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2012/1 Fachportale für Kulturgut

«Sobriété vs. bling bling»: Wissenschaftsportale – Fallstricke, Chancen, Wünsche und Ausblick

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Sie möchten sich gerne ein Internet-Portal einrichten? Nichts leichter als das – lassen Sie sich von einer der anbietenden Internet-Firmen Ihre persönliche Start- seite ins Internet bauen und mit Nachrichten, Wetter, Suchmaschinen, Online- Tools, Link-Verzeichnis und Bannerwerbung ausstatten. Ein Thema ausser sich selbst brauchen Sie dafür nicht.

Es stimmt ja auch: Ein Internet-Portal an und für sich hat keinen Inhalt; es ist ein Anwendungssystem, das den Benutzenden durch die Integration von Anwendungen, Prozessen und Diensten mit einem zentralen Zugriff unterschiedlichste Funktionen zur Verfügung stellt, sei dies Personalisierung, Sicherheit, Navigation, Benutzerverwaltung sowie zu guter Letzt die Koordination von Suche und Präsentation von Informationen.

Im Bereich der historischen Wissenschaften, der öffentlichen Archive, Bibliotheken und Museen haben sich bereits einige Institutionen dieser Möglichkeiten bedient. Sie haben integrierte Zugriffs-, Informations- und Suchportale kreiert, die Angebote zu bestimmten Themenkreisen bündeln.

Im Folgenden möchte ich einige persönliche Anmerkungen zum Nutzen, zu den Fallstricken und Möglichkeiten der Portale, welche wissenschaftliche Inhalte vermitteln, anbringen. Ich erhebe damit keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder auf Ausgewogenheit; es sollen bloss Gedankenanstösse sein.

Viele der vorhandenen wissenschaftlich orientierten Internet-Portale sind mit dem Anspruch geschaffen worden, für ihre Zielgruppen als «single point of entry» zu dienen – als genereller erster Zugang zu einem bestimmten Themen- und Informationskreis. Die bisher gemachten Erfahrungen der Betreiber und Nutzer/innen scheinen jedoch eher ambivalent zu sein. Die erwarteten Anwählzahlen dieser meist mit viel finanziellem und personellem Aufwand geschaffenen wissenschaftlichen Portale bleiben oft hinter den hohen Erwartungen zurück und wiegen die getätigten Investitionen nicht auf. Weshalb?

Machen wir uns keine Illusionen. Erstens: Der erste Zugang der Benutzenden zum Web spielt sich über die gängigen Suchmaschinen wie Google ab. Diese sind heute der single point of entry. Hier einen Gegenentwurf präsentieren zu wollen, wäre ein Kampf gegen Windmühlen. Wessen Inhalte bereits unter den ersten zehn Hits erscheinen, wird kein weiteres Suchportal brauchen.

Zweitens läuft schon die Idee eines Portals – also einer Verengung des Eintritts – dem Wesen des Internets vollkommen zuwider; das Internet ist kein hierarchisches System, sondern geht in die Breite. Ursprünglich als Wissensspeicher angedacht, liegt sein Sinn nicht in der Kanalisierung, sondern in der Ausbreitung.

Es gibt auch weitere Gründe, warum es schwierig ist, ein erfolgreiches wissenschaftliches Portal aufzubauen. Zum einen sind die meisten dieser Portale eher Find- denn Suchportale. Durch die weitgefasste Thematik werden sie oft als Schaufenster benutzt, um in einem Bereich Neues zu entdecken. Für gezieltes Suchen und für den regelmässigen Gebrauch sind sie nicht geeignet. Sie sind wohl thematische Ideen- und Informationsspeicher, aber nie vollständig, und nie genau das, was man wirklich braucht. Jemand, der ein Buch sucht, wird direkt auf eine dafür passende Bibliotheksseite gehen. Er will ja spezifisch ein Buch und keine Archivalie oder ein Museumsexponat. Wer ein Archiv anwählen möchte, wird das tun, ohne zuerst auf ein Portal für historische Wissenschaften zurückzugreifen: Wer ein Archiv sucht, will ein Archiv finden.

Ein weiterer Grund für die enttäuschenden Erfahrungen ist möglicherweise auch die Gestaltung vieler Wissenschaftsportale, die oft visuell überladen und konfus daherkommen; es bricht über die Benutzenden oft eine regelrechte «pollution iconographique» herein, wie es Alexandre Moatti, der französische Spezialist für digitale Vermittlung, nenntAlexandre Moatti: Diffusion du patrimoine et de la culture scientifiques sur Internet: bilan prospectif de diverses expériences. Website des Vereins der Schweizerischen Archivarin- nen und Archivare (VSA), Version vom 1.12.2011, www.vsa-aas.org/.. Solche Seiten machen den Eindruck von beliebigen Mediatheken anstatt von konkreten Startpunkten für gezielte Suchvorgänge. Sie ziehen keine wirkliche Stammkundschaft an, sondern Zufallssurfer und gelegentliche Neugierige. Wissenschaftlich interessierte Internet-Besucher wollen wissen, wo sie sich gerade befinden und was es genau auf dieser Seite gibt. Dies macht auch den Erfolg von beispielsweise Google Books aus – allen ist klar, was es dort gibt, nämlich Bücher, und nichts als BücherEin schönes Schweizer Beispiel für eine klare und ruhig visualisierte Website mit guter Benutzerführung ist beispielsweise die Seite der Interessensgemeinschaft «Geschichte der Schweizer Arbeiterbewegung», www.arbeiterbewegung.ch.für eine Vereinfachung der Suchoptio- nen überlegen. Einfache, intelligente und intuitive Recherche-Tools sind hier gefragt. «Es tut mir ja leid, dass Sie mich durch die Suche führen müssen wie eine kranke Kuh!» – so wie einer meiner entnervten Kunden sollten keine Benutzer/innen, die an der Online-Suche scheitern, ihrem Archiv schreiben müssen.

Mein persönliches Fazit

In meinem beruflichen Alltag möchte ich mit visuell klaren Internet-Seiten arbeiten, welche mir als Arbeitshilfe direkt nützlich sind und wo ich den höchstmöglichen direkten Zugriff habe. Nur solche Einstiegsseiten können mir unmittelbar als Arbeitsinstrument dienen.

Es muss auf den ersten Blick klar sein, welchen thematischen Bereich ein Portal bewirtschaftet. Nur klar zugeordnete, eng definierte und fokussierte Suchportale haben eine Chance, regelmässig benutzt zu werden; alles andere kann ich über Google oder Wikipedia erledigen.

Handelt es sich um ein Suchportal, das gleichgeartete Angebote bündelt und auf verschiedene Datenbanken zugreift, so muss dieses Angebot möglichst einheitlich präsentiert werden; warum sonst sollte ich nicht direkt auf diese Website gehen?

Für Institutionen, die sich an einem professionellen Suchportal beteiligen, würde ich einerseits den damit verbundenen Arbeitsaufwand (Greift das Portal direkt auf meine Daten oder muss ich diese separat in eine weitere Datenbank einspeisen?), andererseits die finanzielle Beanspruchung (Haben die Betreibenden die Kosten im Griff ? Ist das Tool eine teure Eigenentwicklung oder von der Stange? Ist die Schnittstelle einfach zu handhaben, oder muss sie jedes Mal neu gebaut werden?) als prioritäre Faktoren nennen. Ebenso wichtig ist jedoch die Sinnfrage: Welches ist der Mehrwert einer wissenschaftlichen Portalwebsite gegenüber einem anderen, ähnlich gearteten Webzugang, der einer einzelnen Institution oder einer Google-Suche? Diese Frage stellen sich Internet-Benutzerinnen und -Benutzer, und diese Frage müssen sich auch Portalbetreiber stellen – jedenfalls solche, die an mehr als an einer Selbstdarstellung interessiert sind. 

Ich bin Archivarin und keine Prophetin. Trotzdem bin ich der Ansicht, dass die Zukunft denjenigen Portalen gehören wird, welche fokussiert sind und strukturierte, ruhige, werbefreie Seiten präsentieren, auf welchen Wissen interaktiv, aber mit klaren Regeln zugänglich, anreicher- und diskutierbar gemacht wird. Diese Interaktivität soll mit ausdrücklichen redaktionellen Regeln, nachvollziehbarer Autorschaft und Versionierung, möglichst offenen urheberrechtlichen Vorgaben (vgl. z.B. Creative Commons) und einfachem Zugang verbunden werden. So stelle ich mir das Web 3.0 vor. Und dieser Vorstellung kommt heute – ob Sie es wollen oder nicht – Wikipedia am Nächsten.

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Anna Pia Maissen

Präsidentin VSA 

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Les portails Internet ont pour but de grouper des informations. Les portails qui proposent des contenus scientifiques sont, en tant que single point of entry, censés servir un thème spécifique, mais n’y parviennent pas toujours, pour la simple raison qu’aujourd’hui – ne nous faisons pas d’illusion – le premier point d’accès est Google. Un portail, dans le sens strict du terme, contredit par ailleurs la nature même de l’Internet: au lieu d’aller en largeur, il réduit l’accès et est orienté vers la fourniture d’informations plutôt que vers la recherche, ce qui va donc à l’encontre des besoins de l’utilisateur. Il n’est pas rare non plus de constater que les portails scientifiques sont également graphiquement très chargés. Les personnes intéressées par les contenus scientifiques veulent toujours savoir où ils se trouvent exactement et qu’est-ce qui leur est offert. Ce qu’ils veulent, c’est donc de la sobriété et non pas des pages trop chargées. Il est important qu’ils puissent disposer d’options de recherche et d’outils conviviaux, simples et compréhensibles. Celui qui doit à chaque fois chercher pendant longtemps ne deviendra jamais le client fidèle d’un portail. Des portails de recherche bien définis et focalisés ont une chance d’être utilisés régulièrement; tout le reste peut être liquidé via Google ou Wikipedia. Les fournisseurs doivent se demander si le portail offre effectivement une plus-value ou si les dépenses consenties (en argent et en personnel) en valent vraiment la chandelle. Les portails bien structurés, qui suivent des règles claires au niveau rédactionnel et des droits d’auteur, ont les meilleures chances de s’imposer. Des exigences qui, il faut bien le reconnaître, sont toutes remplies aujourd’hui par Wikipedia.