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2008/4 Informationswissenschaft: Die Instrumente der Zukunft

E-Books: Totengräber des Buchhandels oder kapitale Chance?

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Das vorübergehend etwas in der Versenkung verschwundene E-Book ist seit der Einführung von Amazons «Kindle» wieder zurück im Geschäft. Es hat sich dergestalt in den Vordergrund gedrängt, dass es an der Frankfurter Buchmesse 2008 zum Spezialthema erhoben wurde. Ein Überblick über Chancen und Gefahren der alten, neuen Technologie – und augenzwinkernde Ausblicke in künftige Brave New Worlds.

Ein Begriffsklärungsversuch

Unter dem Begriff «E-Book» läuft heute vieles, allzu vieles. Als E-Book werden z.B. virtuelle Bücher bezeichnet, die zwar keine Bücher sind, aber vorgeben, solche zu sein. Das heisst: Sie imitieren ein echtes Buch in Aussehen, Schrift und Seiteneinteilung. Wenn man ein virtuelles Buch ausdruckt, sieht es aus wie das echte, nur dass es eben nicht gebunden ist und keinen Umschlag aufweist, der diesen Namen verdienen würde. Der «Mehrwert» des virtuellen Buchs besteht darin, dass es verschiedene Vorzüge des Computers nutzt, die das – schreckliche Wort – papierbasierte Buch nicht hat: Volltextsuche, Hypertext, multimediale Elemente. Es drängt sich allerdings hier schnell die Frage auf, wozu eine Volltextsuche in einem «Ulysses» gut sein soll und ob Hypertext in «Buddenbrooks» das Lektüreerlebnis, «den natürlichen Fluss der Sprache», wie das Miguel de Cervantes, der Autor der beiden Quijote-Romane genannt hat, den «Flow» nicht doch eher störe denn befördere.

Brave New World I

Im November 2009 präsentierte Steve Jobs anlässlich der Apple-Entwicklerkonferenz im Moscone-Center in San Francisco zur Überraschung aller Anwesenden einen Apple-E-Book-Reader.

Der neue Reader mit Namen i-Joyce überzeugte durch eine vergleichsweise brillante Auflösung, Animationen wie Blätterumkehren und Papierrascheln, Abstract-Funktion, die Möglichkeit, Notizen und Bookmarks anzubringen, Vernetzung mit Wikipedia und eine nahtlose Integration in die Apple-Software. Bücher können im iTunes-Store heruntergeladen werden, ähnlich wie Musik und kleine Applikationen für das iPhone. Kurze Zeit später liess Apple eine Version für das iPhone folgen, die durch eine gute Lesbarkeit überraschte. Die anfänglich hohen Verkaufszahlen (v.a. in den USA) flachten allerdings bereits nach einem Jahr merklich ab.

Brave New World?

«Yes, the guys from Apple, they can! As for me, I must say: The bill of rights goes far beyond paper and/or digital ink. It’s part of the people, it’s in their hearts, no matter on which surface it was originally written.» [Barack Obama, 44. Präsident der USA]

An der Buchmesse Frankfurt 2008, die das E-Book zu einem Spezialthema erkor (siehe weiter unten), zeigte sich eine Tendenz zur Verengung des Begriffs «E-Book»: Es scheint sich herauszukristallisieren, dass unter E-book künftig eine umfassende Technologie verstanden wird, die speziell aufbereitete Bücher, einen separaten Book-Reader und eine spezielle Vertriebsorganisation (über E-Book-Portale, vergleichbar mit dem, was iTunes für die Musik, Ebay für Auktionen und Amazon für «herkömmliche» Bücher darstellt) umfasst.

Kurze Geschichte des E-Book im Zeitraffer

In den Anfängen der Computertechno- logie stand die Frage, wie man Papierdokumente lesbar auf den Bildschirm bringt, klar im Hintergrund. Im Vordergrund standen Abarbeiten von Routinen und Berechnungen, d.h. eher die Verarbeitung von Zahlen als die Darstellung von Buchstaben. Die Hypertext Markup Language (HTML) des World Wide Webs ermöglichte zwar die Darstellung von integralen Texten, der «Mehrwert» Hypertext wurde aber zunächst nur im jeweiligen Dokument genutzt.

Die Einführung des plattformübergreifenden Portable Document Formats (PDF) (durch Adobe Systems) bei gleichzeitigem und kostenlosem Zur-Verfügung-Stellen der dazu benötigten Software (Acrobat Reader) ermöglichte erstmals die Darstellung von Büchern – und zwar so, als wären sie auf den Bildschirm kopiert worden.

Bereits 1971 wurde das Project Gutenberg (nicht zu verwechseln mit dem Gutenberg-Projekt, cf. Arbido 2/2008, Ss. 19–23) ins Leben gerufen, welches darauf abzielte, Literatur im WWW zugänglich zu machen. Die Texte waren zunächst allerdings nicht weiter aufbereitet und nutzten die Strukturierungs- und Verweismöglichkeiten der Internettechnologie kaum.

Brave New World II

2011 brachte Google den «Gookle». Fast alle Vorzüge des i-Joyce waren im Gookle enthalten – nur beim Design konnte der neue Reader nicht ganz mit der inzwischen dritten Version von Apples Reader konkurrenzieren. Dafür mit dem Preis: Google ging für knapp einen Sechstel des Preises, den Apple für seinen Reader festgelegt hatte, über den Ladentisch; Schulen und Universitäten wurden sogar gratis versorgt. Da Google mit zahlreichen Verlagen und auch Regierungen Vereinbarungen über die Digitalisierung von Archivbeständen getroffen hatte, konnte die Firma mit einem viel grösseren Angebot an Büchern, Zeitschriften und Magazinen aufwarten als Apple. Nachdem bekannt wurde, dass Google die Kauf- und Lesegewohnheiten seiner Kundinnen und Kunden für gutes Geld an angeschlossene Verlage und Partner weitergab, brachen die Verkaufszahlen richtiggehend ein. Wesentlichen Anteil am Rückgang der Verkäufe hatte auch der «Freekle» aus der Linux-/Open-source-Gemeinde, ein aufs Wesentlichste abgespeckter Reader, der von den Herstellern zum Selbstkostenpreis abgegeben wurde.

Brave New World?

Ich bin in den Büchern, die ich gelesen habe, zu Hause. Sie umgeben mich. Wenn ich in meiner Bibliothek stehe, umgibt mich mein Lese-Leben. Wenn ich einen Buchrücken sehe, fällt mir das Leseerlebnis dazu ein. Dieses Buch habe ich in Patmos gelesen, am Tisch neben mir sass der Pope, der mich in ein Gespräch über den Film «Zorbas the Greek» verwickelte (ich legte das Buch natürlich weg), jenes Buch hat Kaffeeflecken aus einer Tasse, die ich in Triest getrunken und vor lauter Lesen ausgeschüttet habe. Bücher riechen, Bücher sind farbig, Bücher gehören in eine Biografie, Bücher leben. Ich bin überzeugt, dass man nicht lesen kann ohne Sentimentalität, ohne Verbundenheit, manchmal sogar Liebschaft mit dem einzelnen Buch.

Wenn ich einen E-Book-Reader ansehe, regt sich nichts in mir. Ich sehe ein kaltes Stück Technik. Ich assoziiere nichts. Der Reader hat mein Lese-Leben verschluckt und hat dem Buch seine Individualität geraubt. Für mich aber ist jedes Buch einzigartig.

Peter Bichsel, Kolumne vom 11. April 2011 (Schweizer Illustrierte)

Die Gründung von Amazon revolutionierte zwar die Logistik, die Firma setzte aber zunächst voll und ausschliesslich auf das gedruckte Buch.

«Buch am Bildschirm» hiess noch über längere Zeit nichts anderes, als scannen – OCR (Texterkennungssoftware) – korrigieren – in einem gängigen Format (meistens PDF) zur Verfü- gung stellen. Als Lesegeräte kamen – neben dem Computer selbst – höchstens PDA (persönliche Assistenten, Taschenformat-Computer) in Frage. Radikaler gesagt: Der «E-Faktor» beschränkte sich auf die Portabilität.

Ungelöst blieb weiterhin das weite Feld der Urheberrechte. Während das Project Gutenberg ausschliesslich Bücher ins Netz stellte, die «rechtefrei» waren (d.h. deren Urheberrechte abgelaufen waren), gab es reihum Verleger, die Texte ohne Rücksicht auf das Copyright portierbar machten.

Ca. ab dem Jahr 2000 experimentierten v.a. amerikanische Verlage mit neuen Angeboten. Im Zentrum standen dabei Begleit-CD zu gedruckten Büchern, die entweder das ganze Buch auch auf der CD enthielten und/oder Zusatzinformationen zur Verfügung stellten.

Den «Durchbruch» schaffte das E-Book erst, als a) digitale Bücher von der Industrie als Markt entdeckt wurden und b) digitale Formate – wie z.B. Plucker – und entsprechende Lesegeräte entwickelt wurden, welche die Vorzüge der Computertechnologie bewusst nutzten und nicht einfach nur «digitale Kopien» zur Verfügung stellten. Wichtiges Kriterium für die Verbreitung des E-Books, das diesen Namen nicht nur gestohlen hat, sondern ihn auch wirklich verdient, war die Lesbarkeit (Stichwort digitales Papier, Bildschirmauflösung der Reader).

Brave New World III

2011 übertraf die Anzahl weltweit verkaufter E-Books erstmals die Anzahl verkaufter Papierbücher.

Brave New World?

Im selben Jahr wurde vom PEN-Club die Arbeitsgruppe «Gefahren und Möglichkeiten des E-Books» gebildet. Im Schlussbericht (2012) regte die AG an, das E-book «nicht einfach als gottgegeben hinzunehmen», und wies auf erhebliche Gefahren und auf vergessen gegangene Qualitäten des Papiers hin.

«Wir vertreten die Überzeugung, dass das Lesen auf Papier gleichsam genetisch verankert ist. Menschen und Papier, das ist eine Geschichte, die Sinn macht und für die Menschen von Vorteil ist. Lesen am Bildschirm wird nie dasselbe sein wie Lesen auf Papier.»

(Aus dem Schlussbericht der Arbeitsgruppe «Gefahren und Möglichkeiten des E-Books», PEN-Club 2012)

2007 waren gegen 30% der Fachbücher (in erster Linie aus den Bereichen Wirtschaft, Recht EDV, Medizin/Pflege/Gesundheit) weltweit auch als E-Book greifbar. Wie die Frankfurter Buchmesse 2008 gezeigt hat, ist die Tendenz stark steigend, die Zuwachsraten sind z.T. exponentiell.

Arbeitskreis Elektronisches Publizieren (AKEP)

Der Arbeitskreis Elektronisches Publizieren (AKEP) beschäftigtsichseitseinerGründung 1992 mit den Auswirkungen der digitalen Medien auf die Rolle der Verlage in der Wertschöpfungskette und die daraus resultierenden wirtschaftlichen und technischen Herausforderungen. Der AKEP verleiht jedes Jahr den AKEP Award, einen Innovationspreis für herausragende Leistungen, Projekte und Produkte im Bereich elektronische Medien Ziel des Preises ist es, beispielhafte, innovative elektronische Entwicklungen in deutschen Verlagen bekannt zu machen, zu nominieren und zu prämieren und somit das elektronische Publizieren in den Verlagen zu stimulieren. Der AKEP organisiert zudem das «Innovationsforum», eine Veranstaltungsreihe, die über für die Verlagsbranche relevante technologische Entwicklungen informiert und diskutiert. Weiter bietet der AKEP Fortbildungen, Seminare und Workshops zum Thema Electronic Publishing. http://www.boersenverein.de/de... 

Frankfurter Buchmesse = Frankfurter E-Book-Messe?

Digitale Produkte waren an der Frank- furter Buchmesse allgegenwärtig. Anlässlich der diesjährigen Angabe bildeten digitale Produkte Gegenstand von gesonderten Ausstellungen. Die Sonderausstellung «Digital Market Place» widmete sich der Digitalisierung, dem Vertrieb und der Nutzung von Fachinformationen. Der Digital Market Place wurde auf Initiative der Frankfurter Buchmesse in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis Elektronisches Publizieren (AKEP) des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels initiiert. 

Der Gemeinschaftsstand Books & Bytes stellte neue (digitale) Formen der Vermittlung von Belletristik ins Zentrum. Am Stand wurden Fragen rund um neue Berufsbilder und neue Strategien im Digitalisierungsprozess entlang der gesamten Produktions-, Vertriebs- und Verwertungskette diskutiert, vom Autor bis zum Leser, von der Herstellung bis zum Web 2.0. 

Typisch für die Wahrnehmung und Wirkung des E-Books war das extrem zwiespältige Verhältnis zum Medium, das auch an der Frankfurter Buchmesse zwischen Optimismus/Goldgräberstimmung und Verunsicherung sämtliche Nuancen aufwies. 

Ein geheimer Star hatte sich allerdings bei allen, ob Goldgräber oder Berufspessimist, geschickt eingeschlichen resp. aufgedrängt: der 300 g leichte Reader Kindle von Amazon. 

Kind of Kindle 

This is the future of book reading. It will be everywhere. Michael Lewis, Autor von Moneyball und Liar’s Poker. 

Eine an der Frankfurter Buchmesse von Amazon organisierte Veranstaltung hiess sinnigerweise «Vom Physischen zum Digitalen». Und sinnigerweise war Jeff Bezos, der Gründer von Amazon, der mit dem Umbau der Buch-Vertriebskanäle schon einmal eine gute (Geschäfts-)Nase beweisen hatte, physisch denn auch nicht anwesend. Das war aber auch gar nicht nötig: Der Kindle hätte ihm ohnehin die Show gestohlen, und es steht zu vermuten, dass das Bezos nur recht war. Der Reader hat die Grösse und das Gewicht eines Taschenbuchs und vom Design her den Charme eines Toasters aus den 50er-Jahren. Das wird sich aber sicher und schnell noch ändern, auch die Beschränkung des Kindle-Speichers auf ca. 200 Bücher – was für Bibliophile kein Angebot ist. Der Kindle kostet 359 Dollar und kann, wo denn sonst, bei Amazon erstanden werden. Ach so, ja: to kindle heisst so viel wie «inspirieren, anregen, entflammen». Das ist auch die Idee, die Amazon mit dem Ge- rät verfolgt (so suggeriert es wenigstens die Marketingabteilung von Amazon): Das Gerät soll zum Lesen verleiten. Die Bücher, mit denen der Kindle gefüttert werden kann, können ebenfalls bei ..., eben, erstanden werden. Und nur dort. Wer also auf eine Alternative umsteigen will (z.B. auf den Reader von Sony), muss seine ganze Bibliothek neu einkaufen – die beiden Geräte resp. deren Software-Unterbau sind nicht kompatibel. Das war dann mit den Billy-Regalen von Ikea doch einfacher ...

Brave New World IV

2014 revolutionierte Matsushita Electronics die E-Book-Welt mit einer neuartigen elektronischen Tinte (i-Sumo), die imstande war, die Schrift aus einem papierbasierten Buch täuschend echt und scharf nachzubilden. Elektronische Bücher sahen jetzt aus wie Papierbücher. Die «Tinte» konnte plattformübergreifend eingesetzt werden.

Während zwei grosse deutsche Verlagshäuser, die den Trend völlig verpasst hatten, Konkurs anmelden mussten, gab es immer mehr Nischen-Player, die auf die schon fast Retrocharme aufweisenden Papierbücher setzten und dort mit speziellen Angeboten durch- aus ihr Auskommen fanden.

Das Gerät hat durchaus Verführungscharakter und ist auf dem besten Weg, ein Selbstläufer zu werden. Wesentlich zur Attraktivität des Kindle trägt der Preis für die Bücher bei, die Amazon zum Reader liefert: Der Preis liegt durchgängig unter dem eines herkömmlichen Buches (in Schnitt 15% tiefer). Dieser Hinweis gilt für die USA, in Westeuropa werden diesbezüglich noch rechtliche Aspekte berücksichtigt werden müssen.

Neben Büchern bietet Amazon auch Zeitungen und Magazine, Newsreaders und Blogs zum Download und Lesen auf dem Kindle an. Unter den Zeitungen figurieren so renommierte Blätter wie NY Times, Financial Times, Wall Street Journal, Chicago Tribune, Washington Post, Los Angeles Times und San Francisco Chronicle. Auf Deutsch ist bislang einzig die Frankfurter Allgemeine (immerhin!) zu haben.

Am Kindle könnte sich tatsächlich etwas entzünden: Nämlich die Diskussion, was E-Books vermögen (und was nicht) und welchen Nutzen sie haben (und welchen Schaden sie womöglich anrichten). Der frisch gekürte Nobelpreisträger für Wirtschaft, Paul Krugman, reiste mit einem Kindle aus den USA zur Buchmesse an – fast ein wenig als Prototyp eines E-Book-Readers: Man kann sich vorstellen, dass sich der Kindle als Begleiter von Forschern, Vielreisenden und zu einem späteren Zeitpunkt als Hilfsmittel in Schule und Unterricht etablieren wird. Man hat Hintergrundartikel, Standardwerke der Forschung, die aktuelle Zeitung und für das eigene Forschungs- oder Interessegebiet relevante Blogs immer und überall «auf Mann» (oder auf Frau). Und für die halbe Stunde zwischen Hotelbar und Hotelbett hat man das «gute alte Buch» im Gepäck.

«Web 2.0», d.h. die Bezeichnung für interaktives, kollaboratives Internet, ist eine Art Musterbegriff für die wild wuchernde und kaum koordinierte Bezeichnungswut rund um digitale Buch- und Presseerzeugnisse geworden – während die einen Web 2.0 behandeln, als wäre es ein seit 1000 Jahren anerkanntes mathematisches Axiom, halten andere es für ein Gerücht. Tim Berners-Lee: «I think Web 2.0 is of course a piece of jargon, nobody knows what it means» (Meiner Mei- nung nach ist Web 2.0 ein Begriff, der sich zwar eingebürgert hat, von dem aber niemand so richtig weiss, was er im Kern bedeutet). Für einen nachvollziehbaren Überblick zum Phänomen Web 2.0, s. den informativen und auf zahlreiche Quellen verweisenden Artikel in Wikipedia http://de.wikipedia.org/wiki/Web_2.0

libreka!

Die Digitalisierung gewinnt in der Buchbranche an Dynamik. Immer mehr Inhalte sind im Internet verfügbar, gleichzeitig suchen auch die Nutzer immer häufiger im Netz nach Inhalten.

Das Projekt libreka! reagiert auf den Digitalisierungstrend in der Buchbranche. Erklärte Absicht ist es, «eine gemeinsame und zukunftsorientierte Lösung für den Verkauf und die Präsentation von Buchtiteln in Internet zu schaffen». Auch libreka! geht auf eine Initiative des Börsenvereins zurück. Mit libreka! wurde dieses Projekt umgesetzt und eine umfassende Plattform bereitgestellt. Verlage liefern libreka! ihre digitalen Buchinhalte und definieren, welchen Text sie für wen sichtbar und abrufbar machen wollen. Die Datenhoheit und die Rechte bleiben dabei beim Verlag. Verlagen, die an der Branchenplattform libreka! teilnehmen, wird ein Scan-Service für die Digitalisierung ihrer Buchtitel angeboten. www.libreka.de/

Wohin des Wegs?

Das zurzeit vorherrschende Gefühl in Bezug auf das E-Book ist Unsicherheit. Verlage befürchten, mit einem Ausbau des E-Book-Angebots das herkömmliche Buchangebot zu kannibalisieren, und sie schrecken vor den logistischen Problemen zurück, die eine entsprechende Vetriebsorganisation mit sich bringen würde. Andererseits sind die Verlage im Zugzwang: Amazon und andere Anbieter werden ihr Angebot ausbauen, und die Zahlen werden ihnen – zunächst – Recht geben. Neue Gadgets wie der Kindle weisen auch ein Selbstläuferpotenzial auf, das es nicht zu unterschätzen gilt. Jede und jeder wird ihn haben wollen, ungeachtet der Frage, ob sie/er ihn auch tatsächlich braucht und ob er die individuellen Bedürfnisse auch wirklich abdeckt.

Brave New World V

2016 veröffentlichte Amazon den ersten Roman, der ausschliesslich für den Kindle III geschrieben worden und auf Papier nicht greifbar war. Der Roman des Pulitzerpreisträgers Geoffrey Fowler trug den – bezeichnenden – Titel «Underneath the surface lies the treasure» und spielte mit mehreren möglichen Stories, die ineinander verwoben waren und je nach Hypertext, den man ansteuerte, einen anderen Plot aufwiesen. Um den Vertrieb des Buches weiter anzukurbeln, wurde auch eine werbefinanzierte Version angeboten. Fürs erste beschränkte sich Amazon bei der Werbung auf «seriöse» Anbieter wie Verlagshäuser, IT-Unternehmen und öV. Die New Yorker Subway warb beispiels- weise mit dem Slogan «ride & read – underneath the surface of the City». Amazon selbst bewarb den Titel mit dem Slogan For your Kindle only.

Völlig ungeklärt ist auch, wie viel «Teufel» im E-Book steckt. Der Umgang mit und das Handling von Papierbüchern kann auf eine lange Geschichte und viel Erfahrung zurückblicken. Lesen, wie wir es heute kennen (oder besser: wie wir es bis vor Kurzem gekannt haben), folgt gewissen Gesetzmässigkeiten. Gerade Literatur gründet auf der Erfahrung der Handschrift, auf der Gewohnheit des Von-links-nach-rechts-von-oben-nach-unten-von-vorne-nach-hinten. Andere Sprachen kennen und nutzen ein anderes System, und es ist nicht von der Hand zu weisen, dass in diesen anderen Sprachen auch andere Bücher geschrieben werden und dass von Hand zu schreiben eine andere Arbeit ist als in die Tastatur zu greifen (und auch andere Arbeitsresultate zeitigtDer emeritierte Zürcher Komparatist Hans-Jost Frey hat zu diesem Thema erhellende und kluge Sätze geschrieben, cf. Lesen und Schreiben, Urs Engeler Verlag (Basel/Weil am Rhein 2003).). Schwer nachzuvollziehen tatsächlich auch, wie viel Individualität ein Papierbuch aufweist und wie stark sich diese Individualität auf das Lesen auswirkt. Lesen ist immer auch kontextabhängig, und ein E-Book reduziert diesen Kontext eindeutig, speckt ihn gleichsam auf Bits und Bytes ab.

Das Argument «it kindles», d.h. E-Books würden eine leseungewohnte, vor flackernden Bildschirmen aufgewachsene Generation wieder zum Lesen verleiten, wäre ebenfalls einer näheren Prüfung zu unterziehen. Man kann lesen und lesen, man kann sich beim Lesen auf ein Abenteuer begeben (dessen Ausgang unklar ist), oder man kann einen Kindle besitzen, weil alle anderen auch einen besitzen (das Lesen wäre dann gleichsam ein Nebenprodukt, ein Seiteneffekt, der anfällt). Und man kann in die Tiefe lesen oder überfliegen.

Das ist ein sehr weites Feld, und vielleicht, bestimmt würde es zur Klärung und zum Abbau der Verunsicherungen beitragen, wenn sich die Wissenschaft dieser Fragen, die in den Augen der grossen, geschäftigen Welt nur Nischenfragen sind, annehmen würde – und womöglich herausfinden würde, dass die zentralen Fragen von der Peripherie her gestellt werden.

Brave New World VI

2018 überraschte die kleine Schweizer Firma E-feuille (ein Spinoff der EPFL Lausanne) mit einem «blätterbaren» E-Book. Die Ingenieure, ursprünglich mit der Entwicklung neuer Segelstoffe für die «Alinghi VI» beschäftigt (Stoffe oder Oberfläche aus neuartigen Kunststoffen, die Windströmungen und weitere Informationen «vor Ort» an einen zentralen Computer liefern sollten, d.h. die das Beste aus Informatik und Verbundmaterialforschung zusammenführen sollten), hatten, gleichsam als Nebenprodukt, eine Textur entwickelt, die dünn und faltbar war und darüber hinaus elektronische Tinte (i-Sumo der dritten Generation) darstellen konnte. Der Slogan der von null auf hundert durchstartenden Firma lautete denn auch «the haptics are back!».

E-feuille ging eine Kooperation mit Givaudan ein, um zu überprüfen, inwieweit es möglich sei, Lesen mit Duftstoffen zu kombinieren und z.B. den Pulverdampf der Kanonen in «Krieg und Frieden» als Leser zu riechen oder das Fell von Shir Khan im «Dschungelbuch».

Brave New World?

Robert Walser parfümiert? «Ulysses» als Schnüffelparcours? Denen hats ins Gehirn geschneit! [Anton Concella, Robert-Walser-Stiftung Biel]

Was in zehn Jahren sein wird, kann niemand sagen. Annehmen kann man, dass sich Mischformen herausbilden werden. Das Buch hat einen speziellen Stellenwert, und Papier ist vielleicht resistenter als Vinyl. Am ehesten leuchtet das Szenario «sowohl-als auch» ein: Das Papierbuch wird Bestand haben, daneben wird es digitale Formen der Textvermittlung geben. 

Die E-Books sind womöglich nur eine Durchgangsstation, wenn man so will eine Fussnote der Kulturgeschichte. Dass sich die Literatur vollständig aus dem Papier verabschiedet, ist höchst unwahrscheinlich: Papier und Literatur unterhalten eine Liebesbeziehung, die schon mehrere 1000 Jahre dauert (Papyrus mitberechnet). Wer da dazwischenfunken will, muss schon sehr, sehr attraktiv, klug, charmant und überzeugend sein. 

Brave New World?

2018 ergab eine von der Präsidentin der USA höchstpersönlich in Auftrag gegebene Studie (national survey on the effects of e-book-reading on the standard of knowledge), dass seit der Einführung der E-Books generell weniger und darüber hinaus noch unsorgfältiger gelesen wurde und dass das Allgemeinwissen in den sog. Kulturfächern z.T. drastisch geschrumpft war.

Ein letzter Gedanke: Die «Beweislastumkehr», die sich in den letzten Jahren im Literaturbetrieb eingeschlichen hat (Autoren reichen ihre Manuskripte/Typoskripte nicht mehr zur Prüfung beim Verlag ein, sondern beauftragen den Verlag direkt, das Buch zu drucken gegen entsprechendes Honorar), wird sich akzentuieren. Jeder kann alles veröffentlichen, solange er bezahlt. Mehrheiten und Mehrheitsfähigkeit von Literatur werden zu einem matchentscheidenden Faktor werden. Verlage werden zu Konzernen, die zuallererst an ihren Umsatzzahlen und zuallerletzt an ihren Verdiensten für die Literaturgeschichte gemessen werden (Ausnahmen bestätigen die Regel). Würde «Amerika» von Kafka überhaupt noch einen Verleger finden? Wohl eher nicht: Auf Papier passte und passt Karl Rossmann gut, für einen Kindle wirkt er irgendwie zu sperrig. Finden Sie nicht auch?

Kasten EOD

EOD – E-Books on demand

Viele wertvolle Bücher und oft auch Unikate (vor allem ältere Jahrgänge ab dem 16. bis Anfang 20. Jahrhundert) können nicht ausgeliehen, sondern nur im Archiv/der Bibliothek eingesehen werden, die sie aufbewahrt. Das im Oktober 2006 lancierte EU-Projekt E-Books on demand (EOD) nimmt sich genau dieses Problems an. Bei der Lancierung waren 13 Bibliotheken aus 8 europäischen Län- dern beteiligt. Ziel von EOD ist es, Leserinnen und Lesern in nicht allzu ferner Zukunft einen speziellen Service anbieten zu können: Über die herkömmlichen Kanäle (Bibliothekskataloge) sollen auch seltene Bücher und Unikate bestellt werden können. Auf Anfrage (on demand) sollen die Bücher in digitalisierter Form über das EOD-Network an den Anfrageort «geschickt» werden. Die so digitalisierten Bücher sollen in die Kataloge der beteiligten Bibliotheken aufgenommen und über das Internet bestellt werden können. Bibliotheken werden aufgefordert, sich mit dem Projektkoordinator in Verbindung zu setzen und ebenfalls ein EOD-Angebot aufzubauen und damit Mitglied des EOD-Networks zu werden.

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Rolf Hubler

Journalist (Biel-Bienne)

Abstract

Le livre virtuel, «e-book», imite la forme d’un véritable livre papier, quant à la présentation, l’écriture et la division des pages. Imprimé, il sort comme un vrai livre, mais sans reliure. Il ne mérite donc pas le nom de «livre» au sens classique. S’il possède des qualités que le livre papier ne possède pas (recherche du texte, lien hypertexte, éléments multimédias), et si grâce à la technologie HTML et au format PDF il est accessible de manière simple à l’écran, il faut remarquer que cette forme de publication permet à chacun d’éditer ce qu’il veut, les éditeurs se contentant d’un rôle d’intermédiaire et perdant leur droit de regard sur ce qui s’écrit. De plus, la présentation du «livre à l’écran» est devenue une mode: le dernier salon du livre de Francfort lui a même consacré une place spéciale. Cette nouvelle technologie a engendré de nouvelles formations professionnelles, ainsi qu’une nouvelle façon de concevoir la fabrication du livre, de l’auteur au lecteur en passant par l’éditeur web.

En 2007, 30% des ouvrages spécialisés étaient diffusés sous cette forme. L’auteur se demande toutefois si une telle technologie n’engendre pas une lecture superficielle, ne fait pas de la lecture un simple «à-côté». Il conteste également l’argument selon lequel l’«e-book» favoriserait l’apprentissage et le goût de lire. Pour lui, lire se fait toujours dans un contexte, ce qui disparaît avec l’«e-book». L’individualité du livre papier, qui en fait l’unicité, la valeur, disparaît avec la forme informatique. Personne ne sait ce qui va se passer d’ici dix ans, mais il demeure certain que le livre imprimé gardera toute sa signification, et on peut penser voir se côtoyer les deux formes d’écriture. Il est en tout cas fort improbable que la littérature se dissocie complètement du papier: le papier et la littérature entretiennent une relation d’amour qui dure depuis plusieurs milliers d’années (papyrus compris).