Der Wille allein zur Diversität reicht nicht
Ein Schlaglicht auf die Rolle von Bibliotheken und Archiven für die Gleichstellung.
Objektivität und Neutralität sind hochgehaltene Maximen der archivarischen und bibliothekarischen Arbeit. Sowohl die Archivarinnen und Archivare wie auch die Bibliothekare und Informationsfachleute1 der Schweiz haben sich einen beruflichen Ethikcodex gegeben, und beide Berufsgruppen betonen darin ihre Objektivität.
Bei den Archivarinnen und Archivaren heisst es im Kommentar zum ersten Grundsatz «Objektivität und Unparteilichkeit bestimmen das Mass der Fachlichkeit.» Die Bibliothekare und Informationsfachleute verpflichten sich unter Punkt 5 selbst dazu, «hinsichtlich Bestand, Benutzung und Dienstleistungsangeboten eine neutrale und unparteiische Haltung einzunehmen.»
Diese hehren und zweifellos angebrachten Bestrebungen täuschen jedoch darüber hinweg, dass die Natur von Archiven und Bibliotheken einen absolut neutralen Status per se ausschliesst. Bibliotheken sind nicht, waren nie, Orte der Neutralität. Bibliotheken sind politisch. Jede Entscheidung, von der Anschaffungsauswahl der Medien, zur Freihandaufstellung von der Zielgruppendefinition zur Art der Veranstaltungen, hat eine politische Konnotation. Vergleichbares lässt sich von staatlichen Archiven sagen. Bewertungsentscheide zum Beispiel mögen zwar von grösstmöglichem Objektivitätsstreben gezeichnet sein, absolute Objektivität gibt es aber nicht. Nicht zuletzt aus Praktikabilitätsgründen wird der Verzicht auf Objektvität oft bewusst in Kauf genommen, man denke zum Beispiel an nicht-repräsentative Samplingverfahren bei massenhaft gleichförmigen Einzelfallakten.
Genauso ist in staatlichen oder staatsnahen Institutionen wie Archiven und Bibliotheken die Entscheidung, wer in welcher Position angestellt ist, eine politische. Und sie ist nicht unschuldig.
Wie viele Menschen mit ausländischem Namen arbeiten in Ihrer Institution? Wie viele Berufskollegen mit körperlicher oder geistiger Beeinträchtigung haben Sie in Ihrem Karriereverlauf getroffen? Besonders offensichtlich wird die Problematik, wenn man die Geschlechterverteilung anschaut. Wie hoch ist der Anteil an weiblich besetzten Führungspositionen in Archiven? Nicht, dass es bei den Bibliotheken besser aussehen würde – im Gegenteil. Der bibliothekarische Beruf ist in der Schweiz ein weiblicher Beruf. Man schaue sich nur mal in den Bibliotheken um. Und dennoch: Je höher die Führungsebene, desto mehr ändert sich das Verhältnis. Man schaue sich nur mal die Organigramme an.
Ist diese Ungleichbehandlung die alleinige Verantwortlichkeit der Bibliotheken und Archive? Nein, diese Schuldzuweisung ist zu einfach, denn auch sie sind eingebettet in gesellschaftlichen Strukturen, die sie selber nur in begrenztem Masse beeinflussen können. Aber als staatlich getragene Institutionen mit gesellschaftlichem Auftrag, deren Auftreten und Erscheinung eben nicht apolitisch ist, hätten Archive und Bibliotheken eigentlich eine Vorbild- und Vorreiterrolle einzunehmen. Was die Diversität angeht, füllen sie diese Rolle aber nicht aus.
Dabei wäre der Wille durchaus vorhanden. So postuliert der «Ethikcodex der Bibliothekare und Informationsfachleute» (der in der deutschen Version unsensibel keine Rücksicht nimmt auf Befindlichkeiten bezüglichen sprachlichem und biologischem Geschlecht), dass ebendiese «jegliche Diskriminierung bei der Anstellung» ablehnen und sich dafür einsetzen, «dass Frauen und Männer gleichen Lohn für gleiche Arbeit erhalten». Leider ohne auszuführen, wie sie erreichen möchten, dass Frauen und Männer überhaupt die gleiche Arbeit ausüben.
In der Rubrik Schlaglicht drückt ein Redaktionsmitglied seine persönliche Meinung aus. Diese stimmt nicht notwendigerweise überein mit der offiziellen Haltung von arbido und den Positionen der Berufsverbände BIS und VSA.
Dans la rubrique Reflet un membre de la rédaction exprime son propre point de vue. Celui-ci ne coïncide pas nécessairement avec l’opinion officielle d’arbido ni avec les positions des associations AAS et BIS.
- 1 Ja, die Wahl der grammatikalischen Geschlechter ist ganz bewusst gewählt. Im Verlauf des Textes wird klar werden wieso.