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2007/1 I+D-Fachleute – kompetent in der Gegenwart, unverzichtbar in der Zukunft

Erst- oder Zweitberuf? Zur Arbeit in den Informationsberufen

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Die Informationsberufe sind in den letzten Jahrzehnten zu einem stark fragmentierten Berufsfeld geworden. Sowohl in der öffentlichen als auch in der betrieblichen Informationsversorgung unterscheiden sich der Werdegang der MitarbeiterInnen sowie deren Fachwissen. Für Bibliotheken, Medien und öffentliche Archive ist das Fach- mit dem Sachwissen weitgehend gleichzusetzen. Anders bei der betrieblichen Informationsversorgung, wo Branchenkenntnisse eine gewichtige Rolle spielen und der I+D-Fachkompetenz eine andere Stellung zukommt. Der nachfolgende Beitrag beleuchtet diesen Aspekt anhand der Geschichte der Schweizerischen Vereinigung für Dokumentation (SVD-ASD).

Ein Blick ins Archiv der Schweizerischen Vereinigung für Dokumentation (SVD-ASD) zeigt, dass es im ersten Jahrzehnt nach dem Ersten Weltkrieg vor allem hoch spezialisierte Fachkräfte im prosperierenden Umfeld der wissenschaftlichen Forschung waren, die sich den Fragen der Dokumentation widmeten. Fragen einer effizienten Informationsvermittlung standen im Vordergrund.

In dieser Zeit kann noch nicht von Erst- oder Zweitberuf gesprochen werden, denn die Erschliessung, Auswertung und der Nachweis wissenschaftlich-technischer Information erfolgte überwiegend in Bibliotheken und durch Bibliothekare. Meilensteine waren die am 1. Februar 1929 erfolgte Gründung der Kommission für Literaturnachweis sowie die Gründung des Betriebswirtschaftlichen Instituts der ETH Zürich im Mai 1929.

Die in der betrieblichen Informationsversorgung beschäftigten Fachleute waren als Erstberufler mehr oder weniger zufällig an diese Dokumentationsstellen gelangt und arbeiteten dort ohne genügende fachtechnische Aus- und Weiterbildung.

Die Firmenleitungen erkannten die Probleme: So sollten einerseits die internen «Information Workers» geschult werden und anderseits sollte durch ein Networking die Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit der Dokumentationsstellen verbessert werden.

Mit diesen Forderungen traten sie an die Leitung der ETH heran, fanden dort aber vorerst kein Gehör. Mit vereinten Kräften setzten sie sich schliesslich durch. Zwei Ergebnisse illustrieren dies: Zum einen das 1938 von der Schweizerischen Landesbibliothek erstmals veröffentlichte Verzeichnis der Schweizerischen Literatur-Nachweisstellen, welches unter verschiedenen Bezeichnungen bis vor wenigen Jahren weitergeführt wurde. Zum andern die Umwandlung der 1929 entstandenen Kommission für Literaturnachweis in die Schweizerische Vereinigung für Dokumentation (SVD).

Die Gründung der SVD

Zur Gründungsversammlung vom 27. Januar 1939 an der ETH hatten sich mehr als 30 Teilnehmer angemeldet, wobei folgende Firmen und Institu- tionen persönlich vertreten waren: die Georg Fischer AG, Schaffhausen; die Aluminium AG, Neuhausen; die Brown & Bovery & Cie, Baden; die Eidgenössische Technische Hochschule ETH, Zürich; die von Rollschen Eisenwerke, Gerlafingen; die Eidgenössische Oberpostdirektion, Bern; die Eidgenössische Obertelegraphendirektion, Bern; die Generaldirektion der Schweizerischen Bundesbahnen, Bern; der Elektrotechnische Verein, Zürich; die Landesbibliothek, Bern; die Normen-Vereinigung, Zürich; die Oerlikon Bührle, Zürich; die Zentralbibliothek, Zürich.

Wenige Monate nach der Gründung brach der Zweite Weltkrieg aus, der ganz andere Sorgen mit sich brachte. Erst um 1950 konnte mit der Aufbauarbeit begonnen werden. Die Situation der Vorkriegszeit war unverändert geblieben: Die auf die Forschung in Industrie und Gewerbe ausgerichtete Gruppe der gut qualifizierten Fachleute war mit einer kleinen Gruppe von Dokumentalisten konfrontiert, welche teilweise die Fachsprache nicht beherrschte und unter einem hohen Erwartungsdruck stand.

Für den seit Jahren sehr engagierten Bibliothekar der Schweizerischen Bundesbahnen, Ernst Mathys, war dies eine willkommene Herausforderung. Er hatte bei der Gründung der SVD das permanente Sekretariat übernommen und beantwortete als Literaturnachweisstelle eine von Jahr zu Jahr wachsende Anzahl von Anfragen. Aus seiner Arbeit kannte er somit die Bedürfnisse der Informationskonsumenten wie auch die Defizite der Dokumentalisten in den Betrieben. Zusammen mit seinen Kollegen erarbeitete er daher erste Aus- und Weiterbildungsveranstaltungen.

Internationale Kontakte hatten den schweizerischen Unternehmen den wichtigen Stellenwert der Informationsverarbeitung aufgezeigt. Das fol- gende Stelleninserat aus dem Jahr 1960 illustriert, wie nun neben die durch branchenspezifische Kenntnisse qualifizierten Mitarbeiter auch Erstberufler aus der I+D-Welt treten konnten: 

Dem Betrieb war offensichtlich klar, dass der gesuchte «Information Officer» ausser der erwarteten Fach- und Sozialkompetenz auch den Betrieb kennen musste. Die Vermittlung der Branchenkompetenzen erfolgte auf verschiedene Weise:

  • durch die Teilnahme an Veranstaltungen: den internationalen Kongressen, den eigenen Jahresversammlungen und vor allem an den regelmässig angebotenen Besichtigungen;

  • durch die gemeinsame Arbeit von Erst- und Zweitberuflern in Entwicklungsprojekten, welche oft im Rahmen von SVD-eigenen Arbeitsausschüssen erfolgte;

  • durch systematische fachtechnische Weiterbildung, zuerst in einzelnen Veranstaltungen und seit 1959 in eigenen Kursen in Muttenz und später dann in Rheinfelden. 

Eigene Aus- und Weiterbildung

Diese Kurse des SVD wurden durch ein 160 Seiten umfassendes Lehrmittel unterstützt, das von Jahr zu Jahr den neuen Bedürfnissen angepasst wurde. Die Kurse wurden jedes Jahr neu vorbereitet, und es erfolgten dabei Korrekturen an der Auswahl des Stoffes und der DozentInnen; es erfolgte also eine permanente Qualitätskontrolle, welche die Qualifikationen der Teilnehmer und Dozenten umfasste. Man kann aus diesem Grunde von einer eigentlichen rollenden Bildungsplanung mit sehr kurzen Wegen und einer institutionalisierten Qualitätssicherung sprechen.

Die Firmen der Privatwirtschaft schätzten diese «Rheinfelder Kurse», denn die MitarbeiterInnen, für den spezifischen Kompetenzerwerb extra freigestellt, konnten die neu erworbenen Fähigkeiten sofort im Betrieb einsetzen. Die Teilnahme an den Kursen erfolgte sowohl für die Dozenten als auch die Teilnehmenden überwiegend während der Arbeitszeit.

Neue Rahmenbedingungen

Ende der 1970-er Jahre kam Bewegung in dieses Bildungsgefüge, als die Forderung nach einer Diplomausbildung in die Diskussion eingebracht wurde. Die mehr und mehr diversifizierte Arbeit in den verschiedenen Wirtschaftszweigen, die unterschiedliche Arbeitsorganisation in den unterschiedlich grossen Betrieben, aber auch der erkennbare Mangel an verfügbaren Dozenten verlangten nach einer neuen Form der Aus- und Weiterbildung.

Der damalige Präsident François Köver unterschied zwei Ausbildungsniveaus für Erstberufler: den Dokumentalisten mit Hochschul- oder Universitätsabschluss und den Dokumentations-Assistenten. Als ersten Punkt einer solchen Ausbildung hielt er «eine Fachrichtung, in der der Beruf ausgeübt wird» fest. Dabei wurde der Dokumentalist klar auf der strategischen Ebene arbeitend gesehen, während der Assistent eher für operative Aufgaben vorgesehen war.

Die Arbeitsgruppe «Dokumentalisten-Diplom» erhielt anlässlich der Generalversammlung von 1982 den Auftrag, Argumente zusammenzutragen und zu gewichten. Der 1983 vorgelegte Bericht von mehr als 30 Seiten handelte alle damals benennbaren Aspekte ab und beleuchtete die bestehende, historisch gewachsene Ausbildungslandschaft mit ihren Mängeln. Dazu wurde die Forderung nach einer fünf Jahre dauernden Ausbildung als Richtschnur erhoben, um sich das notwendige Fachwissen aneignen zu können.

Arbeitsgruppe und Bericht hatten es in der Folge schwer. Im Jahre 1986 äusserte sich die Arbeitsgruppe erneut und hielt fest, dass ein Diplom notwendig und sinnvoll sei, jedoch keines «unter den Fittichen des BIGA», sondern ein SVD-Diplom mit einem eigenen Bildungsplan. Im Hintergrund spielte hier wiederum die Frage des Erstberufes eine Rolle, denn in der Privatwirtschaft hatten die meisten «Information Workers» sowie alle strategisch ausgerichteten Dokumentalisten bereits einen Berufsabschluss und waren zumeist als Akademiker im höheren Dienst angestellt. Ein BIGA-Diplom hätte demnach für die Einsteiger der Informationsberufe keine wirkliche Aufwertung gebracht. Die emotionale Verwurzelung in der ursprünglichen Ausbildung und Tätigkeit wurde bereits 1983 als einer der Gründe erkannt, welcher in der betrieblichen Informationsversorgung gegen die integrale berufliche Grundbildung spricht.

Gegensätzlich war die Situation bei den BibliothekarInnen, bei denen ein BIGA-Diplom als Abschluss einer Ausbildung in den Erstberuf als sinnvoll erkannt und gutgeheissen wurde. Die gemeinsamen Anstrengungen einer teilweise gleichen modularen Ausbildung zeigten rasch die unterschiedlichen Bedürfnisse der Aus- und Weiterbildung. Nachdem 1988 diejenigen Mitglieder der SVD, welche der Bundesverwaltung angehörten, eine neue Ausbildungsform beschlossen hatten, war die Situation offensichtlich endgültig zu unübersichtlich geworden.

Die Bestrebungen zu einer einheitlichen Ausbildung, diesmal als Berufslehre mit einem Eidgenössischen Fähigkeitszeugnis, mündeten 1994 in den BIGA-Beruf der I+D-AssistentIn. Aus den dargestellten Umständen ist verständlich, weshalb die Privatindustrie diese Ausbildung bis heute nicht angenommen hat. Weiter gibt es, wie schon erwähnt wurde, Interessensunterschiede bezüglich des Bildungsplans und des Ausbildungsschemas mit Ausbildungsbetrieben aus verschiedenen I+D-Tätigkeitsbereichen, da es viel mehr Ausbildungsplätze in Bibliotheken als in Dokumentationsstellen und Archiven gibt.

Mit den Bibliotheken hat sich der grösste «Player» durchgesetzt, welcher am meisten Erstberufler benötigt, während in der öffentlichen Verwaltung nur wenige Anstellungen zu verzeichnen sind. Dabei wären Erstberufler gerade als Registratoren, Planarchivare, Schriftgutverwalter usw., als Fachkräfte also, durchaus nötig, nur ist das Berufsbild bis heute nicht einsichtig und die Stellenausschreibungen zeigen, dass weiter in den alten Ausbildungsstrukturen gedacht wird.

Bei allen vergleichbaren Tätigkeiten unterscheiden die berufliche Herkunft und die tägliche Arbeit die beiden Gruppen der in der öffentlichen oder in der betrieblichen Informationsversorgung Tätigen so stark, dass eine gemeinsame Sicht auf die berufliche Grundbildung weiterhin ein Wunsch bleiben wird.

Rückblick auf die bisherige Ausbildung

Bisher haben 362 IDA ihre Ausbildung abgeschlossen. Leider existieren keine Statistiken über den weiteren Werdegang dieser Lehrleute, weshalb es nicht möglich ist, ihren weiteren Werdegang darzustellen. Die anlässlich der Lehrabschlussprüfung von 2006 durchgeführte Umfrage lässt jedoch vermuten, dass die eine Hälfte der Ausgebildeten nie auf dem Beruf gearbeitet hat. Die andere Hälfte, also rund 180 IDA, ist mit ihrem Erstberuf auf einen Arbeitsmarkt gelangt, auf dem es von Konkurrenzausbildungen wimmelt; sowohl die Kurse für die DiplombibliothekarInnen wie auch der Zertifikatskurs der ArchivarInnen werden weitergeführt. Aufgrund der geringen Zahl von ausgebildeten IDA hat ihre Ausbildung nie die notwendige Beachtung finden können. Auch die Vorstellung, dass der Weg an die Fachhochschule über die Berufslehre führt, hat sich nur zu einem kleinen Teil bewahrheitet.

In den Informationsberufen arbeiteten in den letzten zehn Jahren mehr Erstberufler in den Bibliotheken und öffentlichen Dokumentationsstellen als im Tätigkeitsfeld der betrieblichen Informationsversorgung. Die Bibliotheken bestimmen auch weitgehend die Bildungsinhalte.

Für den beruflichen Erfolg in der Privatwirtschaft ist nach wie vor die Sachkompetenz, d.h. der ursprüngliche Beruf und die darin eingenommene Stellung, entscheidend. Im Tätigkeitsfeld der öffentlichen Informationsversorgung kämpfen Erstberufler mit ungenügenden Aufstiegschancen, Teilzeitstellen, tiefen Einstiegslöhnen und einem schlechten Berufsimage.

Ausblick

Die Arbeit der heutigen IDA wird auch in Zukunft weiter zum «Kunden» hin verlagert, d.h., dass der Sachbearbeiter auch für die Informationsarbeit verantwortlich zeichnet. Die Arbeit der betrieblichen Dokumentation wurde von einer Stabsfunktion zu einer weiteren Qualifikation für Erstberufler in Linienfunktion. Der seit Jahrzehnten feststellbare Wandel des Berufsbildes wird ungebremst weitergehen. Die tägliche Arbeit wird abstrakter und anspruchsvoller, Routinearbeiten gehen weiter zurück, Entwicklungsprojekte und Weiterbildung prägen immer mehr den beruflichen Alltag.

Diese Arbeitsumgebung eignet sich zunehmend weniger als Einstieg ins Berufsleben und überfordert die meisten der 16- bis 19-jährigen Jugendlichen. Vor diesem Hintergrund kommt die berufliche Grundbildung in der betrieblichen Informationsversorgung weiter unter Druck. Zunehmend verlangen die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes nach höher qualifizierten I+D-Fachleuten. Diesem Umstand trägt die Ausbildungslandschaft bereits Rechnung: Wie schnell die FH-AbsolventInnen und NDS-AbgängerInnen nämlich ihre Stellen finden, zeigt, wie gut diese Ausbildungsangebote positioniert sind.

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Christoph Döbeli

Vorstand berufliche Bildung SVD-ASD Basel.