Commentaires Résumé
2017/1 Le potentiel de la diversité

«Willkommen! Ihre Bibliothek» Ein Projekt von Bibliomedia Schweiz

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Wer das Leid der Flüchtlinge im Sommer 2015 sieht, denkt nicht als erstes daran, dass diese Männer, Frauen und Kinder Bücher brauchen werden. Die Menschen brauchen eine Unterkunft, denkt man, Nahrung und die Aussicht auf ein faires Asylverfahren.
Sobald für diese Grundbedürfnisse gesorgt ist, kommen den Buchmenschen die Bücher in den Sinn. Menschen brauchen Bücher, die ihnen das Ankommen erleichtern und die sie mit ihrer Herkunft, der Sprache ihrer Heimat, verbinden. Im Sommer 2015 beginnen sich in ganz Europa Bibliotheken für die Versorgung der Flüchtlinge mit Medien zu engagieren. So auch Bibliomedia.

Bibliomedia hat als «Bibliothek der Bibliotheken» eine lange Erfahrung mit Spezialbeständen. Seit ihrer Gründung bietet Bibliomedia Bücher in italienischer, französischer, deutscher, englischer und spanischer Sprache an. Heute gehören dazu auch Bestände in Albanisch, Arabisch, Kroatisch, Portugiesisch, Serbisch, Spanisch, Tamil und Türkisch. In diesen Sprachen werden systematisch grosse Bestände für Kinder und Jugendliche, aber auch für Erwachsene aufgebaut. Dazu kommt ein grosses Sortiment an zwei- und mehrsprachigen Medien. Diese Buchbestände, die laufend erneuert werden, leiht Bibliomedia in grösseren und kleineren Kollektionen an Bibliotheken, Schulen und weitere Institutionen aus. 
Im Sommer 2015 liegt es also nahe, diese Kompetenzen in die aktuelle Situation einzubringen. Bibliotheken sind von ihrer Bestimmung her Orte der gesellschaftlichen Integration. Und Integrationspolitik wiederum ist in erster Linie Bildungspolitik. Der Kreis schliesst sich, und im Zentrum stehen die öffentlichen Bibliotheken im ganzen Land, die als Lernorte für alle offen sind. 

Projektbeschrieb

Das Projekt «Willkommen! Ihre Bibliothek» unterstützt Bibliotheken, die gezielt auf Flüchtlinge zugehen und ihnen beim Ankommen helfen. Am Anfang des Projekts steht für die Bibliotheken ein Fragebogen, mit dem Informationen zur Gemeinde und die dort untergebrachten Flüchtlinge erhoben werden. Ob Familien oder junge Männer, ob Flüchtlinge aus Syrien, Eritrea, Westafrika oder Afghanistan, die Medienauswahl wird von Bibliomedia spezifisch auf die im Umfeld der Bibliothek lebenden Flüchtlinge zugeschnitten. 
Für das Projekt hat Bibliomedia Bücher in weiteren Sprachen (Dari, Farsi, Kumanci, Sorani, Tigrinya) angeschafft. Eine Kollektion besteht aus rund 40 bis 50 Einheiten (Deutschkurse, Wörterbücher, Bildwörterbücher, Handbücher mit Alltagsvokabular, Informationen über die Schweiz, Lernspiele, Bilderbücher ohne Text, zweisprachige Bilderbücher, Easy Reader auf Deutsch) und wird den Bibliotheken kostenlos ausgeliehen. Bei allfälligem Verlust von Medien muss die Bibliothek diese nicht ersetzen.

«Wir publizieren dies bewusst nicht unter dem Label Integration von Flüchtlingen.»

Bibliotheken engagieren sich

Mittlerweile beteiligen sich rund 25 Bibliotheken in der deutschsprachigen Schweiz an dem Projekt, das von April bis August 2016 als Pilotprojekt getestet wurde und seit dem Herbst nun regulär läuft. Es sind kleinere und mittlere Bibliotheken, insbesondere aus den Kantonen Aargau, Bern, Graubünden, Luzern, Solothurn und Zürich. Und es sind vor allem Bibliotheken, die schon vorher Integrationsangebote im Programm hatten. Die Bibliotheken organisieren mit dem zur Verfügung gestellten Material auf eigene Faust Veranstaltungen. Deutschkurse und Sprachcafés, Handarbeitsnachmittage, Filmvorführungen etc.  «Einmal im Monat findet der Kulturtreff statt, ein interkultureller Austausch bei Kuchen und Kaffee. Für uns eine gute Möglichkeit, das Angebot der Bibliothek zu zeigen und zu erklären.» «Gestern gab es einen Spaziergang mit Flüchtlingen aus unserer Nachbargemeinde, der dann in der Bibliothek endete. Dabei haben sich wieder drei neue Familien angemeldet und Medien mitgenommen.» «Wir haben ein neues Produkt gestartet: ‹Lisme & Schwätze – Strickend einander kennenlernen›. Jeden ersten Samstagnachmittag im Monat kann bei uns gestrickt und geplaudert werden und dabei ein gegenseitiger Austausch stattfinden. Wir publizieren dies bewusst nicht unter dem Label Integration von Flüchtlingen.» «Wir haben immer wieder niederschwellige Anlässe, an denen Flüchtlinge bei uns in der Bibliothek teilnehmen. Wobei man im Voraus nie so ganz genau weiss, ob dann wirklich Leute einer Einladung folgen. In den nächsten Wochen werden wir versuchen, Anlässe zu lancieren, bei denen nicht nur Flüchtlinge eingeladen sind. Wir versuchen, im Sinne der Integration und des gegenseitigen Kennenlernens, Veranstaltungen unter Beteiligung aller Bevölkerungsgruppen durchzuführen.

Erste Reaktionen und Erkenntnisse

Für viele Flüchtlinge ist es das erste Mal seit längerer Zeit, dass sie Bücher in ihrer Muttersprache in der Hand haben. Manche haben Tränen in den Augen. Ihre Freude ist unmittelbar und ansteckend. Von den Bibliotheken verlangt das Projekt genau hinzuschauen, wer ihre zukünftigen Kundinnen und Kunden sind und welche Bedürfnisse und Interessen sie haben. Das gilt nicht nur, wenn Bibliotheken sich um Flüchtlinge bemühen, sondern entspricht ganz allgemein den aktuellen Erkenntnissen der Bibliothekswissenschaft. 
Natürlich gibt es auch Bibliotheken, die sich nicht um «das Problem» kümmern wollen. Die so tun, als gäbe es keine Flüchtlinge und als hätten Flüchtlinge nichts mit Bibliotheken zu tun.
Die Rückmeldungen von den beteiligten Willkommen-Bibliotheken sind positiv. Sie zeigen, dass das Projekt für sie interessant ist, weil die Medienkollektion an die Situation vor Ort angepasst ist und bei Bedarf ausgetauscht werden kann, weil es Unterstützung bei der Erschliessung einer neuen Zielgruppe bietet und weil das Angebot für die beteiligten Bibliotheken gratis ist. Das Willkommen-Projekt lädt zum Austausch mit anderen teilnehmenden Bibliotheken ein, so dass von den Erfahrungen anderer Bibliotheken profitiert werden kann. Zudem ist Bibliomedia als Projektpartner eine etablierte Grösse ist, auf die man sich verlassen kann. 
Fällt die Evaluation der Startphase in der Deutschschweiz positiv aus, soll das Projekt auf nationaler Ebene fortgesetzt werden. 

Weiterführende Informationen zum Projekt: http://bibliomedia.ch/de/angeb...

Kontakt: willkommen@bibliomedia.ch 

Baetcke Franziska 2016

Franziska Baetcke

Franziska Baetcke ist seit November 2016 Direktorin der Stiftung Bibliomedia Schweiz. Franziska Baetcke studierte in Basel und Berlin Kunstgeschichte, Germanistik und Philosophie, ergänzt durch einen Masterabschluss (MAS) Betriebswirtschaftliches Management für Non-Profit-Organisationen. Zuvor war sie seit 1997 war sie in verschiedenen Funktionen bei Radio DRS 2, später SRF 2 Kultur, tätig, ab 2010 als Programmleiterin.

Die Stiftung Bibliomedia setzt sich seit 1920 im Auftrag des Bundes und der Kantone für die Entwicklung der öffentlichen Bibliotheken und die Leseförderung in der Schweiz ein. Ihre 3 grossen regionalen Bibliothekszentren in Solothurn, Lausanne und Biasca beliefern 700 Stadt- und Gemeindebibliotheken, 10‘000 Schulklassen und zahlreiche andere Institutionen mit Bücherleihbeständen. Zudem entwickelt, koordiniert und unterstützt die Stiftung gesamtschweizerische Projekte zur Leseförderung und Kulturvermittlung.