Das Wunder von Bern
Die Fachzeitschrift arbido ist ein Ding der Unmöglichkeit, weil sie so viel Verschiedenes vereint. Und doch besteht sie schon seit dreissig Jahren. Ein Blick zurück in die zuweilen turbulente Geschichte der Zeitschrift, die ab 2017 in elektronischer Form erscheint.
Schon dreissig Jahre alt ist arbido, die 1986 gegründete Fachzeitschrift der Archivarinnen, Bibliothekare und Dokumentalisten (der Name ist ein Akronym, der sich aus den jeweils zwei ersten Buchstaben der drei Berufsgruppen zusammensetzt) – und die Zukunft steht offener vor ihr denn je. Ab 2017 wird arbido ausschliesslich als Web-Ausgabe erscheinen, welche die Interaktionsmöglichkeiten mit den Leserinnen und Lesern erhöht, die Printausgabe wird eingestellt.
Dass arbido überhaupt so alt geworden ist, ist nicht selbstverständlich, im Gegenteil. Mehr als einmal drohte der Publikation das Aus. Das ist nicht erstaunlich. arbido ist eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, weil die in Bern hergestellte Zeitschrift so viel Verschiedenes vereint: mindestens drei Landessprachen – Deutsch, Französisch, Italienisch, manchmal Englisch –, die Interessen mindestens dreier Berufsgruppen, die auch in sich je heterogen sind, und die journalistische Ausrichtung des bezahlten Chefredaktors mit der Ehrenamtlichkeit der Autorinnen und Autoren, von denen manche betont wissenschaftlich schreiben.
Das Jahr 2005 bedeutete für arbido eine ähnlich grosse Zäsur wie die nun anstehende Umstellung auf die Webausgabe. Man dachte ans Einstellen der zehnmal jährlich erscheinenden Zeitschrift. In einem Editorial schrieben die Präsidenten der drei Partnerverbände, sowohl die Zeitschrift als auch die Leserschaft sei überfordert von all den Themen und Ansprüchen, denen arbido gerecht werden müsse. Peter Wille, Direktor von Bibliomedia Schweiz und von 1999 bis 2005 Präsident des Schweizer Bibliotheksverbands (damals BBS), erinnert sich, dass die Zeitschrift zwar eine wichtige Brückenfunktion hatte, dass aber die Unzufriedenheit gross war über die Heterogenität der Themen und die Mehrsprachigkeit. Viele Leser hätten den Eindruck gehabt, mit ihren Interessen zu kurz zu kommen. Zudem seien die Kosten zu hoch gewesen.
Doch man raufte sich zusammen. 2006 kam der grosse Relaunch, der eine Abspeckung brachte: arbido erschien nun noch – wie heute – in vier Ausgaben pro Jahr, ergänzt um einen elektronischen, zehn bis zwölfmal jährlich verschickten Newsletter, der Kurzinformationen beinhaltete. Der Relaunch erfolgte unter Daniel Leutenegger, der von 1997 bis 2007 Chefredaktor war und heute als selbstständiger Journalist tätig ist. Seine Arbeit sei schwierig, reizvoll und sehr vielfältig gewesen, sagt er rückblickend. Er sei zwar kein Archiv- oder Bibliotheksfachmann, aber doch mit den einschlägigen Themen vertraut gewesen. Das grosse Thema jener Jahre sei bereits die Digitalisierung gewesen, ihre Entwicklung vom Exotischen zum mehr und mehr Alltäglichen.
Trotz Relaunch blieb die krisenhafte Unruhe um arbido Daniel Leuteneggers treue Begleiterin. Er erinnert sich, dass zwischen den Verbänden oft zu mehr oder weniger offen ausgetragene Animositäten bestanden. Mal hätten die Archivare eine eigene Publikation gewollt, mal hätten die Bibliothekare gefunden, sie müssten mehr Platz im Heft haben. Ein häufiger Vorwurf von allen Seiten lautete, sagt Leutenegger, die Zeitschrift sei zu journalistisch, doch allzu spezialisierte Texte habe er halt der äusserst vielfältigen Leserschaft nicht zumuten wollen. Und man habe leider für Bilder kein Budget gehabt.
Auf Daniel Leutenegger folgte Stéphane Gillioz. Der promovierte Philosoph und Journalist, der heute freiberuflich tätig ist, hatte das Amt des Chefredaktors bis 2015 inne. Auch er erwähnt Auseinandersetzungen, vor allem um die Mehrsprachigkeit der Zeitschrift. Er habe die Erhöhung der Anzahl französischsprachiger Texte durchgesetzt. Bei den Bibliothekaren habe zuweilen etwas Unruhe geherrscht. Sie seien sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen. Manchmal habe sich die Redaktion fast verwaist gefühlt.
Allerdings habe ihm die Arbeit mit den Spezialisten, auch wenn sie nicht immer einfach gewesen sei, grosse Freude bereitet, betont Stéphane Gillioz. Seine Hauptaufgabe habe darin bestanden, deren Feuer so zu zähmen, dass ihre Expertise einem möglichst grossen Leserkreis zugutegekommen sei. In der Redaktion habe er seine Rolle darin gesehen, die hochstehenden, aber zuweilen auch langwierigen Diskussionen zum richtigen Zeitpunkt zu beenden und die publizistische Richtung vorzugeben. Er habe immer wieder versucht, einen neutralen, objektiven Blick in die Zeitschrift einzubringen. Als Manko seiner Amtszeit stuft Stéphane Gillioz ein, dass es der Redaktion nicht gelungen sei, den Ausbau der Website voranzutreiben mit Kommentarfunktion, Blog und kontroversen Texten. Immerhin habe sie die PDFs aller arbido-Nummern ins Netz gestellt.
Zum definitiven Sprung ins digitale Zeitalter setzt die Zeitschrift nun unter der Dokumentalistin Sara Marty an, der Nachfolgerin von Stéphane Gillioz. Sie leitet die Redaktion seit 2015 und treibt den Ausbau der Online-Ausgabe zielstrebig voran. Der Entscheid dafür kam auch aufgrund einer Umfrage zustande, die eine Bachelorarbeit der Hochschule für Technik und Wirtschaft Chur 2014 unter den Mitgliedern des Bibliotheksverbands durchführte. Die Mehrheit sprach sich für eine digitale Version von arbido aus.
Bald also wird die Zeitschrift nur noch digital existieren – ausser man druckt die Texte aus. Grösser könnte der Kontrast nicht sein zu ihren Anfängen. Michel Gorin, heute an der Fachhochschule Westschweiz als Dozent für Informationswissenschaften tätig und von 1990 bis 1996 ehrenamtlicher Chefredaktor der Publikation, erzählt lachend, wie er jeweils die mit der Schreibmaschine getippten Artikel per Post dem Drucker in Bern schickte, der sie darauf im Satz retournierte, worauf er, der Redaktor, die letzten Korrekturen mit Schere, Papier und Leim vornahm. Erst dann seien die Texte in den Druck gegangen. Der heute steinzeitlich anmutende Arbeitsvorgang, wie Michel Gorin sagt, liegt gerade einmal zwanzig Jahre zurück.
Er habe eine relativ ruhige Phase der Zeitschrift erlebt, betont Michel Gorin, aber auch ihm sind zwei chronische Problemherde präsent. Erstens habe er permanent – eine Konstante in der Geschichte von arbido – mit der Sprachenfrage zu kämpfen gehabt. Manche Romands hätten zwar moniert, die Zeitschrift weise zu wenig französischsprachige Artikel auf, hätten aber kaum welche geschrieben. Zweitens sei die Zusammenarbeit mit den Archivaren nicht immer einfach gewesen, die zwar viele Artikel zu ihren Themen gewünscht, aber viel weniger bezahlt hätten als die Bibliothekare. Zudem seien ihre Texte manchmal sehr spezialisiert gewesen. Er habe oft ausgleichend wirken müssen.
In Michel Gorins Amtszeit fiel der Ausbau der 1986 gegründeten Zeitschrift, die aus dem Zusammenschluss der Mitteilungsblätter der Archivare, Bibliothekarinnen und Dokumentalisten entstand. Zunächst nämlich war arbido in zwei getrennten Ausgaben erschienen, einem gelben Bulletin für Verbandsinformationen und einer orangen Revue für Fachartikel, die mit Sondernummern ergänzt wurde. 1994 dann wurden die verschiedenen Ausgaben in einer Monatszeitschrift vereint.
Diese Vereinigung und Fokussierung wiederholt sich nun: Mit der Online-Ausgabe steht nun ein einziges Medium für die verschiedenen Themen, Artikel und Informationen von arbido und seinem Newsletter zur Verfügung. Zugleich aber soll e-arbido mit neuen Gefässen, etwa einer Diskussionsseite, seine Brückenfunktion zwischen den verschiedenen Berufen und Verbänden besser denn je erfüllen können.
Abstract
- Deutsch
Dreissig Jahre alt ist arbido, die 1986 gegründete Fachzeitschrift der Archivarinnen, Bibliothekare und Dokumentalisten – und die Zukunft steht offener vor ihr denn je. Ab 2017 wird arbido ausschliesslich als Web-Ausgabe erscheinen, welche die Interaktionsmöglichkeiten mit den Leserinnen und Lesern erhöhen soll. Die Zeitschrift hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich, die mehrere Krisen brachte, wie sich ehemalige Chefredaktoren und Verbandspräsidenten erinnern. Konstanten waren die Konflikte um die Sprachenfrage beziehungsweise darum, ob das Französische angemessen vertreten sei, sowie um den Spezialisierungsgrad der Artikel. arbido erfüllt eine wichtige, aber schwierige Brückenfunktion auch zwischen verschiedenen Berufsgruppen. Mit der neuen Online-Ausgabe soll die Zeitschrift diese Funktion besser denn je erfüllen können.