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2021/4 Das Dokument, das unbekannte Wesen

Manipulierte Bilder im deutschen Bundesarchiv?

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Einige Kritiker der in den 1990er Jahren viel diskutierten Ausstellung über Verbrechen der Wehrmacht warfen auch dem deutschen Bundesarchiv die Fälschung von Bildern vor. Dieser Vorwurf ist nicht haltbar. Gleichwohl gibt es manipulierte Bilder in den Beständen des Bundesarchivs.

1 Vorab ist allerdings vor dem Hintergrund der Aufgaben des Bundesarchivs (BArch) zu klären, was überhaupt als «manipuliertes Bild» verstanden wird. Unter «Manipulationen» werden nachfolgend subsummiert:

  • Bildbearbeitungen, wozu Bildausschnitte, Inszenierungen, Fotomontagen, Retuschen und Ähnliches zählen sowie
  • Kontextverzerrungen, also eine Inkongruenz von Bild und Text.

Die Aufgaben des Bundesarchivs werden im Bundesarchivgesetz definiert. Zu diesen gehört die dauerhafte Verwahrung von Unterlagen von Reichs-, DDR- und Bundestellen als Archivgut des Bundes, wenn der bleibende Wert dieser Unterlagen festgestellt wurde.2 Bleibender Wert kann somit faktisch auch Unterlagen zukommen, die in irgendeiner Form manipuliert wurden. Zu den umfangreichen Beständen des Bundesarchivs gehören – neben 428 km Schriftgut – gut 13 Millionen Fotos, Plakate und Luftbilder, die von staatlichen Stellen stammen, aber auch von Bildagenturen, deren Bestände das Bundesarchiv übernommen hat, sowie Bilder von Privatpersonen aus (Foto-)Nachlässen.3

Eine erste und beinahe «natürliche» Form der Bildbearbeitung stellt die Aufnahme des Fotografen bzw. der Fotografin dar, die natürlich nur einen Ausschnitt des Geschehenen und Gesehenen wiedergeben kann. In diesem Kontext aber von grösserer Relevanz sind Ausschnitte von Bildern, bei denen Teile bewusst nicht (weiter) veröffentlicht wurden. So zum Beispiel bei einem Foto aus dem Bestand der DDR-Nachrichtenagentur «Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst – Zentralbild» (ADN-ZB) vom Empfang der ersten DDR-Regierung im November 1949 beim Chef der Sowjetische Kontrollkommission, auf dem auch der erste DDR-Aussenminister, Georg Dertinger, abgebildet ist. (Abb. 1)

Abb. 1: BArch, Bild 183-S90342 / Fotograf unbekannt. Gescannte Rückseiten unter Bild 183-S90342_RS und Bild 183-S90342_RS2; http://www.bild.bundesarchiv.de/dba/de/search/?query=Bild+183-S90342

Dertinger wurde 1953 verhaftet und verbüsste mehr als elf Jahre im Zuchthaus. Bis 1989/90 galt Dertinger in der DDR als Unperson, weswegen er auf Fotos extra identifiziert wurde, damit diese Bilder nicht irrtümlich publiziert würden. Solche Bilder wurden speziell markiert (hier mit einem roten Dreieck auf der Bildrückseite) und mit der genauen Identifikation seiner Position, sodass das Bild gegebenenfalls – entsprechend beschnitten – gleichwohl noch genutzt werden konnte. Solche Bildbeschneidungen sind allerdings bisweilen schwierig zu erkennen, so man nicht den direkten Vergleich zu den unbeschnittenen «Originalen» hat oder – wie im vorstehend geschilderten Beispiel – entsprechende Hinweise auf der Bildrückseite findet.

Einfacher erkennbar, wenngleich technisch relativ gut gemacht, ist die Montage auf dem Foto «Bild 102-00711» der Bildagentur «Aktuelle-Bilder-Centrale, Georg Pahl», das den Zeppelin LZ 126 über dem Brandenburger Tor zeigt, wobei sich das «relativ» auf den dann doch etwas staunenswerten Tiefflug des 200 Meter langen Fluggeräts nur wenige Meter über dem Pariser Platz bezieht. Zumindest die Zeppelinvorlage hat der Fotograf Georg Pahl selber fotografiert und griff nicht auf ein Foto eines anderen Bildberichters zurück. Bei dieser Art Retusche stand mutmasslich der monetäre Aspekt des Verkaufs eines eindrucksvolleren Fotos im Vordergrund.

Abb. 2: BArch, Bild 102-00646 / Fotograf: Georg Pahl

Es finden sich aber auch Retuschen aus militärischen Gründen in den Bildbeständen des Bundesarchivs: Auf einer Bilderserie des Films «Bild 101I-718-0149», die eine Besprechung zwischen den Generalen Gerd von Rundstedt und Erwin Rommel zeigt, wurde die auf dem Besprechungstisch liegende Karte unkenntlich gemacht. (Abb. 3) Dabei fand die Manipulation bereits auf dem Negativ statt, was bei den im Bundesarchiv vorhandenen Bildern eher selten festzustellen ist – deutlich in der Überzahl sind Bearbeitungen bei (veröffentlichten) Abzügen.4

Abb. 3: BArch Bild 101I-718-0149-11A / Fotograf: Jesse

Dass Bilder durch ihre Bildlegenden in sinnentstellende Zusammenhänge gebracht werden können ist hinlänglich bekannt und auch Bilder aus den Bundesarchiv-Beständen sind vor solchen nachträglichen «Umdeutungen» nicht gefeit. So wurden Bilder einer Fotoserie von Schülern der Polizeischule Brandenburg vom August 1924, die «Verhaftungsübungen» abbilden, nach dem Krieg als angebliche Dokumentation der Verhaftung von Nazi-Gegnern durch die Nationalsozialisten genutzt.5

Eine andere Form stellt z.B. der Text zu einem Foto dar, das eine Frau mit zwei Kindern beim Schwimmen zeigt. Die gut 230 Wörter des Begleittextes erzählen hingegen vom vermeintlichen oder tatsächlichen Widerspruch der Frau gegen den angeblichen Ausbau Westdeutschlands als Atomwaffenbasis. (Abb. 4)

Abb. 4: BArch Bild 183-51912-0001 / Fotograf: Günter Weiß

Nicht zuletzt als Lehre aus den Problemen der Wehrmachtsausstellung wendet das Bundesarchiv das Provenienzprinzip als Kriterium der Bestandsbildung und für die innere Ordnung der Bildbestände strikt an, sichert alle Informationen über ein Bild, seine Überlieferungsgeschichte, eventuelle Manipulationen und hält diese verfügbar.6 Deswegen werden z.B. im Digitalen Bildarchiv des Bundesarchivs auch alle auf oder zum Bild vorhandenen Textinformationen im Feld «Originaltitel» nachgewiesen, wie falsch oder propagandistisch auch immer sie sein mögen, um eine möglichst authentische Überlieferung des bisweilen «Unauthentischen» zu gewährleisten.

Sander Oliver 2021

Oliver Sander

Dr. Oliver Sander ist Archivoberrat, Referat IT 2 im Bundesarchiv Deutschland

  • 1 Zum eingangs geäusserten, unhaltbaren Vorwurf der Bildfälschung vgl. Buchmann, Wolf: Bilder in Archiven. Empfehlungen für den Umgang mit historischen Fotografien, in: Müller, Gisela (ed.), Ein Jahrhundert wird besichtigt, Koblenz 2004, S. 27-40, hier S. 27.
  • 2 Bundesarchivgesetz BArchG §3 Aufgaben des Bundesarchivs (alle Zugriffe zuletzt am 8.11.2021).
  • 3 Vgl. Hollmann, Michael: Das Bildarchiv des Bundesarchivs, in: (wie Anm.1), S. 8-26.
  • 4 Zu den Vorgaben militärischer Zensur vgl. Boll, Bernd, Das Bild als Waffe. Quellenkritische Anmerkungen zum Foto- und Filmmaterial der deutschen Propagandatruppen 1938-1945, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 11 (2006), S. 974-998, hier S. 985.
  • 5 Hollmann, Michael, in: (wie Anm. 1), S. 13.
  • 6 Buchmann, Wolf, in: (wie Anm. 1), S. 34.

Abstract

Zu den Beständen des deutschen Bundesarchivs gehören 13 Millionen Fotos, Plakate und Luftbilder, die von staatlichen Stellen stammen, aber auch von Bildagenturen, sowie von Privatpersonen aus (Foto-)Nachlässen. Darunter finden sich einige «manipulierte Bilder», wobei darunter Bildbearbeitungen (Bildausschnitte, Inszenierungen, Fotomontagen, Retuschen u.ä.) sowie Kontextverzerrungen (Inkongruenz von Bild und Text) verstanden wird. Dies wird schlaglichtartig an einigen, wenigen Bildbeispielen erläutert.