Kommentare Abstract
2012/1 Fachportale für Kulturgut

Was heisst und zu welchem Ende nutzt man ein Archivportal?

Kommentare Abstract

In den letzten Monaten ist Bewegung in die Archivportal-Szene gekommen. Mehrere Projekte sind bereits produktiv, andere sind angekündigt oder als Prototyp bereits zu besichtigen. Gelegenheit also, sich kurz über Sinn und Unsinn, über Potenzial und Nutzen von Archivportalen Gedanken zu machen.

Die Portaldiskussion begann vor über zehn Jahren, als jede bessere Linksammlung und jede Startseite zu einem Portal erklärt wurde. Ursprünglich waren mit dem Begriff ‹Portal› Online-Dienste gemeint, die zu einem bestimmten Themenbereich verschiedenartige Dienstleistungen integrierten, also zum Beispiel eine Linksammlung, einen Newsletter, ein Forum etc. und so eine horizontale Erschliessung eines bestimmten Informationsraumes anboten. Subject Gateways hingegen erschlossen ein bestimmtes Thema in die Tiefe, also vertikal. Von Subject Gateways spricht zwar niemand mehr, auch diese Angebote heissen heute Portale, für die Geschichtswissenschaft etwa clio-online.de.

Welche Funktion erfüllen aber Archivportale? Sie bieten weder eine eigene Tiefenerschliessung von Material an, noch integrieren sie verschiedenartige Dienste zum Archivwesen. Vielmehr stellen sie eine Art Metakatalog dar, der die parallele Suche in verschiedenen Archivbeständen ermöglicht und übersichtlich zusammenführt. Vergleicht man die Situation mit den Bibliotheken, dann sind Archivportale das, was der Karlsruher Virtuelle Katalog (KVK) seit 1996 anbietet: eine Metasuchmaschine. Nicht mehr und nicht weniger.

Nun kann man sich fragen, wieso die Archive so viel länger gebraucht haben, um das, was Bibliotheken seit einer gefühlten Netz-Ewigkeit schon bieten, nachzubauen. Die Antwort ist klar: Nebst politischen Gründen – Archive sind primär staatliche Verwaltungseinheiten und erst in zweiter Linie Teil einer wissenschaftlichen oder kulturellen Infrastruktur – sind es völlig andere Datenkomplexitäten, die bei einer archivischen Metasuche zu bewältigen sind, als bei einer vergleichsweise übersichtlichen Datenstruktur der Bibliotheken.

So verwundert es auch nicht, dass sich zum Beispiel das schweizerische Projekt archivesonline.org erst auf wenige Archive beschränkt. Das Projekt ermöglicht eine Metasuche über zur Zeit elf Archive, davon neun Staatsarchive. Die Anfrage wird zentral auf dem Portal abgesetzt und an die ausgewählten Archive geschickt, das System generiert eine syndizierte, aber ungeordnete Liste. Beim Aufruf von Detailinformationen werden die Benutzenden schliesslich auf die jeweilige Suchoberfläche der einzelnen Archive umgeleitet – genau so, wie dies auch beim KVK realisiert ist.

Um die komplexe und oft von Archiv zu Archiv divergierende Datenstruktur für die Benutzenden auszublenden, bietet archivesonline.org lediglich eine Stichwortsuche im Volltext der Datenbanken an. Die syndizierte Anzeige hingegen ist bereits sehr informativ und zeigt neben dem besitzenden Archiv und der Signatur auch Titel, Zeitraum, Stufe und teilweise die Provenienz an. Dieses Angebot mag für eine schnelle Suche nach einem Thema hilfreich sein, für vertiefte Recherchen gleicht dieses Verfahren einem Stochern im Dunkeln.

Die einzelnen Archive werden dabei über das SRU-Protokoll (Search/Retrieve via URL) abgefragt, das eine schlanke Weiterentwicklung des von der Library of Congress verwalteten Z39.50-Protokolls darstellt. Die Schnittstelle von archivesonline.org ist gegenwärtig erst für zwei Softwarelösungen eingerichtet, für die beiden schweizerischen Lösungen CMISTAR und scope-Archiv nämlich. Voraussetzung für eine Integration in die Plattform ist zudem, dass die angeschlossenen Findmittel die Normen von ISAD(G) einhalten.

Einen «Quantensprung» für die Recherche, wie die Neue Zürcher Zeitung im Juli 2010 bei der Aufschaltung des neuen Portals schrieb, bedeutet archivesonline.org sicherlich nicht, verglichen mit anderen Portalen im Ausland spielt da die Schweiz noch eher in einer unteren Liga.

Wesentlich weiter geht etwa das niederländische Portal archieven.nl, das die Bestände von über 70 Archiven versammelt und über 50 Millionen Archivgutbeschreibungen zur Verfügung stellt. Das Angebot entspricht weitgehend einem Portal im engeren Wortsinn, denn es führt verschiedene Informationstypen aus dem niederländischen Archivbereich zusammen, vom Adressverzeichnis über Museumskollektionen bis zu Zeitungssammlungen.

Eines der ambitiösesten Projekte im Bereich der Archivportale ist zweifellos archivesportaleurope.eu, das Ende 2011 zumindest in einer Alphaversion online war. Es handelt sich um eine Pilotanwendung, die innerhalb des EU-Projektes APEnet (Archiv Portal Europa, apenet.eu) erstellt wird und gegenwärtig Nationalarchive oder nationale Archivverwaltungen aus einem Dutzend europäischen Staaten umfasst (ohne die Schweiz). Das Ziel ist, «in enger Kooperation mit [dem europäischen Bibliotheksportal, Anm. ph] Europeana einen gemeinsamen Zugangspunkt zu archivischen Beständen, Findmitteln und digitalen Sammlungen aus ganz Europa» aufzubauen. Noch sind die Suchergebnisse recht mager, doch schon die Alphaversion bietet die Möglichkeit, die Treffer noch im Portal im jeweiligen Strukturkontext anzeigen zu lassen oder nur nach Material mit Digitalisaten zu suchen.

Nur schon einige zufällige Abfragen zu schweizerischen Themen zeigen, dass eine Datenintergration auf europäischer Ebene machbar und auch sinnvoll ist. Der Frage, ob sich der Aufwand noch lohnt, Portale auf nationaler oder gar regionaler Ebene zu bauen, muss sich deshalb in Zukunft jedes Projekt stellen. Die zunehmende Verwendung von offenen, aber interoperablen Metadaten auch im Archivbereich wird in Zukunft wohl noch ganz neue Potenziale der Syndizierung und Distribution freilegen. Unter dem Stichwort Linked Open Data diskutieren Bibliotheken und andere Kulturinstitutionen bereits intensiv die nächste Generation von semantischen Verknüpfungen. Archive, die sich diesen Trends verschliessen oder die auf selbstgebaute Insellösungen mit proprietären Standards setzen, müssen mit hohen Kosten für die Nachrüstung ihrer elektronischen Findmittel und Kataloge rechnen.

Avatar

Peter Haber

Peter Haber ist Privatdozent für Allgemeine Geschichte der Neuzeit am Historischen Seminar der Universität Basel und Dozent am MAS Bibliotheks- und Informationswissenschaften der Universität Zürich sowie am MAS Archiv-, Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Universitäten Bern und Lausanne. Im Netz ist er unter http://hist.net/peter-haber zu finden.

Abstract

Se référant au dynamisme que connaît depuis quelque temps le monde des portails d’archives, l’auteur aborde la question du sens, des potentiels et de l’utilité de ces derniers. Pourquoi, se demande-t-il, a-t-il fallu si longtemps aux archives pour mettre en place ce que les bibliothèques offrent déjà? Parce que, notamment, «la complexité des données qu’il faut maîtriser pour une métarecherche archivistique n’est pas du tout la même que pour une structure de données spécifique aux bibliothèques, comparativement plus claire».

On comprend dès lors pourquoi le projet suisse archivesonline.org, par exemple, se limite à quelques fonds d’archives. Le portail hollandais archieven.nl va nettement plus loin, puisqu’il groupe plus de 70 archives et met à disposition plus de 50 millions d’entrées. On peut dès lors parler ici d’un portail dans le sens strict du terme.

Un des projets les plus ambitieux dans ce domaine est indubitablement le projet intitulé archivesportaleurope.eu, mis en ligne à la fin 2011 dans sa version Alpha. Preuve qu’une intégration des données au niveau européen est faisable et judicieuse.