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2008/3 Informationseinrichtungen und Sport

Zu den kulturhistorischen Aufgaben des Sportmuseums Schweiz

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Sport ist ein wichtiger Teil der heutigen Alltagskultur. Das Bewusstsein für die Bedeutung von Sportkulturgütern ist aber sowohl in der Welt des Sports als auch bei kulturellen Institutionen nur bedingt vorhanden. Das Sportmuseum Schweiz setzt hier als nationales Kompe­tenzzentrum für Sportkultur an.

Sport ist ein Zeitphänomen. Zum einen spielt Zeit für viele Sportarten eine wichtige strukturierende Funktion, insbesondere als Einheit zur Leistungsmessung und Begrenzung der Dauer einer sportlichen Betätigung. Zum anderen kann man aber auch sagen, der Sport sei, in seinen heutigen populären Ausprägungen entstanden im 19. und 20. Jahrhundert, ein «Zeitgeistphänomen». Der «Zeitgeist», ein oft pejorativ verwendeter Begriff, ist ein höchst interessantes historisches Untersuchungsobjekt. Denn er gehört jeweils zum Gesamtbild dessen, was wir als eine historische Epoche auszeichnen. So prägt der Zeitgeist beispielsweise die Struktur und Inhalte von Medien, denn er beeinflusst das Aktualitäteninteresse. Oder er beeinflusst die Wirtschaft, da er das Konsuminteresse lenkt. Und der Zeitgeist prägt Identitäten, seien sie ihm gegenüber ablehnender oder bejahender Art.

Sport ist Alltagskultur

Heute gibt es am Sport kaum ein Vorbeikommen. Als Teil der Körperkultur nimmt er in unserer Gesellschaft eine zentrale, auch stark politisch beeinflusste, Rolle ein. Das reicht vom Mutter-Kind-Turnen über das Schulturnen und die militärische Eignungsprüfung bis hin zur Altersgymnastik. Und er begleitet uns, oft ganz nebenbei, durch den Tag – von den Morgennachrichten am Radio über die TV-Sportübertragung am Abend bis hin zum wöchentlichen Besuch des Fitnesscenters. Unsere (Lebens-)Zeit ist durchdrungen von Sport und Arbeit am Körper. Darum ist Sport kultur- und sozialhistorisch von grosser Bedeutung. Er ist keine Parallelwelt, sondern tief mit unseren Körperpraxen, mit Wertvorstellungen oder Konsumverhalten verwoben. Kurz, er gehört zu unserem Alltag und durchdringt viele persönliche und kollektive Identitäten.

Angesichts der vielen brisanten Fragen, die heute im Zusammenhang mit dem Sport aufgeworfen werden, gewinnt die kulturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Wesen des Sports zusehends an Bedeutung. Doping, (sexuelle) Gewalt oder politische Konflikte, die rund um sportliche Grossanlässe ausgetragen werden, werfen Fragen auf. Kulturwissenschaftliche Analysen tragen der gesellschaftlichen Bedeutung des Sports Rechnung und gehen auf den heutigen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Kontext ein.

Hohe Beweglichkeit: die Vermittlung

Die seit 2005 betriebene inhaltliche und konzeptuelle Neuausrichtung des Sportmuseums Schweiz führt darum hin zu einer stärkeren Gewichtung von sozial- und kulturhistorischen Aspekten des Sports. Es hat sich als einzige Institution der Schweiz explizit diesen oft vernachlässigten Dimensionen des Sports verschrieben. Die Neuausrichtung und eine teils erschwerte Kommunikationssituation – zwischen einer Institution, die den kulturellen Wert des Sports unterstreicht, und einer Öffentlichkeit, die den Sport meist auf «TV-Couch» und «Joggen im Wald» reduziert – brachten ein neues Verständnis von Vermittlungstätigkeit hervor: das mobile Museum.

Um die Öffentlichkeit erreichen zu können, geht das Museum dahin, wo sportinteressierte Menschen zu erwarten sind. Sei es die Einweihung der neuen Geschäftsstelle eines Sportverbandes, die Tour de Suisse oder die Fussball-Europameisterschaft 2008. 

Mussten früher die Besucherinnen und Besucher ihren Weg ins Museum finden, geht das Museum nun zu ihnen hin. Mit seinem flexiblen Vermittlungskonzept erreicht das Sportmuseum Schweiz jeweils vor Ort ein viel breiteres Publikum als jemals zuvor. Dank dieser Präsenz werden aktuelle (Sport-)Events ergänzt durch reflektierende und zugleich unterhaltsame kulturelle Angebote.

Ein einzigartiges Kompetenzzentrum

Die Räumlichkeiten des Sportmuseums Schweiz selber funktionieren dank dieser Mobilität weniger als Ausstellungsort, sondern als Kompetenzzentrum für Sportgeschichte und Sportkultur. Immer öfter wird das Museum von Vereinen und Verbänden als Anlaufstelle genutzt, sei es für die Sicherung eines Vereinsarchives oder für die Konzipierung und Umsetzung eines Vermittlungsprojektes. Daraus resultieren Publikationen (beispielsweise zum 100-Jahr-Jubiläum von Swiss Ice Hockey, 2008) oder ganze neue Archive und Museen (beispielsweise das Museum des FC Basel 1893, 2008).

Dennoch bleibt die Situation so, dass in weiten Teilen der verantwortlichen Kreise – also Klub- und Verbandsleitungen – das Bewusstsein für die eigene Geschichte, und damit für die kulturelle Ausstrahlungskraft und historische Relevanz, wenig ausgeprägt ist. Dabei ist die Pflege und Förderung eines historischen Bewusstseins im Sport ein meist übersehenes Erfolgsrezept und hat nicht zuletzt ein grosses integratives und wirtschaftliches Potenzial. Oft ist schlicht das Wissen über die eigene Geschichte nicht vorhanden, und wichtige Kulturgüter und Dokumente, Grundlagen einer kulturhistorischen Auseinandersetzung mit der eigenen Tradition, sind vernichtet. Das Sportmuseum Schweiz versucht hier mit gezielter Öffentlichkeitsarbeit sensibilisierend zu wirken. Denn wenn der neue Präsident eines Klubs «aufräumt» und die alten Schachteln und Fotos im Keller entsorgen lässt, oder wenn die ehemalige Spitzensportlerin im Alter ihre Zeitungsartikelsammlung zu Altpapier bündelt, gehen einzigartige Erinnerungen und wertvolle historische Informationen verloren.

Sport und Erinnerung

Dem «Erinnern» und den «Erinnerungen», wichtige Bestandteile individueller wie kollektiver Sinnstiftung, widmet sich das Sportmuseum Schweiz ganz besonders. Was sich etwa im Projekt www.1924.ch, einer Onlinesammlung der Fussballerinnerungen in der Schweizer Bevölkerung, niederschlug. Da uns Sport durch die Zeit unseres Lebens begleitet, wimmelt es von Erinnerungen und Prägungen durch den Sport: Ein persönlicher Beitrag in einem Entscheidungsspiel für den Ligaerhalt, die Sportübertragungen am TV im Kreis der Familie, ein blamabler Sturz in der Jugendriege etc. Bei solchen «Kleinigkeiten» setzt die grosse emotionale Bedeutung des Sports für die einzelnen Menschen an, hier beginnt die Erinnerungskultur des Sports und begründet Traditionen.

Kollektive Erinnerungen verleihen dem Sport tiefere Bedeutungen, tragen ihn über das Momentane hinaus. Das «Wunder von Bern» an der Fussball-WM 1954 bescherte den Deutschen einen Weltmeistertitel, der von vielen noch heute als Zeichen der Rückkehr in die Staatengemeinschaft gesehen wird. Oder um beim Fussball zu bleiben: Die Ausstrahlungskraft des FC Basel trägt zu einer regionalen Identität der Nordwestschweiz bei, die ansonsten politisch und konfessionell stark zersplittert ist. Trotz – oder vielleicht gerade wegen – solch evidenter Beispiele wird die Pflege und Förderung einer wissenschaftlich begleiteten Erinnerungskultur des Sports in der Schweiz nach wie vor stiefmütterlich behandelt.

Wichtige Basisarbeit unterfinanziert

Das mangelnde Bewusstsein für sporthistorische Kulturgüter führte lange dazu, dass selbst die Sammlung des Sportmuseums Schweiz vernachlässigt wurde. Dabei verfügt das Sportmuseum Schweiz über eine der bedeutendsten sportspezifischen Objekt- und Fotosammlungen Europas, wenn nicht gar der Welt. Sie zählt rund 130000 Objekte. Entstanden ist sie 1945 aus mehreren Privatsammlungen, darunter die Sportliteratursammlung von Turninspektor August Frei, die Fahrrädersammlung aus dem Nachlass von Oskar Stähelin und die Sammlung von Sportgeräten und Bilddokumenten des Zürcher Arztes Gustav Adolf Wehrli.

Heute zeichnen sich neue Lösungen ab. So wird die Bedeutung der Sammlung und der Arbeit des Sportmuseums Schweiz zunehmend anerkannt, sowohl von der Politik wie auch von nationalen Sportverbänden. Die Schaffung eines Begehlagers, in dem die Sammlung fachgerecht gelagert und für die Öffentlichkeit zugänglich ist, ist ein Projekt, das sich zu konkretisieren beginnt. Investitionen in diese einzigartige Sammlung aber sind dringend notwendig, um längerfristig eine qualitativ hochstehende Basis für Forschungs- und Vermittlungsprojekte gewährleisten zu können. Das Sportmuseum Schweiz arbeitet an der Rettung und Sicherung der Artefakte und Erinnerungen des Schweizer Sports, doch kann es seinen kulturhistorischen Auftrag nur erfüllen, wenn die Sammlung über die Zeit – und den Zeitgeist hinaus – gesichert werden kann.

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Dominique Rudin

Historiker, Sportmuseum Schweiz

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Le Musée Suisse du Sport à Bâle aide à prendre conscience de la place du sport et du patrimoine sportif dans la vie quotidienne. Il est le centre national de compétence en ce domaine. Le sport fait partie de l’esprit du temps et sa place n’est plus à démontrer dans l’ensemble de la vie sociale et économique contemporaine. Partie de la culture quotidienne, le sport embrasse tous les secteurs et âges de la vie, de la petite enfance avec la gymnastique pour mère et enfant à la gymnastique pour aînés en passant par les exercices de la vie militaire. Il nous accompagne tout au long de la journée, des nouvelles du matin aux retransmissions télévisées du soir. Le sport soulève aussi des questions essentielles sur la société, notamment lors de dérives telles que dopage, abus sexuels, etc. Des analyses de l’importance du sport sur le contexte économique, politique et social doivent permettre d’éclairer ce phénomène.

La nouvelle orientation du Musée suisse du sport tente, depuis 2005, de mieux montrer le poids des aspects sociaux et culturels du sport, en proposant une nouvelle compréhension de la capacité de communiquer entre les institutions officielles qui promeuvent le sport et la population qui, très souvent, regarde le sport à la TV ou fait son jogging quotidien. C’est le concept de musée mobile. Pour toucher le public, le musée se rend là où des gens sont intéressés par le sport, que ce soit à l’inauguration d’une nouvelle installation sportive, au Tour de Suisse ou à l’Euro 2008. C’est le musée qui va à la rencontre des gens. Son concept de communication flexible lui permet d’atteindre un large public en Suisse. Il fonctionne plus comme centre de compétence pour l’histoire et la culture du sport que comme lieu d’exposition. Il est de plus en plus exploité par les associations sportives pour conserver des archives ou concevoir et mettre en œuvre un projet de com­ munication.

Le Musée suisse du sport veut aussi sensibiliser les différents groupes et associations sportifs de l’importance de leur propre patrimoine et histoire. Le projet www.1924.ch présente en ligne des footballeurs suisses ainsi que des événements sportifs individuels et collectifs qui font date et qui méritent d’être gardés en mémoire. Le Musée suisse du sport dispose d’une des plus importantes collections d’objets et de photos de sport en Europe, voire dans le monde. Il compte environ 130 000 objets. Ce sont souvent des collections privées qui ont alimenté son fonds. Aujourd’hui, le musée est reconnu et conçoit des projets à long terme pour la recherche et la communication dans le domaine du sport.