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2010/4 ABD Stellen und Katastrophen

Durch Natur und Menschen bedingte Katastrophen – Auswirkungen auf Kulturgüter

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Täglich ereignen sich auf unserer Erde Katastrophen, die durch Naturgewalten, durch Fehler von Menschen oder durch technisch bedingte Mängel entstehen. Viele davon treten überraschend und ohne jede Vorwarnung ein. Solche Vor­fälle verunsichern wegen ihrer oft zerstö­rerischen Auswirkungen die betroffenen Menschen und die Verantwortlichen von Institutionen. Auch kulturelle Einrich­tungen bleiben vor derartigen Ereignis­sen nicht verschont. Was ist dagegen zu tun?

Im besten Fall existiert ein Katastrophenplan für Kulturgüter, der ein bestimmtes Vorgehen zur Bergung von betroffenem oder gefährdetem Kulturgut vorgibt. Wenn aber solche Instrumente fehlen, sollte man in einer ersten Chaosphase trotzdem Ruhe bewahren, um sich einen Überblick über das Schadensausmass verschaffen zu können. In jedem Fall stellen sich folgende Fragen:

  • Was ist geschehen? 
  • Welches Kulturgut ist direkt betroffen? Können verlässliche Informationen beschafft werden, ohne Personen dabei zu gefährden (Besteht Einsturzgefahr von Gebäuden usw.)?
  • Was muss unternommen werden, um die Schadensausbreitung einzudämmen?
  • Welche Vorbereitungen sind unmittelbar zu treffen?
  • Welche Materialien müssen hinsichtlich ihrer Verletzlichkeit und ihrer zu erwartenden Reaktion auf jeweilige Schadenseinwirkungen vorrangig behandelt werden?
  • Bei welchen Materialien kann man allenfalls noch mit einer Handlung zuwarten?
  • Wer steht zur Verfügung, um die oben aufgeführten Fragen abzuklären?
  • Welche Ressourcen stehen der betroffenen kulturellen Institution zur Bergung und Sicherung von gefährdetem Kulturgut zur Verfügung (Personal/Material/Notdepots, Notlager)?
  • Wo kann Hilfe von aussen angefordert werden (bei anderen kulturellen Institutionen, bei Partnern wie Feuerwehr, Polizei, Spezialisten oder Hilfskräften)?
  • Wo liegen entsprechende Kompetenzen, und wer ist für die zu bewilligenden finanziellen Mittel verantwortlich?
  •  ....

Solche Fragen dienen dazu, sich rasch möglichst viele Informationen beschaffen zu können, um das Vorgehen bei einer Bergung und den dafür zu ergreifenden Schutzmassnahmen festzulegen. Wichtig ist dabei der Einbezug aller wesentlichen Entscheidungsträger, um die Organisation für die Arbeiten vor Ort zweckmässig aufbauen zu können. Die zur Verfügung stehenden Mittel müssen dort eingesetzt werden, wo die Verlustgefahr durch enge Zeitfenster am grössten ist. Nur so können grössere Schäden am Kulturgut verhindert werden. Zudem ist gewährleistet, dass die Einsatzkräfte keinen zusätzlichen Gefahren ausgesetzt werden.

Unterschiedliche Dimensionen

Ein Schadenereignis kann lokal beschränkt sein oder ein grösseres Ausmass annehmen. Für kulturelle Organisationen ergeben sich daraus folgende Szenarien:

– Fall 1: Eine kulturelle Institution ist alleine betroffen. In der Regel entstehen Schäden durch einen Brand, eine Explosion, einen hausinternen Wasserleitungsbruch oder einen Teileinsturz wegen Bauarbeiten in der Nähe. In solchen Situationen kann man bereits kurz nach der Alarmauslösung für einen längeren Einsatz auf die Unterstützung von Partnerorganisationen des Bevölkerungsschutzes zählen, sei es auf die Feuerwehr, die Polizei oder allenfalls auf Personal des örtlichen Zivilschutzes.

 – Fall 2: Eine ganze Region ist betroffen. In der Regel ist eine solche Lage durch ein Hochwasser, ein Erdbeben oder ein Flächenbrand bedingt. Bei diesen Ereignissen sind die Einsatzdienste bis hin zum Zivilschutz und zur Armee zunächst damit beschäftigt, sich in erster Linie um die gefährdeten Menschen zu kümmern. Hier sind ihre Kräfte und Mittel oft gebunden, weil sie zuerst ihre eigenen Standorte schützen oder gar verlegen müssen. Bei einer solchen Lage ist eine kulturelle Organisation unter Umständen während Tagen auf sich alleine angewiesen, bis Hilfe von Dritten kommt.

Für beide Fälle gilt jedoch, dass man sowohl mit eigenen wie mit fremden Fachleuten zusammenarbeiten muss. Somit kommt den kantonalen Führungsstäben eine zentrale Rolle bei der Koordination und der Mittelzuteilung zu. Dabei sind folgende Tatsachen zu beachten:

  • Personen ausserhalb der Institution haben in der Regel keine Detailkenntnisse über den Schadensort und das Schadensgut.

  • Die Einsatzdienste sind zwar für rasche Einsätze zur Bergung von Menschen, nicht aber im Umgang mit Kulturgut geschult.

  • Die Gefahr von Diebstahl und Vandalismus ist während der gesamten Schadens-/Einsatzdauer sehr gross! Mit entsprechenden Schutzvorkehrungen kann wirkungsvoll dagegen vorgegangen werden. Solche Überlegungen gehören deshalb mit in eine Katastrophenplanung.

  • Die Zeitfenster für die fristgerechte Bergung und Stabilisierung von Kulturgut sind abhängig vom betroffenen Material. Es gilt grundsätzlich die Regel: Je rascher die Rettung von Kulturgut durchgeführt werden kann, desto besser! Ansonsten steigen Bergungs- und allfällig notwendig gewordene, spätere Restaurierungskosten wegen Sekundärschäden wie Pilzbefall oder anderen Gefährdungen (Rostbefall) um ein Mehrfaches an. Z.B. kann es bei nassen Büchern bereits innerhalb von 24 bis 72 Stunden zu einem mikrobiologischen Wachstum kommenVgl.: Andrea Giovannini, «De Tutela Librorum. Die Erhaltung von Büchern und Archivalien», S. 531, Baden, 2010..

  • Ein umfassender Einsatzplan für die Rettungsorganisationen sowie Übungen sind deshalb unabdingbar für alle Institutionen, welche Kulturgüter besitzen. 

Alle Personen, die im Umfeld von Kulturgut tätig sind, müssen sich bewusst sein, dass die Bewältigung solcher allzeit möglicher Szenarien meist aus einer Abfolge von Aktivitäten besteht. Diese müssen unter erschwerten Bedingungen durchgeführt werden und können wegen ihrer Komplexität und ihres Ausmasses kaum je real im Massstab 1:1 geübt werden. «Umso wichtiger ist deshalb die Verfügbarkeit von Inventaren, Katastrophen- und Einsatzplänen. Diese drei Elemente bilden sozusagen die Bausteine für einen zielgerichteten Einsatz im Notfall. Sie entscheiden letztlich darüber, ob in einer zu bewältigenden Krisensituation gefährdetes Kulturgut überhaupt gerettet, geschützt und erhalten werden kann oder aber für immer verloren geht.»Hans Laupper, Politik und Praxis der Bewahrung und Erhaltung, in: «Archivpraxis in der Schweiz», S. 372, Baden, 2007. 

Vorsorgliche Massnahmen

In jeder kulturellen Institution darf nicht nur der Erhalt, sondern muss auch der Schutz des Kulturguts fester Bestandteil des Auftrages sein. Trotz knapper Geldmittel – heute leider überall eine Tatsache – sollte man bedenken, dass die Folgekosten eines Schadenereignisses um ein Mehrfaches ansteigen können, wenn nicht richtig oder eben zu spät reagiert wird. Eine zentrale Rolle bei solchen Überlegungen kommt dabei allen Mitarbeitenden im Kulturgüterbereich zu. In erster Linie sollten deshalb Verantwortliche für den Katastrophenfall mit entsprechenden Kompetenzen ausgestattet werden. Zudem könnten in den Bereichen Schulung, Informationsaustausch sowie Überwachung von Schutzmassnahmen mit den nachstehenden Vorschlägen weitere Verbesserungen erreicht werden:

  • Jährlich sind im Rahmen der Weiterbildung interne Schulungen durchzuführen.
  • Die Zusammenarbeit der Kulturgüterschutzverantwortlichen mit den Partnerorganisationen im Bevölkerungsschutz sowie kulturellen Institutionen ist regelmässig zu schulen.
  • Interne Planungen müssen einmal jährlich auf ihre Zweckmässigkeit hin überprüft werden.
  • Ein regelmässiger Informationsaustausch mit Partnern ist zu fördern. 
  • Änderungen in der Organisation, im Bereich Personal und bezüglich Gebäudestruktur (Depotstandorte mit Inhalt) sind internen sowie den zuständigen externen Stellen umgehend zu kommunizieren.
  • Kontakte und Informationsaustausch mit der im kantonalen Führungsstab für den Kulturgüterschutz zuständigen Fachperson sind zu pflegen. 
  • Restaurierungs-, Sanierungs- oder Um- und Erweiterungsarbeiten im Kulturgüterschutzbereich müssen eng begleitet werden. Gerade Personen mit einem geschulten Auge müssen in kritischen Phasen (z.B. bei Wasseranschlüssen, Heizungsleitungen, Strom- und anderen Leitungen, Spengler- und Schweissarbeiten ) ein spezielles Augenmerk auf die Vorgänge und Massnahmen am Arbeitsplatz richten.
  • Meteowarnungen müssen ohne Zeitverzug bei den zuständigen Pikettpersonen der kulturellen Institutionen eintreffen. Diese wiederum haben die Aufgabe, die Verantwortlichen sowie das Personal darüber zu informieren und interne Anordnungen zu erteilen.

Präventive Massnahmen

Eine grosse Bedeutung, gerade bei wichtigen Sammlungsbeständen, kommt den baulichen Massnahmen zu. Überall, wo sich Erweiterungs- oder Neubauten für die Unterbringung von Kulturgut aufdrängen, sind die Standorte auf allfällige Risiken hin zu überprüfen. Heute liefern Gefahrenkarten wertvolle Hinweise auf Naturgefahren; diese Unterlagen gilt es zum Beispiel bei der Wahl eines Standortes für einen Schutzraum zu berücksichtigen.

Schlussfolgerung

Der Schlüssel für eine zielgerichtete Bewältigung eines Schadenereignisses liegt bei der kulturellen Institution.

Sie muss:

  • die Gefahren und Risiken innerhalb und ausserhalb des Hauses erfassen und entsprechend gewichten;

  • erkannte Gefahren und Risiken im Hinblick auf deren mögliche Reduzierung oder Minimierung überprüfen (materielle oder bauliche, organisatorische, personelle Massnahmen oder gar eine Verlegung von Standorten);

  • eine auf die Verantwortlichen und Mitarbeitenden der Institution zugeschnittene Aus- und Weiterbildung vorsehen;

  • die verschiedenen Partner(Fachleute, Einsatzdienste, Versicherungen usw.) bei allen Schritten mit einbeziehen.

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Rino Büchel

Chef Kulturgüterschutz, Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BABS)

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Pas un jour ne passe sans qu’une catastrophe ait lieu sur terre. Ces catastrophes sont soit naturelles, soit dues à une erreur humaine, soit dues à un incident technique. Elles arrivent la plupart du temps par surprise. Les institutions culturelles ne sont pas épar­gnées par ces événements. Que faire contre ces catastrophes? L’auteur nous invite à nous poser une série de questions afin d’évaluer les mesures à prendre et d’établir un plan de sauvetage. Il expose deux cas de figure: une catastrophe touche une institution seule ou une région entière. Il dresse finalement une liste de mesures de prévention à prendre pour réagir au mieux.

Non passa giorno senza che delle catastrofi colpiscano il nostro pianeta. Siano esse naturali, provocate dall’uomo, o conseguenza di un incidente tecnico, ciò che le acco­muna è quasi sempre il fatto di accadere senza preavviso. Dato che anche gli edifici delle istituzioni culturali possono essere toccati da tali incidenti, l’autore invita a porsi una serie determinata di domande al fine di poter valutare quali siano le misure neces­sarie per far fronte a queste situazioni e stabilire così in anticipo un piano di salvataggio adeguato. Dopo aver illustrato le due eventualità possibili (la catastrofe colpisce solo l’edificio dell’istituzione oppure l’intera regione) presenta infine una lista di misure preventive sempre applicabili.