an den Arbeitsschwerpunkten in Sammlungen und Archiven orientieren (sammeln, erschliessen, vermitteln, archivieren);
  • einen Anti-Rassismus-Workshop intern durchgeführt;
  • Austausch der Co-Leiterinnen der AG mit verschiedenen nationalen und internationalen Projekten und Netzwerken angestossen.

Der AG ist es wichtig, praxisnahe und umsetzbare Empfehlungen zu erarbeiten. Diese stellen keineswegs eine Ideallösung dar, sondern zeigen (pragmatisch) auf, was umgesetzt werden kann. Auch wenn keine universellen Lösungen präsentiert werden können, soll die Anleitung den Mitarbeitenden helfen, die eigene Arbeit kritisch zu reflektieren und sie für das Thema zu sensibilisieren.

Dekolonialisierung ist ein gesellschaftlicher Prozess, der nie abgeschlossen sein wird. Daher muss die erarbeitete Handreichung regelmässig überarbeitet und den neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen angepasst werden.

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Roberta Spano

Roberta Spano ist seit 2020 in der Sammlung wissenschaftlicher Instrumente und Lehrmittel der ETH-Bibliothek tätig. Seit August 2023 ist sie zudem Co-Leiterin der Arbeitsgruppe Dekolonialisierung der Archive und Sammlungen der ETH Zürich.

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Stephanie Willi

Stephanie Willi hat an der ETH Zürich Geschichte und Philosophie des Wissens studiert und arbeitet aktuell im Hochschularchiv der ETH Zürich. Ihre Weiterbildung MAS ALIS hat sie mit einer Masterarbeit zum Thema Dekolonisierung von Schweizer Archiven abgeschlossen. Seit August 2023 ist sie ausserdem Co-Leiterin der Arbeitsgruppe Dekolonialisierung der Archive und Sammlungen der ETH Zürich. Sie ist zudem Gründungsmitglied des Vereins Zürich Kolonial.

  • 1 Gisler, Monika und Gisler, Lina: Denkmäler der ETH Zürich - Bericht zu Händen der Kommission für Kunst am Bau der ETH Zürich, Zürich, 2022, S. 18, https://doi.org/10.3929/ethz-b-000644208.
  • 2 Archiv für Zeitgeschichte, Bildarchiv, Erdwissenschaftliche Sammlung, Graphische Sammlung, gta-Archiv, Hochschularchiv, Literaturarchive der ETH Zürich, Rara und Karten, Sammlung wissenschaftlicher Instrumente und Lehrmittel

Abstract

Die ETH Zürich verfügt über zwanzig spezialisierte Sammlungen und Archive, die für die Erforschung, Pflege und Vermittlung der Bestände zuständig sind. In ihnen spiegeln sich die kolonialen Verstrickungen der Schweiz wider. Die ETH-Bibliothek führt verschiedene Projekte zur Auseinandersetzung mit der schweizerischen Kolonialgeschichte durch, darunter die Arbeitsgruppe Dekolonialisierung, die sich mit der Erschliessung, Dokumentation und Präsentation kolonial geprägter Bestände auseinandersetzt.

L'ETH Zurich dispose de vingt collections et archives spécialisées, chargées de l'étude, de l'entretien et de la communication des fonds. Elles reflètent l'implication coloniale de la Suisse. La bibliothèque de l'ETH mène différents projets pour aborder l'histoire coloniale suisse, dont le groupe de travail Décolonisation, qui s'occupe de la mise en valeur, de la documentation et de la présentation de fonds marqués par la colonisation.